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Katrin Sass: "Ohne Freiheit werde ich krank"

Katrin Sass wurde durch den Film „Good Bye, Lenin!“ zum Star und prägt seit Jahren die Usedom-Krimis. Ihr neues Album ist jetzt eine Art Autobiografie in Liedern.

Von Andy Dallmann
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Katrin Sass besingt auf ihrem Album „Am Wasser“ die DDR, den Alkohol und einen speziellen Sehnsuchtsort.
Katrin Sass besingt auf ihrem Album „Am Wasser“ die DDR, den Alkohol und einen speziellen Sehnsuchtsort. © Harald Hoffmann/PR

Als gelernte Facharbeiterin für Fernsprechtechnik kam Katrin Sass einst über einen Job in der Künstlergarderobe zum Theater, absolvierte in den Siebzigern ein Schauspielstudium in Rostock und bekam anschließend ein Engagement in Frankfurt/Oder. Bereits 1979 gab die 1956 in Schwerin geborene Tochter einer Mundartschauspielerin ihr Debüt beim Film. Für die Hauptrolle in Herrmann Zschoches „Bürgschaft für ein Jahr“ wurde sie auf der Berlinale 1982 mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin geehrt.

Nach der Wende waren die Angebote überschaubarer, bis sie 2003 mit ihrer Rolle als komatöse Grundschullehrerin unter anderem einen Bambi abräumte. Danach spielte Katrin Sass unter anderem in der Erfolgsserie „Weissensee“ sowie in den Usedom-Krimis mit. Die durchaus streitbare Künstlerin, die schon vor Jahren ihre Alkoholsucht thematisiert hatte, brachte 2013 ein erstes Album mit Liedern aus „Weissensee“ heraus. Jetzt legt sie mit neuen, eigens für sie geschriebenen Stücken nach, die allesamt von ihr und ihrem Leben erzählen.

Frau Sass, können Sie tatsächlich nicht ohne Blick aufs Wasser leben?
Ich sage immer scherzhaft, ich muss in der Badewanne, im Wasser geboren worden sein. Wasser hatte schon immer eine große Anziehungskraft auf mich, und ich genieße es, am Wasser zu leben.

Sie singen auf Ihrem neuen Album, „am Wasser geht’s mir gut“. Ist damit ein spezielles Gewässer gemeint?
Ich bin in Schwerin geboren. Die Stadt ist umgeben von vielen Seen. Wasser war also schon in meiner Kindheit immer präsent. Erst, nachdem ich weggezogen war, merkte ich, wie sehr mir das Wasser fehlte. Je flacher es wird, desto schöner finde ich die Landschaft. Nach Norden, ans Wasser, hat es mich schon immer in meinem Leben gezogen.

Was macht Wasser so besonders?
Am Wasser finde ich Ruhe, lasse meine Gedanken fliegen, und besonders am Meer verspüre ich ein tiefes Gefühl von Freiheit.

Cover des Albums von Katrin Sass, auf dem sie diesmal eigens für sie geschriebene Lieder interpretiert.
Cover des Albums von Katrin Sass, auf dem sie diesmal eigens für sie geschriebene Lieder interpretiert. © PR

Wären Sie ohne Ihre „Weissensee“-Rolle als Dunja Hausmann überhaupt zum öffentlichen Singen gekommen?
Musik begleitet mich schon mein ganzes Leben. Bereits als junge Schauspielerin, als mich Peter Sodann 1981 nach Halle ans Theater holte, haben wir zusammen Programme mit Liedern aus den 40er- und 50er-Jahren gemacht. Aber erst der Erfolg mit „Good Bye, Lenin!“ öffnete mir auch die Türen, um eine musikalische Laufbahn zu beginnen. Es dauerte aber dann doch noch seine Zeit, bis das erste Album „Königskinder“ erschien. „Weissensee“ war aber sicher die Initialzündung dazu.

Welchen Stellenwert hat die Musik jetzt neben Ihrer Arbeit als Schauspielerin?
Singen berührt die Seele, und man erreicht das Publikum noch einmal ganz anders. So freue ich mich, dass ich dieses Jahr einige Konzerte mit meinen neuen Liedern geben werde, aber die Schauspielerei wird weiterhin der bestimmende Part meines künstlerischen Lebens bleiben.

Haben Sie sich jetzt für das Album Texter, Komponisten und Band gesucht, oder wurden Sie vielmehr von denen gefunden?
Gute Sachen kommen meistens auf mich zu. Auch bei diesem Projekt war das so. Vor zehn Jahren fragte mich mein heutiger Musikmanager Dirk Mahlstedt, ob wir nicht eine gemeinsame Platte aufnehmen wollen. Ich meinte, dass ich gar kein Repertoire habe, und daraufhin antwortete er: „Doch, aus Weissensee.“ So entstand das erste Album „Königskinder“, auf dem ich Songs aus „Weissensee“ interpretiert habe. Mit diesem Programm habe ich Konzerte gegeben, und immer wieder fragten Konzertbesucher: „Frau Sass, es war ein schöner Abend, aber wann singen Sie denn endlich einmal eigene Lieder?“ Es war jetzt einfach Zeit für das neue Album. Für „Am Wasser“ brachte mich Dirk mit dem Texter Antek Krönung und dem Komponisten und Produzenten Rainer Oleak zusammen.

Katrin Sass als Karin Lossow mit ihrer Nichte Merle (Elsa Krieger) in einer Szene des Usedom-Krimis.
Katrin Sass als Karin Lossow mit ihrer Nichte Merle (Elsa Krieger) in einer Szene des Usedom-Krimis. © NDR Presse und Information

Antek Krönung dichtete die Texte nach Motiven Ihrer Autobiografie. Haben Sie seine Verse gleich stehen lassen oder noch mal nachbearbeitet?
Antek hatte meine Autobiografie intensiv gelesen und kam bereits mit vielen Textideen zu unserem ersten Treffen. Er hat mich so gut verstanden, dass ich ihm in unserer Zusammenarbeit nur ein paar Impulse geben musste. Nur bei einigen Texten, speziell zur DDR-Zeit, haben wir gemeinsam länger an einigen Passagen gearbeitet. Da wollte ich nicht immer nur von den „Genossen“ singen, denn die Gesellschaft in der DDR war ja doch deutlich vielschichtiger. Allein bei einem Text von ihm haben wir entschieden, ihn nicht zu nehmen, stattdessen habe ich Antek meine große Sehnsucht verraten: Die Sehnsucht nach der Freiheit. Und daraus hat er dann ein sehr schönes Lied gemacht, das „Immer weiter“ heißt.

Was macht Freiheit für Sie so wichtig?
Das ist eine Lebensqualität. Freiheit ist für mich eine existenzielle Bedingung, um zu leben, um zu arbeiten, um mich wohlzufühlen. Wenn ich das nicht habe, werde ich krank.

Ist es aber Zufall, dass der Texter aus dem Ruhrpott, also aus dem Westen, Ihr Komponist Rainer Oleak aus dem Osten stammt?
Ja, ist es. Es stellte sich aber in der Zusammenarbeit als wunderbare Konstellation heraus.

Ihre Lieder legen nahe, dass Ihnen Ostalgie gehörig auf den Keks geht. Was genau stört Sie daran?
Ich habe in der DDR meine Kindheit und Jugend verbracht und fast zehn Jahre als Schauspielerin gearbeitet. Natürlich habe auch ich schöne Erinnerungen – etwa an die Ausflüge mit meiner Familie, die Zeit an der Schauspielschule oder an mein erstes Theater-Engagement. Aber es gibt Menschen, die vieles andere verdrängt oder vergessen haben. Heute wird Kritik oder Unmut frei geäußert, und manche vergessen dabei, dass man für solche Aussagen in der DDR ins Gefängnis kommen konnte. Mir jedoch ist das alles noch sehr bewusst…

Kennen Sie persönlich Wendeverlierer, die jetzt völlig frustriert sind?
Nein.

Können Sie sich aber etwas in solche Menschen hineinversetzen?
Menschen, die keinen Beruf oder ihre Arbeit verloren haben, denen es elend geht – ja, natürlich ist das absolut zu verstehen. Ich möchte in dieser Situation nicht sein.

In dem musikalisch eher heiteren Lied „Geisterstunde“ geht es um Freunde, die zu Verrätern wurden, und den langen Schatten der Stasi. Lastet der Inhalt Ihrer Akte noch immer auf Ihrer Seele?
Ich komme immer wieder auf dieses Thema zurück. Auch wenn viele Jahrzehnte seitdem vergangen sind, hinterlässt so ein Vertrauensbruch im engsten Umfeld tiefgreifende Spuren. Ich bin froh, dass Rainer und Antek das Thema mit einem Augenzwinkern rüberbringen, statt dass es heißt: Ich habe ja so gelitten.

Was muss passieren, damit Sie die Akte – wie im Lied besungen – letztlich wirklich verbrennen?
Ich habe schon oft am 9. November meine Feuerschale genommen und gedacht, ich verbrenne die Geister der Vergangenheit jetzt wirklich. Dann habe ich es aber doch nicht geschafft. Schon merkwürdig, wie das klebt. Aber irgendwann wird der Tag kommen…

Katrin Sass sagt, sie könne eine Menge von ihrer Filmfigur, der Ex-Staatsanwältin Karin Lossow, lernen.
Katrin Sass sagt, sie könne eine Menge von ihrer Filmfigur, der Ex-Staatsanwältin Karin Lossow, lernen. © dpa-Zentralbild

Sie singen auch, „mir fehlt das Gen zum Schwimmen mit dem Strom“. Das gilt ja ebenso für Ihre aktuell bekannteste TV-Figur Karin Lossow im Usedom-Krimi. Ist Ihnen diese Parallele wichtig?
Ja, Karin Lossow hat durchaus viele Züge von mir. Bei dieser Figur ist das möglich, aus mir selbst zu schöpfen.

Welcher ist der wesentlichste, verbindende Charakterzug?
Dass sie das macht, was sie fühlt. Sie empfindet, was sie will. Es gibt aber auch dann in der Rolle Momente, in denen ich denke: „Das ist aber jetzt gar nicht meins, ich würde in dieser Situation aus der Haut fahren.“ Und Karin Lossow bleibt ganz ruhig. Da kann ich noch eine Menge von Karin lernen.

Würden Sie gerne häufiger in Fernsehfilmen die Ermittlerin geben?
Oh, ich habe schon Ermittlerinnen gespielt, und Karin Lossow ist ja keine Kommissarin, sie mischt sich ja eher ein. Ich hoffe, dass das Fernsehpublikum auch in den kommenden Jahren weiterhin diesem Krimi wie bisher treu bleiben wird.

Und was steht für Sie als Nächstes an?
Ich lasse mir ein altes Feuerwehrauto, Baujahr 1985, zu einem Campingmobil ausbauen, mit dem ich dann – wie im Song „Immer weiter“ als „Vagabundin“ mit meinem Hund Lucky einfach an die Ostsee fahren kann. Im Herbst werde ich dann mit „Am Wasser“ meine ersten Konzerte – unter anderem auch in Dresden – geben. Und dann steht auch schon der nächste Usedom-Krimi-Dreh an.

Das Album: Katrin Sass, Am Wasser. Energie/Warner

Das Dresden-Konzert: 17.10., 20 Uhr, Dreikönigskirche; Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und hier.