Feuilleton
Merken

Pro & Contra: Ist "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ Kult oder Kitsch?

15 Mal läuft "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" dieses Jahr noch im Fernsehen. Muss es wirklich immer wieder dasselbe sein? In der SZ-Redaktion gibt es darüber einen kleinen Streit.

 5 Min.
Teilen
Folgen
Eben ein Märchen – am Ende vereint: Aschenbrödel (Libuše Šafránková) und ihr Prinz (Pavel Trávnícek).
Eben ein Märchen – am Ende vereint: Aschenbrödel (Libuše Šafránková) und ihr Prinz (Pavel Trávnícek). © DEFA-Stifung

Alle Jahre wieder: Der Klassiker ist auch in der Weihnachtszeit 2022 mehr als ein Dutzend Mal im Fernsehen zu erleben. Das Erste zeigt den Film von 1973 schon am Ersten Advent nachmittags sowie an Heiligabend mittags. Der MDR zeigt ihn am Dritten Advent und am Zweiten Feiertag, das WDR-Fernsehen Heiligabend zur besten Sendezeit ab 20.15 Uhr. Muss das sein?

Pro: Weihnachten ohne wäre kein Fest

Von Bernd Klempnow, Feuilleton-Redakteur

Es gäbe Gründe, den deutsch-tschechischen Klassiker nicht zu mögen. Allein die Fehler und Ungereimtheiten! Wer genau hinsieht, erkennt: Die Tauben etwa, die Aschenbrödel helfen, wurden gegen die Scheiben geworfen. Oder, als sie die Erbsen in die Schale zurücklegen, ist die Aufnahme rückwärts abgespielt, weil die Tiere in Wahrheit die Erbsen aufpicken.

Oder, als der Prinz einen Fuchs erlegt, sieht man einen dünnen Faden, mit dem das Tier zu Boden gezogen wird. Sekunden später ist der Fuchs steifgefroren. Von Strommasten im Bild, den vielen Anschlussfehlern bei Umschnitten der Szenen, der ausgestopften Eule Rosalie oder den extrem unterschiedlichen Schneemengen ganz zu schweigen.

SZ-Redakteur Bernd Klempnow
SZ-Redakteur Bernd Klempnow © Thomas Kretschel

Freilich, wer den Film abwählt, verpasst Libuše Šafránková in der Titelrolle. Sie spielt eine kluge und selbstbewusste junge Frau und kann dabei so zauberhaft lächeln, dass jeder gern ihr Prinz wäre. Und auch der, Pavel Trávnícek, ist ein ansehnlicher Sympathieträger. Viele Charaktere, selbst Nebenfiguren wie der Küchenjunge, sind liebe- und humorvoll gestaltet: Die Grandezza eines Rolf Hoppe als unterm Pantoffel stehender König, selbst in durchaus peinlichen Strumpfhosen, ist unerreicht.

Überhaupt die Ausstattung – vom schönsten Märchenschloss der Welt in Moritzburg abgesehen –, sie unterhält aufs Trefflichste. Allein die Kostüme, auch wenn oft im eher hässlichen Grisuten-70-30- Polyester gefertigt, sind ungewöhnlich originell. Man denke nur an die raumgreifenden Hüte der Mutter, die mehrfarbigen Hosen des Prinzen oder die Robin-Hood-Jägerkleidung der Heldin. Selbst bei der xten Wiederholung gibt es Details zu entdecken. Im Zweifel lacht man auch darüber.

Zudem wird nicht viel oder gar pathetisch geredet. Wenn, dann aber einprägsam und umgangssprachlich – wie das Rätsel, das der Prinz lösen soll: „Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht.“

Auch dank der Musik nimmt einen der Film ab der ersten Sekunde gefangen. Der geniale Karel Svoboda schuf eine eigentlich simple und kleine Melodie. Die aber klingt durch den abwechselnden Soloeinsatz von Klavier, Flöte, Xylofon, Mandoline ... ungemein vielfarbig und groß. Und wenn die Geigen das verträumt perlende Walzerthema anstimmen, dann fühlt man Flügel, will sich mitdrehen. Deshalb funktioniert „Aschenbrödel“ ganzjährig, aber am besten als Familien-Event zu Weihnachten.

Der Prinz (Pavel Trávnícek) passt Aschenbrödel (Libuse Safránková) den verlorenen Schuh an in einer Szene aus «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel».
Der Prinz (Pavel Trávnícek) passt Aschenbrödel (Libuse Safránková) den verlorenen Schuh an in einer Szene aus «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel». © WDR/Degeto

Contra: Es gibt bessere Weihnachtsfilme

Von Johanna Lemke, Feuilleton-Redakteurin

Bisschen altmodisch“ – „eher langweilig“ – „nicht so spannend“: Das waren die Reaktionen meiner Kinder, als ich ihnen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ anmachte. Als gute Sächsinnen, so fand ich, müssten sie dringend mit diesem Kulturgut in Kontakt kommen. Meine Kindheit haben andere Weihnachtsfilme geprägt, darum sah auch ich den Klassiker zum ersten Mal mit meinen Kindern – in der Hoffnung, dass wir alle in romantischer Verzückung versinken würden.

Was hatten mir meine im Osten aufgewachsenen Freundinnen von diesem Film vorgeschwärmt! Ich war in großer Erwartung, stellte Plätzchen und Kakao bereit – und? Nun ja, was soll ich sagen? Entweder wir sind durch die neuen Filme versaut oder Aschenbrödel ist einfach hoffnungslos überholt.

SZ-Redakteurin Johanna Lemke kann auf Aschenbrödel eher verzichten.
SZ-Redakteurin Johanna Lemke kann auf Aschenbrödel eher verzichten. © Amac Garbe

Kinder wachsen heute mit einer Vielfalt von Serien und Filmen auf, mit actionreichen Plots und differenzierten Hauptfiguren. Ihre Augen sind an eine andere Filmsprache gewöhnt: kurze und schnell geschnittene Einstellungen, überraschende Effekte und viele Geräusche. Das kann man doof finden. Oder es anerkennen. Kultur verändert sich nun mal.

Als wir nun mit Kakao und Plätzchen vorm Fernseher saßen, schwang die Vorfreude schnell um. Ich bemerkte, wie die Kinder immer abgelenkter wurden – und das beim Fernsehen, das sonst ja komplett bannt. Kein Wunder: Die Einstellungen in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ sind ewig. Minutenlang trappeln Pferde, wird das Treiben auf dem Hof gezeigt, ziehen sich Dialoge hin. Dazu die aufgesetzte Sprache – 70er-Jahre eben.

Als Mutter, die ihre Kinder mit modernen Rollenbildern aufwachsen lässt, stellten sich mir zudem sämtliche Haare auf: Die lolitahaft hübsche Prinzessin, die selbstverständlich dicke Stiefmutter und ihre dicke Tochter (und die natürlich dicken und einfältigen Hausangestellten), der freundliche, aber ziemlich aufdringliche Prinz.

Sicher, der Film hat wirklich hübsche Musik und schöne Landschaftsszenen. Ich verstehe auch, dass er Generationen von Kindern beglückt hat. Und das ist vermutlich auch der Grund für den anhaltenden Aschenbrödel-Hype: Nostalgie. Klar liebt man, was einen in der Kindheit verzaubert hat.

Als ich jetzt noch mal nachgeschaut habe, war ich überrascht, dass der Film nur eine Stunde und 22 Minuten lang ist. Uns kam er viel länger vor – so lang, dass ich irgendwann einschlief. Im Grunde ist das ja auch was Gutes: Wenn man Schlafprobleme hat. Mein Fazit: „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gern, aber bitte nur zum Einschlafen. Zur Unterhaltung gibt es bessere Weihnachtsfilme.

Das Schloß Moritzburg am Abend. Das Schloss war bereits mehrfach Kulisse für Märchenfilme; u.a. Sechse kommen durch die Welt (1971) und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (1972). Derzeit ist dort die Ausstellung zum "Aschenbrödel"-Film zu sehen.
Das Schloß Moritzburg am Abend. Das Schloss war bereits mehrfach Kulisse für Märchenfilme; u.a. Sechse kommen durch die Welt (1971) und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (1972). Derzeit ist dort die Ausstellung zum "Aschenbrödel"-Film zu sehen. © Andreas Weihs

"Aschenbrödel"-Sendetermine im linearen Fernsehen:

  • 27. November: 15.35 Uhr in der ARD
  • 04. Dezember: 12.00 Uhr im BR
  • 04. Dezember: 15.00 Uhr im WDR
  • 11. Dezember: 16.40 Uhr im MDR
  • 18. Dezember: 13.00 Uhr im NDR
  • 24. Dezember: 13.40 Uhr in der ARD
  • 24. Dezember: 16.05 Uhr im NDR
  • 24. Dezember: 18.50 Uhr auf One
  • 24. Dezember: 20.15 Uhr im WDR
  • 24. Dezember: 23.10 Uhr im SWR
  • 25. Dezember: 11.05 Uhr in der ARD
  • 25. Dezember: 15.35 Uhr im RBB
  • 26. Dezember: 17.25 Uhr im MDR
  • 31. Dezember: 13.15 Uhr im HR
  • 01. Januar 2023: 14.10 Uhr im SWR