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Joko & Klaas zeigen Pflegealltag in Echtzeit

Die Entertainer Joko und Klaas haben bei ProSieben freie Sendezeit genutzt, um stundenlang auf den Pflegenotstand hinzuweisen.

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Erstmals in der Geschichte von "Joko & Klaas Live" seit 2019 hatten die Entertainer ProSieben gebeten, mehr Sendezeit als die sonst übliche Viertelstunde zugestanden zu bekommen.
Erstmals in der Geschichte von "Joko & Klaas Live" seit 2019 hatten die Entertainer ProSieben gebeten, mehr Sendezeit als die sonst übliche Viertelstunde zugestanden zu bekommen. © ProSieben

Unterföhring/Münster. In einer außergewöhnlichen Aktion hat der Privatsender ProSieben am Mittwochabend sein Programm freigeräumt, um aus dem Alltag von überlasteten Pflegekräften in Deutschland zu berichten. Unter dem Motto "Nicht selbstverständlich" kamen zahlreiche Frauen und Männer aus Krankenhäusern und Altenheimen zu Wort, die auf die Probleme in der Pflege hinwiesen. Begleitet wurde in Echtzeit per kleiner Kamera eine ganze Schicht der gewissenhaften und stets freundlichen Gesundheits- und Krankenpflegerin Meike Ista im Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster.

Die Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf hatten wieder freie Sendezeit erspielt und nutzen sie diesmal, um auf den Pflegenotstand hinzuweisen. Um 20.15 Uhr begann eine Sendung bei dem für Unterhaltung berühmten Privatsender, die weit länger dauerte als die üblichen 15 Minuten hinein.

Unter dem Hashtag #Nichtselbstverständlich kommentierten hunderte Zuschauer auf Twitter die Sendung.

Optisch begleiteten die Zuschauerinnen und Zuschauer per kleiner Kamera eine Schicht der Gesundheits- und Krankenpflegerin Meike Ista im Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster (dokumentiert als vom 18. März 2021).

Vor allem zu Beginn der Sendung wurden Stimmen und Köpfe anderer Pflegekräfte wie etwa Alexander Jorde aus Hildesheim oder Franziska Böhler aus Frankfurt/Main eingespielt, die auf die Not in deutschen Krankenhäusern hinwiesen. Sie machten vor allem die hohe Belastung und schlechte Bezahlung deutlich. Seit Jahrzehnten versäumten es Politik und Gesellschaft, faire Bezahlung und machbare Arbeitsmengen zu organisieren.

Tausende Tweets - auch von der TV-Konkurrenz

Tausende twitterten am Abend und nachts zum Thema Pflege.

Selbst Konkurrenzsender RTL lobte: "Starke Aktion, ProSieben! Ein beeindruckendes Zeichen für die Pflege!" RTLzwei twitterte: Standing Ovations, ProSieben. Heute seid Ihr definitiv der Reality Sender Nr. 1. Ganz große Klasse und ganz großen Dank!"

Beim Twitter-Account von Arte hieß es: "Was da gerade bei ProSieben passiert, dürfte ein Stück deutsche TV-Geschichte sein."

Und der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb: "Das, was da gerade auf ProSieben läuft, ist nicht nur eine wichtige Aktion von Joko und Klaas, sondern auch richtig gutes Fernsehen."

ProSieben twitterte: "Bitte helft, dass aus diesem Abend eine große Respektkundgebung wird, die etwas ändert." Und Senderchef Daniel Rosemann schrieb: «Wir sind heute Ort für eine Demo. Für eine Demo, für die die Teilnehmer vor lauter Überstunden keine Zeit haben."

Vizekanzler Scholz: "Danke an alle Pflegerinnen und Pfleger"

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz äußerte sich ebenfalls: "Danke Joko und Klaas für diese Sendung! Und - man kann es nicht oft genug sagen - Danke an alle Pflegerinnen und Pfleger! Ohne sie geht nichts. Antwort auf diese Erkenntnis ist nicht, Beifall zu klatschen. Respekt heißt: gute Löhne und Arbeitsbedingungen." Unter dem Tweet des Vizekanzlers sammelte sich einige Kritik.

Bielefelder Intensivpfleger zur Überlastung: "Völlig unmenschlich"

Der Kölner Krankenpfleger Dustin Struwe sagte, es sei traurig, dass eine Pandemie wie Corona nötig gewesen sei, um die schlimme Situation der Pflege in Deutschland zu verdeutlichen. Die Bottroper Altenpflegerin Flora Reiling sagte zum Beispiel, es sei schlimm, dass manchmal nur zwei Pflegende für 35 Pflegebedürftige zuständig seien.

Der Bielefelder Intensivpfleger Ralf Berning wies auf die andauernde Überlastung hin. Er kenne Leute, die 23 Tage am Stück arbeiteten, das sei "völlig unmenschlich". Er sei lange Soldat gewesen und ginge lieber wieder nach Afghanistan als noch einmal so etwas Schlimmes zu erleben wie während der zweiten Corona-Welle im Herbst.

Der Düsseldorfer Krankenpfleger Metin Dogru sagte, er liebe seinen Beruf, aber viele gäben auch auf, weil es zu anstrengend sei.

Die beiden Entertainer Joko Winterscheidt (42) und Klaas Heufer-Umlauf (37) behandeln in ihrer Sendung "Joko & Klaas Live" immer wieder gesellschaftlich relevante Themen.

"Widerspricht genau genommen jeder Regel des Fernsehens"

Die freie Sendezeit hatten sich die Moderatoren in der am Dienstag ausgestrahlten Show "Joko & Klaas gegen ProSieben" erspielt, in der sie in mehreren Wettkämpfen gegen ihren Arbeitgeber antreten.

Erstmals in der besonderen Geschichte von "Joko & Klaas Live" seit 2019 hatten die Entertainer diesmal ProSieben gebeten, mehr Sendezeit als die sonst übliche Viertelstunde zugestanden zu bekommen.

"Sowas stellt nämlich in so'nem Sender ein bisschen was auf den Kopf und widerspricht genau genommen jeder Regel des Fernsehens", leitete Klaas die auf viele Stunden angelegte Pflegenotstand-Sondersendung ein. Joko ergänzte: "Ein Thema, das uns alle betrifft, mitten aus dem Leben, und dennoch zu oft ganz am Rand der allgemeinen Wahrnehmung. Viele Themen im Leben bekommen erst dann den Stellenwert, den sie verdient haben, wenn man die Gelegenheit bekommt, sich in ein Leben hineinzuversetzen, das nicht zwangsläufig das eigene ist."

Joko und Klaas dankten dem Sender in Unterföhring bei München. "Wir freuen uns sehr, dass sie diese - für einen Fernsehsender sehr ungewöhnliche - Idee mit uns umsetzen wollen", hatten beide schon am Nachmittag mitgeteilt. ProSieben-Chef Daniel Rosemann hatte erklärt: "Joko und Klaas haben wirklich eine besondere Idee für eine außergewöhnliche Aktion. Diese Idee will ProSieben unterstützen." (dpa)