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Schlaflos, gestresst und dennoch hellwach

Der Wiener „Tatort“ erzählt behutsam eine ungeheuerliche Geschichte. Da wohnt der Grusel direkt neben dem Spaß - findet unserer Rezensent.

Von Andy Dallmann
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Bibi Fellner (Adele Neuhauser), hier mit ihrem Ermittlerpartner Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) findet im neuen Wiener „Tatort“ zwar keinen Schlaf, dafür aber den entscheidenden Hinweis.
Bibi Fellner (Adele Neuhauser), hier mit ihrem Ermittlerpartner Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) findet im neuen Wiener „Tatort“ zwar keinen Schlaf, dafür aber den entscheidenden Hinweis. © ARD Degeto

Kein Verzetteln durch zu viel Privates aus dem Leben der Ermittler, kein unnötiges Verschachteln diverser Handlungsstränge, kein aufgesetztes Sendungsbewusstsein. Nein, der aktuelle „Tatort“ aus Wien ist auch kein filmisches Experiment und dennoch oder besser: gerade deshalb eine Wohltat. Er erzählt eine schier ungeheuerliche Geschichte und lässt diese gänzlich ohne Brimborium wirken.

Die Kamera ist meist dicht dran an den Gesichtern der Akteure, fährt behutsam die Schauplätze ab. So hat man Zeit, die mit Liebe zum skurrilen Detail ausgestatteten Sets zu genießen; ein Spaß, der lediglich von der gleich nebenan lauernden Gefahr und dem daraus resultierendem Grusel vermiest wird.

Eisner auf falscher Fährte

Max Mayer gibt Janko, der Hobby-Huren meuchelt und deren Söhne verschleppt, mit feiner psychopathischer Note. Eben noch dank Perücke, Faltenrock und viel Schminke einen auf „neue Mutter“ machend, wanzt er sich als angeblicher Undercover-Kapuzenjacken-Ermittler der Grazer Polizei an Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) heran, um den Oberstleutnant auf eine falsche Fährte zu locken.

Währenddessen plagt sich dessen Kollegin Bibi Fellner, von Adele Neuhauser diesmal besonders nachdrücklich gespielt, mit einer anhaltenden Schlaflosigkeit ab, ist im richtigen Moment jedoch hellwach, folgt ihrem Bauchgefühl und liegt damit goldrichtig. Was sie zwar in Lebensgefahr, letztlich aber auch Eisner an ihr Krankenbett bringt, wo er der endlich Schlafenden eine Art Liebeserklärung macht.

Zuschauer in der Pflicht

Der Clou des Ganzen: Nur die wesentlichsten Handlungsstränge werden final aufgelöst. War denn Janko nun tatsächlich Polizist? Hatte er eine weitere Leiche im Keller? Litt er unter Schizophrenie oder einst unter einer fiesen Mama? Tja, keine Ahnung. Spielt das eine Rolle? Natürlich nicht. Entscheidend ist: Die Jungs wurden gerettet, der kinderraubenden Mörder liegt flach. Dessen mögliche psychische Wehwehchen zu analysieren hätte den Fluss des Films nur blockiert.

Es spricht ausdrücklich für Mike Majzen (Drehbuch) und Christopher Schier (Regie), die Zuschauer in die Pflicht genommen zu haben. Ein bisschen mitdenken, etwas weiterspinnen können sorgt doch erst für den richtigen Kick. Wer eine Story bis ins letzte Detail auserzählt, macht sie gerne kaputt. Diesen Fehler hat hier zum Glück keiner gemacht.