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So wuchs der jüngste Bremer „Tatort“ über sich hinaus

Der dritte Fall der Bremer "Tatort"-Kommissarinnen Liv Moormann und Linda Selb „Liebeswut“ ist ein echter Psychothriller. Was an dem Fernseh-Krimi besonders gut war.

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Den Ermittlerinnen Linda Selb (Luise Wolfram, l.) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, r.) läuft die Zeit davon.
Den Ermittlerinnen Linda Selb (Luise Wolfram, l.) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, r.) läuft die Zeit davon. © RB TV/Pressestelle

Von Rainer Kasselt

Ein Film, der sich wie ein Pfeil ins Herz bohrt. Der dritte Fall der Kommissarinnen Liv Moormann und Linda Selb ist ihr bester. Der Tatort „Liebeswut“ ist Psychothriller, Familiendrama und Ausnahmekrimi in einem. Ästhetisch anspruchsvoll, szenisch verschachtelt und bis zum Gänsehaut-Ende spannend. Die Regie inszeniert ein wahres Schnittgewitter, einen verschlungenen Rückblenden-Wirbel. Die aufstrebende Kino- und TV-Regisseurin Anne Zohra Berrached sagt unumwunden: „Anders als bei meinen bisherigen Filmen ist mir bei diesem der Realitätsanspruch egal.“ Sie überhöht die Figuren, setzt auf knackige Farben, schockierende Momente und einen Sound, der sich an Hitchcocks Komponisten Bernhard Herrmann orientiert. Nicht jeder Zuschauer wird mit diesem Stil klarkommen. Wer drangeblieben ist, dürfte es nicht bereut haben. Schon der Eingangsmonolog weckte Neugier: „Die falsche Dosis Liebe reißt uns alle in den Abgrund.“

Erzählt wird die Geschichte einer psychisch kranken Frau, die von einem „Teufel“, der durch Wände spricht, in den Freitod getrieben wird. Ihre zwei minderjährigen Töchter werden entführt. An Verdächtigen und falschen Fährten mangelt es nicht. Ein verwahrloster Nachbar verwöhnt die Kinder mit Eis. Ein triebgesteuerter Hausmeister schnüffelt an einer Mädchenstrumpfhose. Der Vater lebt bei seiner neuen Familie und hängt noch an der alten. Der Großvater möchte die Enkelinnen in seinem Herrenhaus großziehen. Liv Moormann wird von traumatischen Kindheitserinnerungen heimgesucht. Einmal legt sich die Polizistin auf das Bett der Selbstmörderin, bekämpft ihre Albträume, als sei sie auf der Couch von Sigmund Freud. Jasna Fritzi Bauer geht in dieser Rolle an ihre Grenzen, zeigt Verzweiflung, Angst, Wut und eine wilde Entschlossenheit. Beeindruckend auch ihre Kollegin Luise Wolfram. Deren sonst so schnippisch-ironische Kommissarin Linda Selb verzweifelt fast an ihrer folgenreichen Fehlentscheidung.

Dieser Tatort ist durchweg gut besetzt. So Aljoscha Stadelmann als monströs wirkender Nachbar mit kindlichem Gemüt oder Ulrike Krumbiegel als aufbegehrende Gattin des Herrenmenschen. Sie beendet schließlich das grausige Geschehen und jagt den „Teufel“ zum Teufel. Keine Gestalt wird karikiert oder bloßgestellt, alle tragen ihr Päckchen. Tragische Figuren in ihrer dunklen, extremen, deformierten Sehnsucht nach Liebe. Ein Krimi darüber, so die Regisseurin, „wie abgefuckt Liebe sein kann“.