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So wurde aus Dresdens Problem-„Tatort" ein dunkel glänzender Edelstein

Am Sonntag löst das Ermittler-Team von der Oberelbe seinen 15. Fall. Das einst hässliche Entlein ist längst ein zuverlässiger Qualitätsgarant. Das sind die Gründe.

Von Oliver Reinhard
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Auch in der 15. „Tatort“-Folge aus Dresden führt ein Fall die Ermittlerinnen Leonie Winkler (Cornelia Gröschel, l.), Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und ihren Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) mal wieder zurück in die DDR-Vergangenheit.
Auch in der 15. „Tatort“-Folge aus Dresden führt ein Fall die Ermittlerinnen Leonie Winkler (Cornelia Gröschel, l.), Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und ihren Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) mal wieder zurück in die DDR-Vergangenheit. © MadeFor/MDR

Die Blumen bilden die einzigen Lichtpunkte. In der Gärtnerei Teichmann, weil es Winter ist und gerade umgepflanzt wird. Im Dresdner „Tatort – Totes Herz“, weil querbeet eine Leiche liegt und auch diese Geschichte um die ermordete Patriarchin und deren Nachkommenschaft etwas auszeichnet, was das Team von der Elbe mindestens seit einem halben Dutzend Fälle zu einem der zuverlässigsten Qualitätslieferanten der Reihe hat werden lassen: sehr dichtes Erzählen, sehr viel Tragik, sehr viel Härte und tiefe Emotionalität.

Nach 15 Folgen darf man zwischenbilanzieren, dass die Vita des Dresden-Tatorts über den aufsteigenden Ast verläuft: 2016 als eher missratenes Entlein gestartet, ist der Sonntagskrimi von der Oberelbe längst als dunkel schimmernder Schwan ganz vorne gelandet. Die jüngste Folge im November, „Katz und Maus“, schaute fast jeder dritte Fern-Seher.

Die Folge "Auf einen Schlag" war 2016 die erste des neuen Dresden-"Tatorts". Damals spielte Jella Haase (l.) die dritte Ermittlerin im Bunde, stiegt aber nach der Premiere aus. Ihre Kollegin Alvara Höfels (2. v. r.) verließ die Reihe nach Folge 5.
Die Folge "Auf einen Schlag" war 2016 die erste des neuen Dresden-"Tatorts". Damals spielte Jella Haase (l.) die dritte Ermittlerin im Bunde, stiegt aber nach der Premiere aus. Ihre Kollegin Alvara Höfels (2. v. r.) verließ die Reihe nach Folge 5. © ARD/MDR

Kinderkrankheiten knirschten im Getriebe

Der Start „Auf einen Schlag“ im Schlagermilieu vor knapp sieben Jahren ließ das Gegenteil befürchten, bei den beiden folgenden Fällen knirschte es kaum weniger im Getriebe: Ein Team, das noch nicht harmonierte, eine Selbstverortung, die sich nicht entscheiden konnte zwischen eher Team Münster oder eher Team Mannheim. „Das Konzept der Produktionsfirma war: Zwei beziehungsweise drei Frauen mit einem Seniorchef und einer humorvollen Attitüde. Das fanden wir sehr vielversprechend“, erinnert sich der zuständige MDR-Redakteur Sven Döbler.

„Aber diese Mischung der drei Aspekte Team-Humor-Krimispannung war von Anfang an nicht leicht hinzubekommen.“ Jella Haase als dritte Ermittlerin blieb nur eine Folge. Dass der Dresden-Tatort schon auch noch starke Elemente eines klassischen Krimis aufweisen sollte, hat den Ur-Autor Ralf Husmann bald nicht mehr gereizt. Man trennte sich im Einvernehmen.

In der Episode "Das Nest" stieß die Dresdner Schauspielerin Cornelia Gröschel (l.) 2019 als Ermittlerin zum Team. Mit ihr startete der Dresden-"Tatort" durch.
In der Episode "Das Nest" stieß die Dresdner Schauspielerin Cornelia Gröschel (l.) 2019 als Ermittlerin zum Team. Mit ihr startete der Dresden-"Tatort" durch. © MDR

Kaum hatte sich das Team endlich gefunden, ging eine

Der nächste Stolperstein traf das Team keine zwei Jahre später. Kaum waren die Kommissarinnen Gorniak und Sieland zum gut harmonierenden Team zusammengewachsen, verließ Sieland-Darstellerin Alvara Höfels den Tatort wieder; sie wollte sich nicht zu sehr auf ihre Figur festlegen lassen. So bekam Karin Hanczewski alias Gorniak eine neue Kollegin, die gebürtige Dresdnerin Cornelia Gröschel trat als Kommissarin Leonie Winkler an ihre Seite – und alles wurde nicht nur anders, sondern besser.

Ab Folge sieben, ab „Das Nest“ im April 2019 kam der große Trumpf des Teams mehr und mehr zur Geltung. Obwohl er zwei Monate vorher mit dem ersten „Tatort“-Fall von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und deren neuer Partnerin Anais Schmitz (Florence Kasumba) sein Alleinstellungsmerkmal soeben verloren hatte: Der Dresden-Krimi war beim Start und bleibt der erste in der Reihe mit einem rein weiblichen Ermittlerinnenteam.

Szene aus "Totes Herz": Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Kommissariatsleiter Peter-Michael Schnabel (Martin Brambach) am Tatort in der Gärtnerei Teichmann. Die Patriarchin wurde erschlagen.
Szene aus "Totes Herz": Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Kommissariatsleiter Peter-Michael Schnabel (Martin Brambach) am Tatort in der Gärtnerei Teichmann. Die Patriarchin wurde erschlagen. © ARD/MDR

Das erste weibliche Tatort-Team lag 2015 in der Luft

„Jeder Sender, der einen neuen Tatort entwickelt, sucht etwas Einzigartiges“, sagt Redakteur Döbler. „Man kommt ja auf einen Markt, der schon dicht besiedelt ist. Und das Thema eines weiblichen Teams, das lag 2015 irgendwie in der Luft.“ Und eben ab der Folge „Das Nest“ fand der Dresdner „Tatort“ sein neues und bestens funktionierendes Konzept: „Emotionaler Thriller“ nennt es Sven Döbler. „Wir haben ein sehr klares Gerüst, können darin aber sehr kreativ sein, was uns alle freut, weil wir ein sehr kreatives Team sind, auch und gerade unsere Schauspielerinnen und Schauspieler.“

Über die Spannungs-Schiene gleitet das Team seither meistens in ziemlich düstere Gefilde, was den Fällen gut steht, was man auch visuell gut beherrscht. Es wird gerne mal gruselig, ebenso gerne ein wenig mystery-haft. „Nemesis“ etwa war 2019 ein lupenreiner Psycho-Thriller. In „Parasomnia“ wird 2020 das Todesrätsel über die Wachträume eines Mädchens gelöst.

Es wird immer mysteriöser: Auf dem Friedhof erfährt Schnabel, dass die tote Gärtnereibesitzerin 1985 noch eine zweite Tochter geboren hat, die offiziell verstorben ist, was aber nicht stimmt ...
Es wird immer mysteriöser: Auf dem Friedhof erfährt Schnabel, dass die tote Gärtnereibesitzerin 1985 noch eine zweite Tochter geboren hat, die offiziell verstorben ist, was aber nicht stimmt ... © ARD/MDR

Auch der Chef wird zum Entführungsopfer eines Psychos

„Unsichtbar“ lässt Gorniak 2021 in Lebensgefahr geraten durch eine Kindheitsfreundin, die sich in einen pyromanischen Todesengel verwandelt. „Das Kalte Haus“ schließlich verbindet 2022 klassischen Gothik-Schauer mit digitaler Kühle; die Titelheldin, „in echt“ die Pillnitzer Villa des berühmten Bassisten René Pape, wirkt wie ein modernes Spukschloss mit Cyber-Technologie.

Und in „Katz und Maus“ wird Kommissar Schnabel zum Entführungsopfer eines Psychos, der den Chef fast umbringt. Was Drehbuchautorin Kristin Derfler am kommenden Sonntag in „Totes Herz“ noch einmal aufgreift, wenn sie Schnabel-Darsteller Martin Brambach rückblickend einen seiner legendären Schnoddersprüche absondern lässt: „Mit ’nem Messer im Rücken geht ein Ossi noch lange nicht nach Hause.“

Auch Nadine (Kristin Suckow, M.), die Tochter der Toten, spielt eine Rolle im Familiendrama - nur welche?
Auch Nadine (Kristin Suckow, M.), die Tochter der Toten, spielt eine Rolle im Familiendrama - nur welche? © ARD/MDR

Sehr intim, sehr privat, sehr verletzlich

Was auffällt: Karin Hanczewski und Cornelia Gröschel funktionieren so gut miteinander, dass sie ihre Figuren inzwischen in sehr tiefe Tiefen fallen und an emotionale Grenzen stoßen lassen können. Was ihre Darstellungen sehr intim macht, sehr privat, sehr verletzlich. Noch ein Alleinstellungsmerkmal? Nicht unbedingt, sagt Daniela Mussgiller, Fiction-Chefin beim MDR.

Das Alleinstellungsmerkmal des Dresden-Tatortes in ihrer Wahrnehmung: „Gorniak und Winkler haben mit Schnabel einen ganz besonderen Vorgesetzten, der sie machen lässt – und die Kontraste zwischen ihnen lassen sie damit heller strahlen.“ Auch Mussgiller verweist gern auf „Das kalte Haus“: „Da versuchen die Kommissarinnen, einen netten Geburtstag zu verbringen, eine schöne Zeit zu haben, aber dann werden sie in diese eiskalte, von einer Computerstimme beschallte Villa gerufen, die vielleicht Schauplatz eines Verbrechens war. Auf genau solche Kontraste setzen wir.“

Der Tod im Blick junger Ermittlerinnen

Sven Döbler ergänzt: „Die Deutlichkeit des Todes und des Verbrechens gegen Menschen lassen sich sehr gut durch den Blick junger Ermittlerinnen zeigen. Die Emotionalität unserer Kommissarinnen bildet den zentralen Kontrast zu der Härte unserer Geschichten.“ Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal wäre in greifbarer Nähe auf dem weiten Feld des „Tatort“, der zunehmend auf Diversität setzt: Nach Ende des Luzern-Teams mit Kommissarin Liz Ritschard 2019 gibt es keine homosexuelle Ermittlerin mehr.

Karin Hanczewski indes engagiert sich sehr intensiv gegen Diskriminierung und für mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen wie ihr. Auf die Frage, ob und wann sich Kommissarin Gorniak in eine Frau verliebt, sagte die 40-Jährige im Interview mit der Sächsischen Zeitung: „Das entscheide ja nicht ich alleine. Das liegt vor allem in den Händen der Drehbuchautoren, der Produktion und des gesamten Filmteams. Aber ich finde: Dafür ist es nie zu spät.

Tatort – Das kalte Herz“, Sonntag um 20.15 Uhr in Das Erste