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Tabu-Thema im "Tatort": Charlotte Lindholm und die Flüchtlings-Folklore

Seit 20 Jahren ermittelt die „Tatort“-Kommissarin Lindholm. Stark ist sie stets, wenn sie ohne Vorurteile Empathie zeigt.

Von Bernd Klempnow
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Ausgebremst: Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler). Im Film fällt der Satz, dass das Frauenbild im Islam noch Luft
nach oben hätte.
Ausgebremst: Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler). Im Film fällt der Satz, dass das Frauenbild im Islam noch Luft nach oben hätte. © NDR Presse und Information

Solch einen Mord wie im „Tatort: Die Rache an der Welt“ hat es tatsächlich gegeben. 2016 tötete ein afghanischer Geflüchteter in Freiburg eine Studentin – was die Asyldebatte anheizte. Dass viele Jahre vergehen mussten, dies in einem komplexen, aber differenziert erzählten und trotzdem spannenden Film zu verarbeiten, spricht für den deutschen Umgang mit Tabu-Themen.

Zu verdanken ist dies dem vielfach preisgekrönten Autoren- und Regie-Duo Daniel Nocke und Stefan Krohmer. Und Maria Furtwängler als Hauptdarstellerin der Kommissarin Lindholm aus Niedersachsen. Denn die Schauspielerin gestaltet ihre – bewusst von ihr nur einmal pro Jahr angetretene – Rolle und die Fälle stark mit. Ihre analytischen Fähigkeiten werden von den Autoren ebenso geschätzt wie zuweilen gefürchtet. Mittlerweile gehen ihre Ambitionen über die Schauspielerei hin-aus, so hat sie ihren Udo-Lindenberg-„Tatort: Alles kommt zurück“ als Koproduzentin maßgeblich mitverantwortet.

Seit 20 Jahren ermittelt Lindholm, ist sehr norddeutsch, entsprechend dickköpfig, vertraut dem Dienstweg weniger als ihrer Intuition. Man kann diese Art mögen oder nicht, auch die bisher 30 Filme waren nicht immer erste Garde. Stark war und ist sie, wenn sie Fälle mit Haltung und Empathie aufklärt. Kein Wunder: Über ihre MaLisa-Stiftung macht sich Furtwängler für mehr Diversität und Gendergerechtigkeit im deutschen Fernsehen stark.

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Udo Lindenberg in einer Szene aus "Tatort: Alles kommt zurück".
Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Udo Lindenberg in einer Szene aus "Tatort: Alles kommt zurück". © NDR

So wie jetzt in „Die Rache an der Welt“: Ausgangspunkt ist ein moralisches Dilemma – zumindest für jene, die die Augen vor der Realität verschließen oder dem Wunschdenken in vielen Redaktions- und Verwaltungsstuben nachhängen: Kann und darf ein Flüchtling ein Mörder sein? Ist Zurückhaltung angebracht, um Flüchtlinge nicht pauschal zu inkriminieren und Vorurteilen Vorschub zu leisten? Oder sollte sich effektive Ermittlungsarbeit über eine solche Rücksichtnahme hinwegsetzen?

Bei Lindholm kommt gar ein unterschwelliger Rassismus zum Vorschein, als sie auf dem Fußballplatz den Geflüchteten frauenfeindliches Verhalten unterstellt. Zugleich spielt dieser Film mit vielen Klischees. Das Wort von der Flüchtlings-Folklore, mit der Geflüchtete deutsche Erwartungshaltungen bedienen, bringt es wunderbar auf den Punkt: originell und zugleich realistisch – anregend zum Nachdenken über die Figuren und sich selbst.