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Viele West-Geschichten sind untergegangen, sagt Charly Hübner

Jetzt spielt Charly Hübner eine - in der Dörte-Hansen-Verfilmung „Mittagsstunde“. Ein Gespräch zum Knick in der West-Gemeinschaft.

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Charly Hübner stammt aus Neustrelitz und kann gut Plattdeutsch sprechen. .
Charly Hübner stammt aus Neustrelitz und kann gut Plattdeutsch sprechen. . © dpa/Ralf Hirschberger

Das Pensum und Spektrum von Charly Hübner sind unfassbar. Fernsehen, Kino, Serien, Theater, Hörspiel-CDs, Musik, ein eigenes Buch, ein Dokfilm, jetzt die erste Regiearbeit im fiktionalen Bereich, Rollen in Drama, Komödie, Thriller, Horror, Kinderfilm, als Frauenmörder und Ex-Polizeiruf-Kommissar. Wir sprachen mit dem 49-Jährigen zum Kinostart von „Mittagsstunde“, einer sehr melancholischen Nordgeschichte.

„Mittagsstunde“ ist als Buch von Dörte Hansen und auch in Lars Jessens filmischer Adaption eine Steilvorlage für eigene Erinnerungen. Sind Sie ein Erinnerungsmensch?

Ich erinnere mich wirklich gern, schon immer, als Kind, später als Teenie in der DDR, und so ein Film pult dann ja auch gleich wieder vieles hervor.

Populär als "Polizeiruf"-Team aus Rostock: Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Sascha Bukow (Charly Hübner). Hübner verließ das Team unlängst.
Populär als "Polizeiruf"-Team aus Rostock: Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Sascha Bukow (Charly Hübner). Hübner verließ das Team unlängst. © NDR

Sie sind Jahrgang 1972, waren also 16, als es in der DDR brenzlig wurde.

Ja, und ich erinnere, dass in den Jahren davor im Elternhaus und in der Schule über meinen Kopf hinweg so ein komischer Dialog entstand, was aus dem Jungen wohl werden würde und könnte. Eine Fantasie ging in Richtung NVA. Oder Leitungskader. Beides hatte damit zu tun, dass mein Vater Parteimitglied war, Stadtrat, stellvertretender Bürgermeister.

Wie haben Sie auf diese fremden Fantasien für Ihre eigene Zukunft reagiert?

Ich bin komplett geflüchtet, habe mich lieber um Musik und Mädchen gekümmert. Nach dem Ende der DDR war der Einfluss von außen dann verschwunden, ich konnte mich um mich selbst bemühen. Es blieb aber ein starker Impuls, mich an dem zu reiben, was man mit mir vorhatte, herauszufinden, was ich selbst wollte. Zunächst wollte ich Sportler werden, dann vielleicht Journalist oder Dolmetscher, schließlich siegte die Idee, Theater zu machen.

In „Mittagsstunde“ geht es um eine Familienkneipe. Auch Ihre Eltern haben bis 1980 eine Gastwirtschaft betrieben. Gab es irgendwann mal Druck, es ihnen gleichtun zu müssen?

Meine Mutter hätte sich natürlich gewünscht, dass ihr Junge Kellner wird, dabei waren es gerade meine Eltern, die beide in ihren Familien die Kette durchbrochen hatten, also eben nicht Apotheker oder Bauern geworden sind wie ihre Vorfahren.

Es ist nach vielen filmischen Ost-Geschichten interessant, dass „Mittagsstunde“ im Westen spielt und dort im hohen, sehr eigenen Norden.

Viele dieser West-Geschichten sind in den letzten Jahrzehnten untergegangen. Auch der Westen hat ja nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach so „deutsch“ weitergelebt wie zuvor. Dörte Hansen erzählt sehr impressionistisch und eindrücklich vom Knick in einer Dorfgemeinschaft, von Scham und gebrochenen Weltbildern, aber eben auch vom Aufteilen der Äcker, um Ideen wie Marktwirtschaft und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu folgen. Und sie erzählt von leisen Kindern, die ihrem Wesen nach nicht in der Lage sind, ihre Sprachlosigkeit umzuwandeln. Menschen bauen Schutzwälle um sich, das hat Gründe. Auch Ingwer, der 25 Jahre lang seine Dreierbeziehung nicht anrührt, weil er kein seelisches Handwerkszeug dafür hat.

Kennen Sie vom Beginn der Neunziger den Übergang kollektiver Neugier in ein Taumeln?

Ich persönlich kenne aus dieser Zeit kein Taumeln. Die Theateridee in Neustrelitz auszuleben, war für uns die coolste Nummer. Die Aussicht, dann in einer der Top-Schauspielschulen in Rostock, Berlin, Leipzig oder Potsdam zu studieren, war verführerisch. Dass es Berlin wurde, war für mich ein Volltreffer. Frank Castorf hatte an der Volksbühne angefangen, Thomas Langhoff war noch am Deutschen Theater, Andrea Breth an der Schaubühne, das Schillertheater war noch geöffnet, dazu die Opernhäuser, all der Techno, Rave, Punk. Man sah als junger Mensch aus der Kleinstadt auf ein gewaltiges kulturelles Œuvre, das hat uns fast ein Jahrzehnt getragen.

Haben Stadt und Land als Lebensmittelpunkte mit Ihnen gerungen?

Land war für mich in den Neunzigern erst mal gelaufen. Ich wollte zumindest mal jene 17 Jahre, die ich auf dem Land gelebt hatte, in der Stadt zubringen. Erst danach habe ich alles neu betrachtet, auch mein Verhältnis zum Land. Die südmecklenburgische Gegend hat für mich wirklich etwas Besonderes, auch nach allen Reisen durch die Welt. Dort kommt schon ganz viel Gutes zusammen.

Gibt es noch älteste Freunde?

Ja, einen!

Warum hat die Freundschaft gehalten?

Sie war auch gerissen. Jeder hat für sich seinen Lebensritt in völlig verschiedenen Welten gemacht und jetzt sitzen wir mit fast 50 voreinander und müssen vor allem lachen. Das ist schön. Wir haben zwischen 13 und 17 all die wichtigen Sachen, die man in diesem Alter erlebt, geteilt. Wir haben uns alles erzählt, weit vor den Eltern oder Geschwistern, und wir haben zum Teil bis heute Geheimnisse.