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ARD-Serie "Das Begräbnis": Wehe, wenn die Westfrau kommt

Die Impro-Serie „Das Begräbnis“ mit Charly Hübner, Devid Striesow und Claudia Michelsen zeigt, wozu das Fernsehen in der Lage ist, - wenn es nur will und sich traut.

Von Oliver Reinhard
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Ratlose Hinterbliebene: Hildegard (Christine Schorn) mit den Söhnen Mario (Charly Hübner, M.) und Thorsten (Devid Striesow).
Ratlose Hinterbliebene: Hildegard (Christine Schorn) mit den Söhnen Mario (Charly Hübner, M.) und Thorsten (Devid Striesow). © ARD

Der Don ist nicht mehr. Wolf-Dieter Meurer war Oberhaupt einer Klempner-Dynastie in einem Dorf im ehemaligen Westzipfel der ehemaligen DDR. Er ist erfolgreich durch zwei Systeme und zwei Ehen geschlüpft, mit einer Gattin Ost und einer Gattin West sowie drei Kindern. Die stehen nun samt vielen anderen Verwandten, Bekannten, Freunden um Wolf Dieters Grab herum. Man ist halbwegs ergriffen, lauscht dem betörend schrägen Trauergesang eines schon arg verwitterten Männerchors, der sich tapfer gegen nicht minder schräge Keyboardklänge stemmt und „Alt wie ein Baum“ intoniert.

Doch man ist hier im Osten und also pragmatisch, auch beim letzten Geleit. „Ich bin jetzt der Chef“, sagt Wolf-Dieters Sohn Mario noch zwischen Leichenverabschiedung und -schmaus zu Adoptivschwester Anna. „Du kannst mit einsteigen. Und für deinen Carsten finden wir noch irgendwas.“ Aber auch hier gilt: Verkaufe nie die Haut des Wildschweins, bevor du es erlegt hast.

Des alten Meurers zweite Frau Gaby (Catrin Striebeck) lebt schon lange im Dorf. Aber, wie Meurers Ziehtochter Anna sagt, so richtig in die Gemeinschaft "imprägniert" ist sie nicht.
Des alten Meurers zweite Frau Gaby (Catrin Striebeck) lebt schon lange im Dorf. Aber, wie Meurers Ziehtochter Anna sagt, so richtig in die Gemeinschaft "imprägniert" ist sie nicht. © ARD

Der Klempner-Clan wird um sein Erbe geprellt

Denn so sicher sich die meisten Hinterbliebenen auch sind, dass der Nachlass wie üblich geregelt sein dürfte, so unangebracht ist ihre Hoffnung. Weil – ausgerechnet – West-Witwe Gaby ein „Berliner Testament“ vorlegt, das der Verschiedene kurz vor knapp verfasst hat und besagt: Gaby erbt alles. Zur Empörung und Verzweiflung des restlichen Klempner-Clans. Das bleibt nicht die einzige sich auftuende Verwerfung in „Das Begräbnis“, einer sogenannten Impro-Serie der ARD.

Die ist, man darf das so vollmundig sagen, herzerfrischend tragikomödiantisch, großartig besetzt und nicht minder famos erzählt, gefilmt, gespielt. Zudem ein weiteres Beispiel dafür, wie viel Wahres selbst abgelutschteste Sprichworte oft beinhalten, etwa jenes, das mit „Wer wagt ...“ beginnt.

Standfest am Stehtisch: Meurers in den Westen gegangene Tochter Sabine (Claudia Michelsen, l.) mit ihrer Stiefschwester Anna (Anja Kling) und Dorfwirt Frank (Uwe Preuss).
Standfest am Stehtisch: Meurers in den Westen gegangene Tochter Sabine (Claudia Michelsen, l.) mit ihrer Stiefschwester Anna (Anja Kling) und Dorfwirt Frank (Uwe Preuss). © ARD

Ohne Drehbuch, ohne feste Dialoge

Richtiger muss es „Wer wieder wagt“ heißen. Weil „Das Begräbnis“ nicht die erste ARD-Produktion ist, die statt eines Drehbuchs nur Charaktere, Konstellationen und einen eher lockeren Handlungsrahmen vorgibt. Der Rest, das Füllen und Entwickeln der Geschichte, bleibt den Schauspielerinnen und Schauspielern überlassen, deren Fantasie, deren Einfällen, deren Improvisationstalent. Auch die ARD hat sich daran bereits diverse Male versucht, mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Wobei „weniger“ vor allem an den Reaktionen des filmästhetisch eher konservativ eingestellten „Tatort“-Publikums liegt, zum Beispiel bei der Folge „Das Team“, ausgestrahlt Neujahr 2020. Die stammt vom Schauspieler, Autor und erfahrenen Impro-Regisseur Jan Georg Schütte, dessen gelungenste Experimente „Altersglühen“, „Wellness für Paare“ sowie „Klassentreffen“ heißen und jetzt auch „Das Begräbnis“.

Eigentlich ist Carsten (Martin Brambach, r.) ein ganz netter Kerl. Aber wenn der labile Loser sich aufregt, brennen ihm schon mal die Sicherungen durch.
Eigentlich ist Carsten (Martin Brambach, r.) ein ganz netter Kerl. Aber wenn der labile Loser sich aufregt, brennen ihm schon mal die Sicherungen durch. © ARD

Verfolgt vom fingerbrechenden Schuldeneintreiber

Dafür waren Dutzende Schauspielerinnen und Schauspieler am Werk. Es gibt allein 17 tragende Rollen, und der Einsatz von 56 Kameras erklärt sich durch den Ansatz: Die Geschehnisse eines einzigen Tages werden mehrfach erzählt, aus sechs verschiedenen Perspektiven von sechs Figurenpaarungen für sechs Folgen. Was unter anderem den Vorteil hat, dass die Sache ziemlich empathisch ist. Weil somit klar wird, dass etwa die böse und gierige zweite Witwe Gaby (Catrin Striebeck) gar nicht so böse und gierig ist, wenn man das alles aus ihrem Blickwinkel betrachtet.

Der Perspektivwechsel ermöglicht noch einen anderen Dreh, nämlich das Spielen mit und das Brechen von Vorurteilen. Denn „Das Begräbnis“ ist auch eine Ost-West-Geschichte. Gaby kommt ebenso von „drüben“ wie der traurige Finanzberater Patrick König (Dirk Martens). Außerdem lebt Meurer-Tochter Sabine (Claudia Michelsen) dort noch immer ihrem Glück hinterher, läuft ihr umtriebiger Bruder Thorsten (Devid Striesow) seinem dort ausgelösten und selbstverschuldeten Unglück davon, einen fingerbrechenden Schuldeneintreiber auf den Fersen.

Böcki (Gustav Schmidt) kümmert sich um Jacky (Luise von Finckh). Die Influencerin ist die Enkelin des toten Klempner-Clan-Oberhaupts. Aber nicht die Tochter ihres Vaters ...
Böcki (Gustav Schmidt) kümmert sich um Jacky (Luise von Finckh). Die Influencerin ist die Enkelin des toten Klempner-Clan-Oberhaupts. Aber nicht die Tochter ihres Vaters ... © ARD

Von den Alt-Ostlern mehr geduldet als geschätzt

Das macht seinen Bruder Mario (Charlie Hübner) noch fassungsloser als die Erfahrung, dass sein Vater ihn nicht als Nachfolger auf dem Familienchefsessel vorgesehen hat. Ohnehin haben sie alle es nicht eben leicht. Gaby und König leiden darunter, dass sie von den Alt-Ostlern mehr geduldet als geschätzt werden. Meurers Ziehtochter Anna (Anja Kling) ist nicht die Hellste, aber standfest, was sie auch sein muss in der Ehe mit dem labilen und cholerischen Loser Carsten (Martin Brambach).

Der Sohn von Meurer Senior und Gaby heißt Kevin (Enno Trebs) und versucht, sich mithilfe der Kunst von seinem Clan zu emanzipieren. Er und Influencerin Jacky (Luise von Finckh), Tochter von Anna und Carsten, sind die vielleicht berührendste Paarung der Serie. Auch weil Anna gar nicht Carstens Tochter ist. Sondern die von ...

Auch Pastor Ernst (Thomas Thieme) trägt ein Geheimnis mit sich herum. Das reicht weit zurück in die DDR-Zeit.
Auch Pastor Ernst (Thomas Thieme) trägt ein Geheimnis mit sich herum. Das reicht weit zurück in die DDR-Zeit. © ARD

Auch die Themen Stasi und Flucht werden abgehakt

Auch der Handlungsschlenker in Sachen Verrat, Stasi, Westflucht um die alten Freunde Pastor Ernst (Thomas Thieme) und Klaus (Jörg Gudzuhn) hat seinen Reiz, wirkt aber ein wenig pflichtschuldig nach dem Motto: So, hätten wir das auch abgehakt. Sonst aber fügt sich das Impro-Puzzle zur weitestgehend schlüssigen und runden Angelegenheit, die ebenso viel herrlichen Witz hat wie bewegende Tragik. Die vor allem zeigt, dass dieses Land jede Menge großartige Schauspielerinnen und Schauspieler hat, die weit mehr können als das (und ungeheuren Spaß beim Drehen hatten), wenn man sie nur lässt. Und wenn sie an jemanden geraten wie Improvisations-Könner Jan Georg Schütte.

Am Dienstag läuft die letzte Folge im Ersten, bis Juli steht die komplette Serie in der Mediathek. Wer es bis dahin nicht schafft, hat wirklich Pech gehabt.