Irgendwas ist immer. Haben amerikanische Belletristen in der Regel eine äußerst entspannte Haltung zu den Verfilmungen ihrer Bücher, nörgeln deutsche ständig daran herum. Das war vor knapp 40 Jahren bei Michael Ende und „Die unendliche Geschichte“ so, das ist jetzt bei Frank Schätzing und „Der Schwarm“ nicht anders. „Es pilchert mehr, als es schwärmt“, nölte der 65-jährige Kölner in der Wochenzeitung Die Zeit in Anspielung auf die ebenfalls im ZDF laufenden Schmonzetten nach Rosamunde Pilcher.
Besonders schlimm für ihn: „Dass sie unter ihren Möglichkeiten bleibt. Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV.“ Die Möglichkeiten sind in der Tat überwältigend: Vor fast zwei Jahrzehnten schlug Schätzings Öko-Thriller in den Buchmarkt wie ein Meteor in einen Fischteich. Allein in Deutschland wurde „Der Schwarm“ rund 4,5 Millionen Mal verkauft und weltweit in 27 Sprachen übersetzt. Genug neugierige Masse war also vorhanden.
Wer aus dem Meer will die Menschheit vernichten?
Dann dieser Inhalt: Überall auf der Welt kommt es zu Angriffen auf Menschen durch Meeresgetier vom Wal bis zum Plankton. Die Vorfälle nehmen immer schlimmere Auswüchse an mit immer mehr Toten. Schließlich wühlen sich Würmer vor Norwegen in den Kontinentalhang und lösen einen Tsunami aus, der Europas Küsten verwüstet. Es wird klar: Eine unbekannte Intelligenz aus dem Meer will die Menschheit vertreiben oder vernichten. Politiker, Wissenschaftler und Militärs entsenden eine Expedition, um die mysteriöse Macht aufzuhalten.
Kurzum: In „Der Schwarm“ geht es um so harte Sachen wie Meeresbiologie, Geologie, Verhaltensforschung, künstliche Intelligenz, Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Natur, ignorante Politik, desinteressierte und genusssüchtige Erdbewohner. Alles präsentiert mit massiv viel Action und Menschelei, obendrein mit reichlich Wissenschaft und Wissen, aber dennoch nachvollziehbar.
Hollywood sagte erst zu und dann wieder ab
Eine ganz große Sache also. Ein garantierter Großleinwand-Blockbuster in der sehr erfolgreichen Tradition der Katastrophenfilme. Trotzdem blieb es seit vielen Jahren nur bei Ansätzen, den Stoff auch zu verfilmen. Hollywood war interessiert, über Besetzungen wurde immer wieder gemunkelt, doch niemand kam in die Pötte. Bis es Schätzing zu dumm wurde, er die Angelegenheit selbst in die Hand nahm, mit dem ZDF als Partner die Verfilmung anging, mit am Drehbuch schrieb, sich wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Umsetzung dann aber wieder zurückzog und das Zweite notgedrungen alleine weitermachen ließ.
Nun also ist „Der Schwarm“ da, als Achtteiler für daheim statt als Einteiler fürs Kino. Stream dir die Katastrophe ins Wohnzimmer. Vorab sei eingeräumt: Ob das Großprojekt insgesamt eher ge- oder misslungen ist, lässt sich auch von Journalisten mit ZDF-Presseserver-Zugang nicht verraten. Man war in Mainz so frei, nur sechs von acht Folgen zugänglich zu machen. Was für den Sender den Vorteil hat, dass kein Normalsterblicher sagen kann: Lass es bleiben, lohnt sich nicht.
Zigtausend Krabben verfolgen ein Liebespaar
Was schon die erste Folge verrät: Die Katastrophe sieht verdammt gut aus. Die Hauptdarstellerin, das Meer, ist über wie unter Wasser großartig in Szene gesetzt. Da haben die Kameramänner David Luther und Dominik Berg ebenso famose Arbeit geleistet wie Szenarist Julian Wagner in diesem seltsam kerle-lastigen Team. Dass deutsche Special Effects seit Langem Weltstandards setzen, sieht man auch „Der Schwarm“ an, bis auf wenige Ausnahmen.
Und ohne Effekte ginge – natürlich – überhaupt nichts. Schließlich müssen Riesenkillerwellen das Land heimsuchen, Orcas Touristen vertilgen, zigtausend Krabben Liebespaare jagen, Wale Boote zerschmettern und andere Schiffe unter Wasser gezogen werden. Entsprechend hoch sind der Schauwert des Achtteilers und der Spannungsanteil, denn das Unheil kündigt sich jedes Mal mit gepflegt und gekonnt unheilvoller Stimmung an, wie es im Katastrophengenre guter Brauch ist.
Auch spielerisch ist am „Schwarm“ nichts auszusetzen. Manch Mitwirkende läuft zur Höchstform auf und darf das rollenbedingt auch, wie Barbara Sukowa als skeptische Chef-Wissenschaftlerin Katharina Lehmann und Cecile de France als Molekularbiologin Cécile Roche. Überhaupt geht das Drehbuch größtenteils respekt- und sinnvoll mit dem Personal der Vorlage um.
Einige Figuren werden nahezu unverändert übernommen wie der kanadische Zoologe Leon Anawak (Joshua Odjick) und Biologe Sigur Johanson (Alexander Karim), einige leicht variiert und unbenannt, bleiben jedoch wiedererkennbar. Andere lässt man fallen, um wieder andere hinzuzuerfinden, weil die Dramaturgie eines Films nun mal andere Bedürfnisse hat als die eines Romans, auch wenn der ohnehin schon sehr cineastisch erzählt ist. Bleibt die Serie „unter ihren Möglichkeiten“, wie Schwarmvater Schätzing meint? Ja und nein.
Liebe zum knackigen Kutterkapitän
Einerseits zollt sie dem im Gegensatz zur Bucherscheinungszeit wesentlich aufgeklärteren Gesellschaftsbewusstsein Tribut, indem sie die Geschichte kulturell-herkunftsmäßig voll korrekt besetzt. Dafür macht das Skript sogar aus einem weißen einen schwarzen Wissenschaftler und entfernt mit der ersatzlosen Streichung einer eiskalten mörderischen Hauptfigur des Romans dessen übelstes Asiaten-Klischee gleich mit.
Andererseits verliert „Der Schwarm“ mit dieser bösen Bubin auch seine einzige wirklich negative Hauptfigur, den großen Antagonisten zu den Guten, den unverzichtbaren Bond-Bösewicht. Was indes am allermeisten erstaunt, gerade bei so viel personalpolitischer Zeitgeisterei: Das große Thema der Gegenwart, der Klimawandel, hüpft vergeblich aufmerksamkeitsheischend „Hier! Hier!!!“ schreiend auf dem Präsentierteller herum. Dieses Potenzial, das heute zigfach größer ist als damals, verschenkt „Der Schwarm“ tatsächlich mit erstaunlicher Leichtfertigkeit.
Das zweite größere Problem heißt Barbara Eder
Dafür fügte das Autorinnentrio dem Stoff jede Menge Zwischenmenschlichkeiten hinzu: Freundschaft, Liebe, Leidenschaft etcetera. Was teils gut funktioniert, gerade bei Meeresbiologin Charlie Wagner (Leonie Bennesch), die einen knackigen Kutterkapitän freien darf und verlieren muss. Dennoch meckert Frank Schätzing auch in diese Richtung nicht zu Unrecht: Im mittleren Drittel rosamundepilchert es schon arg und seichtet vor sich hin.
Womit wir beim zweiten größeren Problem der Serie neben der Klimawandel-Verschenkung wären: Barbara Eder, die bei den Folgen drei bis sechs Regie führte. Nachdem Luke Watson einen sorgfältig erzählten und dramaturgisch ausgereiften Start hinlegt, lässt Eder die Zügel schleifen und die Geschichte ins Unentschiedene abdriften mit viel zu viel herzelndem Gerede und viel zu wenig stringentem Erzählen. Sie schafft es sogar, dass neben dem Unheil auch stellenweise Langeweile aufzieht. Das ist durchaus bemerkenswert.
Doch es gibt Hoffnung: Das Finale hat Philipp Stölzl inszeniert, der einer der besten deutschen Bühnen- und Filmregisseure ist („Nordwand“, „Der Medicus“, „Schachnovelle“) und ein gutes Händchen für unterhaltsamen Anspruch hat und umgekehrt. Einige Dresdnerinnen und Dresdner konnten sich davon auch schon im Staatsschauspiel überzeugen, wo Stölzl vor sechs Jahren „Der Phantast. Leben und Sterben des Dr. Karl May“ zum Glänzen brachte.
Ob sich „Der Schwarm“ unter Stölzls Händen von seinem Durchhänger erholt, werden die beiden letzten Folgen verraten, die vom ZDF bis auf Weiteres auch gegenüber der Presse besser gehütet werden als die Kronjuwelen im Grünen Gewölbe.
In der Mediathek sind ab 1. März die Folgen 1 – 6 abrufbar, die beiden letzten ab 8. März.
Im ZDF läuft „Der Schwarm“ ab 6. März.