Von Christian Hollmann
Nach dem Auftaktdämpfer von Australien wollte sich Sebastian Vettel partout keine Krise einreden lassen. „Ich bin nicht beunruhigt. Wir müssen eben zugeben, dass manchmal die anderen auch schneller sind“, betonte der Titelverteidiger nach der unerwartet deutlichen Niederlage im ersten Formel-1-Saisonrennen. Düpiert vom Sensationsgewinner Kimi Räikkönen im Lotus und geschlagen vom Ferrari-Gegner Fernando Alonso fuhr der von Position eins gestartete Deutsche am Sonntag in Melbourne als Dritter ins Ziel. „Den Trend, den es eventuell hier gab, der hielt meist nicht lange.“ Getreu dieser Prognose feierte er gewohnt lausbubenhaft den Erfolg seines Freundes mit. Auf dem Podest im Albert Park bespritzte der dreifache Weltmeister den Finnen kräftig mit Champagner und stieß anschließend sogar lässig mit Alonso an. „Es ist eine lange Saison. Das sind gute Punkte, auch wenn wir auf mehr gehofft hatten“, erklärte der 25-Jährige.
Die Konkurrenten wittern ihre Chance
Seine Rivalen aber dürften aus den Ereignissen durchaus Zuversicht für den weiteren Verlauf ziehen. Nach klarer Überlegenheit in Training und Qualifikation waren die Red Bulls im Rennen schlagbar. „Es war einer meiner leichtesten Siege“, meinte Räikkönen. „Das ist ein gutes Zeichen für uns. Bis jetzt läuft es gut. Es gibt keinen Grund, warum es nicht so bleiben sollte.“ Bei seinem 20. Grand-Prix-Erfolg kam der Iceman als einziger Spitzenfahrer mit lediglich zwei Boxenstopps aus und gab dadurch einen weiteren Hinweis, worauf es in dieser Saison ankommt: den schonenden Umgang mit den Reifen. „Das war unser Plan vor dem Rennen, und ich war sehr zuversichtlich, dass es funktionieren würde. Wir hatten das ganze Wochenende über ein gutes Auto.“ Zu siegessicher war Räikkönen sich aber zu keiner Zeit. „Ich hatte auch meine Zweifel, denn im ersten Rennen weiß man nie, wie alles geht, aber ich hatte ein gutes Gefühl, dass es ein gutes Rennen werden würde.“ Zu seinen WM-Chancen wollte er nichts sagen. „Es ist gerade mal ein Rennen vorbei, und wir haben noch immer sehr viel Arbeit vor uns, aber wir haben ein sehr gutes Auto.“ Eins, das bereits jetzt für Siege reif ist – und eventuell mehr.
Mercedes verpokert sich bei den Reifen
Lewis Hamilton wurde Opfer des Reifenpokers. Der Mercedes-Neuzugang musste mittendrin die Strategie wechseln und auch ein drittes Mal an die Box. Er belegte Platz fünf. „Wir haben insgesamt einen Schritt nach vorn gemacht. Es hat niemand an diesem Wochenende erwartet, dass wir so weit vorn mitmischen können. Wir sind in einer guten Position für die nächsten Rennen“, betonte der Brite. Sein Mannschaftsgefährte Nico Rosberg musste aufgrund eines Elektronikdefektes aufgeben. „Es war alles im grünen Bereich, hat sich alles gut angefühlt im Radio. Aber auf einmal war es offenbar doch nicht so gut in Sachen Performance. Es hatte zuvor schon gestottert“, erklärte der Wiesbadener nach seinem Ausfall. Aufsichtsratsboss Niki Lauda nahm den Fehler auf seine Kappe. „Die Stromzufuhr zur Batterie war nicht mehr da. Das war ein Fehler von der Motorenabteilung“, meinte er. Nicht zufrieden war der Österreicher mit der Taktik: „Der Boxenstopp von Hamilton war im Vergleich zu den anderen fünf Runden später. Vielleicht hätten wir strategisch etwas früher reinkommen können.“ Auch Motorsportchef Toto Wolff gab sich eher ernüchtert mit Blick auf die Bilanz: „Nicht zufrieden. Ein technischer Ausfall ist nicht akzeptabel. Das müssen wir in den Griff kriegen und sehen, was es ist.“ Der fünfte Rang von Hamilton sei „kein Desaster und ein solides Ergebnis. Wir haben wieder eine Menge gelernt über die Reifen. Von der Strategie her hätten wir es vielleicht ein bisschen anders machen müssen. Früher stoppen oder sogar – was jetzt ein wenig verrückt klingt – mit dem ersten Reifen ein bisschen länger gehen.“ Das war ein durchwachsener Neustart für den umformierten Werksrennstall.
Der Rückkehrer führt zum ersten Mal
Auch dem bravourös auftrumpfenden Adrian Sutil wurden die Reifen bei seinem Comeback zum Verhängnis. Der Force-India-Fahrer sammelte zwar im 91. Grand Prix die ersten Führungskilometer, rutschte mit einem abgefahrenen Reifensatz aber schließlich noch bis auf Position sieben ab. „Ich bin sehr stolz. Ich weiß ja erst seit drei Wochen, dass ich wieder fahren darf“, sagte er. „Ein tolles Rennen. Es hätte nicht besser laufen können. Es ist ein unglaubliches Gefühl, das erste Mal Führungskilometer zu machen. Auf den superweichen Reifen am Ende ging es ein bisschen schwieriger, aber ich habe gekämpft.“ 2012 fehlte der Gräfelfinger. „Vielleicht hat das gut getan, einmal ein bisschen was anderes zu machen. Ich habe die Zeit genutzt, den Kopf frei zu bekommen. Aber es war schön, dass ich wieder eine Chance erhalten habe. Ich bin frisch, fühle mich gut und habe die Vergangenheit abgehakt.“ Chance genutzt.
Der Umsteiger muss Debüt verschieben
So hatte sich Nico Hülkenberg seine Premiere bei Sauber nicht vorgestellt. Er durfte aufgrund von Problemen mit der Benzinzufuhr an seinem Auto wegen der daraus resultierenden Explosionsgefahr nicht starten. „Was mich am meisten stört, ist die Tatsache, dass mir jetzt diese Kilometer einer Renndistanz fehlen. Die hätten mir eine Menge Daten und Informationen im Hinblick auf die nächsten Rennen gegeben“, betonte der ehemalige Williams-Fahrer. Immerhin: Die nächste Chance bietet sich ihm bereits am nächsten Sonntag in Malaysia – und allen anderen auch.
Das nächste Rennen kommt bestimmt
So nahm eigentlich jeder sehr viel Arbeit mit auf die Weiterreise zum zweiten Grand Prix in Sepang bei Kuala Lumpur. „Wir haben ein sehr interessantes Jahr vor uns“, erklärte Alonso. Der turbulente Saisonstart mit einer aufgrund des Regens vertagten Qualifikation und einem Rennen mit vielen Führungswechseln verspricht in der Tat einiges. Der nächste Stopp verlangt Fahrern und Teams erneut alles ab. 30 Grad Celsius, extreme Luftfeuchtigkeit und das längste Rennen des Jahres bringen alle ans Limit. „Das wird ein anderes Rennen“, meinte Vettel. Darin liegt seine Hoffnung. So einfach will er sich auch von seinem Kumpel Räikkönen nicht vom Thron stoßen lassen. (dpa mit SZ/sw)
Australien-Grand-Prix, Melbourne (58 Runden = 307,574 Kilometer):
1. Räikkönen (Finnland) Lotus 1:30:03,225 Stunden (Schnitt: 204,927 km/h);
2. Alonso (Spanien) Ferrari 12,451 Sekunden zurück;
3. Vettel (Heppenheim) Red Bull 22,345;
5. Hamilton (Großbritannien) Mercedes 45,561;
7. Sutil (Gräfelfing) Force India 1:05,068 Minuten;
ausgefallen: Rosberg (Wiesbaden) Mercedes (27.);
nicht gestartet: Hülkenberg (Emmerich) Sauber.