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Folter auf dem Neumarkt

Canaletto hat sie gemalt. Lange blieben sie unentdeckt. Drei Gerätschaften, die die Dresdner das Fürchten lehrten.

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© Bildmontage: Jörg Hausmann, Heizfrosch-Werbung

Von Beate Erler

Im Jahre 1723 schrieb Peter Georg Mohrenthal, Herausgeber zahlreicher Zeitschriften: „Am 24. April vormittags von 9 bis 12 Uhr hat ein Kerl, seiner Profession nach ein Tabakspinner, in Weibskleidern aufn Neumarkt aufn Esel reiten müssen.“ Die Übersetzung in heutiges Deutsch hinterlässt Fragezeichen. Gab es im 18. Jahrhundert in Dresden schon Travestiekünstler? Und war das Eselreiten damals so etwas wie der mechanische Bullenritt heute?

Der Schandesel soll in Originalgröße nachgebaut werden.
Der Schandesel soll in Originalgröße nachgebaut werden. © Christian Juppe

Fragen, die sich Mario Sempf und Thomas Zahn niemals stellen würden, denn sie wissen genau, was es mit dem Eselsritt auf sich hatte. Sie zeigen auf ein Bild, gemalt von Bernardo Bellotto, vielen als Canaletto bekannt. Eine schöne Darstellung der Frauenkirche, davor die Hauptwache, einige Menschen laufen über den Marktplatz. Nur wer ganz genau hinschaut, so wie die beiden Hobbyhistoriker, erkennt das Dreiergespann auf dem Marktplatz: Galgen, Schandpfahl und Schandesel.

Mittel zur Bestrafung von Unfugtreibenden und Trunkenbolden. So wie der oben erwähnte Tabakspinner einer war. Die Nacht zuvor war er verkleidet als Frau durch die Gassen gezogen und wurde dabei von der Patrouille aufgegriffen, schreibt Mohrenthal weiter. Tags darauf musste er für drei Stunden in diesem Aufzug auf dem scharfkantigen Holzesel sitzen. „Das war eine grauenhafte Bestrafung“, sagt Mario Sempf, „nicht so schlimm wie Ohren und Finger abschneiden, aber auf so einem Esel hält man es nicht lange aus.“

Die Schandgeräte standen nicht zufällig auf einem öffentlichen Platz, sondern dienten der Abschreckung und Demütigung. Auf dem sogenannten Gerichtsplatz mussten zum Beispiel auch geschwätzige oder zanklustige Leute und Diebe Schandmasken tragen. Das gruselige Trio aus Galgen, Schandpfahl und Esel stand von circa 1700 bis 1760 unweit des heutigen Lutherdenkmals vor der Frauenkirche.

Eine neue Entdeckung, so scheint es, die Thomas Zahn als Airbrush-Künstler durch Zufall beim Malen machte. Auf dem Canaletto bemerkte er die sonderbaren Gerätschaften. Seine Neugier war geweckt. Auch die von Mario Sempf. „Bisher hat die Geschichte noch niemand verfolgt und das nur, weil keiner genau hingeschaut und nachgefragt hat“, sagt der experimentelle Archäologe, der sich seit mehreren Jahren mit der Gerichtsbarkeit in Dresden beschäftigt. Auch an der Professur für Geschichte der frühen Neuzeit an der TU war von den Schandgeräten an dieser Stelle nichts bekannt, erzählt er. Der Esel oder auch spanischer Bock wurde schon im Mittelalter für die Hexenfolter verwendet. Dabei handelte es sich um eine keilförmige Konstruktion aus Holz, die nach oben hin spitz zulief. Die Frauen wurden meist nackt und mit gespreizten Beinen auf den Bock gesetzt. Da ihre Beine in der Luft hingen, fügte der Bock ihnen schwerste Verletzungen zu. In fast jedem Foltermuseum steht solch ein spanischer Esel heute noch.

Drei Meter hoher Schandesel

Der in Dresden auf dem Neumarkt war schon weniger martialisch. Im 18. Jahrhundert waren die Foltermethoden im Vergleich zu denen im Mittelalter humaner geworden. Trotzdem gehörten Schandgeräte dieser Art zum damaligen Verständnis von Strafjustiz. Der schätzungsweise drei Meter hohe Esel stand zur Abschreckung auf dem Marktplatz. Delinquenten mussten mehrere Stunden auf ihm sitzen. Wer einmal auf dem Esel gesehen wurde, hatte neben Schmerzen auch seinen Ruf weg.

Auf dem Dresdner Geschichtsmarkt an diesem Wochenende sind Sempf und Zahn mit einem Stand dabei. Mit ihrem Thema Strafjustiz in Dresden und ihren nachgebauten Foltergeräten werden sie dort wohl etwas aus der Reihe tanzen. Genau das ist gewollt, denn Dresden ruhe sich schon zu lange auf der Barockzeit aus. Die Touristen bekommen nur Dresdens Glanz zu sehen, dabei gibt es spannende Entdeckungen zur dunklen Seite der Stadt zu machen.

Beide wollen Geschichte erlebbar machen und planen den Nachbau des Schandesels. Sie wollen austesten, wie es sich anfühlt, da oben zu sitzen und was die Menschen damals ausgestanden haben. Der Esel soll dann auf verschiedenen Veranstaltungen zum Einsatz kommen. „Obwohl es bei uns viel um das Thema Tod geht, muss es trotzdem lebendig sein“, sagt Sempf.

Weil sie oft in Archiven graben und dicke Bücher lesen, stoßen die Hobbyhistoriker immer wieder auf neue Hinweise. So haben sie ein Dokument gefunden, das darauf hindeutet, dass der Esel, der Galgen und der Schandpfahl nach 1760 vom Neumarkt in die Neustadt gewandert sind. Die „drei Justitia“ sollen auch am Schwarzen Thor, dem heutigen Albertplatz, gestanden haben. Auch das wissen sie bisher noch nicht sicher, macht die Suche nach der Wahrheit aber gleichzeitig so spannend.

Dresdner Geschichtsmarkt unter dem Motto „Die Geschichte von Kunst und Kultur in Dresden“: Samstag von 10 bis 17 Uhr und Sonntag von 10 bis 15 Uhr; Fakultät Informatik auf der Nöthnitzer Straße 46