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Forscher fragen bei Ostdeutschen nach

Fast 30 Jahre nach der Wende wollen Wissenschaftler wissen, wie die Menschen den Alltag in der DDR und deren Zusammenbruch wirklich erlebt haben.

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© imago images / teutopress (Symbolbild)

Erfurt. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gehen Thüringer Wissenschaftler dem persönlichen Blick von Ostdeutschen auf die DDR und die Umbrüche nach der Wende und der deutschen Einheit nach. "Bis heute gibt es eine Diskrepanz zwischen dem in der öffentlichen Debatte vorherrschenden DDR-Bild und dem individuell Erlebten", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Ettersberg zur Diktaturforschung, Jörg Ganzenmüller, der Deutschen Presse-Agentur. Viele Menschen fänden sich in dieser Debatte nicht wieder. "Wir wollen das jetzt zusammenbringen."

Der Historiker koordiniert ein neues Forschungsprojekt, das vom Bund mit vier Millionen Euro unterstützt wird. In den 1990er Jahren sei die Debatte vor allem vom Thema Staatssicherheit (Stasi) bestimmt gewesen, sagte Ganzenmüller vor dem offiziellen Projektstart am Dienstag. "Viele frühere DDR-Bürger sagen aber, dass das Stasi-Thema nicht ihrem Erleben entsprach." Dennoch habe die SED-Diktatur natürlich auch in deren Alltagsleben hineingewirkt, indem viele Menschen sich in Nischen jenseits des Regimes zurückzuziehen versucht hätten.

Ein Schwerpunkt der Historiker, Sozial- und Politikwissenschaftler sind Interviews von Zeitzeugen zum DDR-Alltag und zu persönlichen Wende-Umbrüchen. Im Blick haben sie dabei Familien, die generationenübergreifend befragt werden sollen – von der Aufbaugeneration und deren in den 1960er und 1970er Jahren geborenen Kindern bis hin zu den heute etwa 30-Jährigen der Nachwendegeneration. "An ihnen interessiert uns, wie die Erinnerung diejenigen prägt, die die DDR nur noch aus Familienerzählungen kennen", sagte die Historikerin Christiane Kuller von der Universität Erfurt. Dort wird derzeit eine zentrale Anlaufstelle für die Zeitzeugenbefragung eingerichtet.

Historikerin Christiane Kuller von der Universität Erfurt.
Historikerin Christiane Kuller von der Universität Erfurt. © Universität Erfurt/dpa

Andere Aspekte sind der Wandel des DDR-Bildes im Schulunterricht, die oft beklagte Benachteiligung von Katholiken in der DDR sowie Orte der Überwachung und des Widerstands. In Erfurt war es Anfang Dezember 1989 zur ersten Besetzung einer Stasi-Bezirkszentrale durch Bürgerrechtler gekommen, sie ist heute die Gedenkstätte Andreasstraße. Aus dem auf vier Jahre angelegten Forschungsprojekt sollen unter anderem eine Topografie dieser Orte wie auch der Familienerinnerungen, Ausstellungen und Material für den Geschichtsunterricht entstehen.

Beteiligt an den Forschungen sind außerdem die Universität Jena und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen. Zur Auftaktveranstaltung am Dienstag wird unter anderem der Regisseur Andreas Dresen ("Gundermann") in Erfurt erwartet. (dpa)