Von Alexander Schneider und Annette Binninger
Als Fahnder des Bundeskriminalamtes (BKA) am 12. August 2008 das Haus von Herbert Süß in Dresden-Kleinzschachwitz betreten, staunen sie nicht schlecht. Eigentlich sind sie nur auf Dokumente zum dramatischen Untergang der Landesbank Sachsen aus. Auch gegen den Ex-Vorstandschef Herbert Süß wird dazu seit Herbst 2007 ermittelt. Und an diesem Sommertag versuchen zeitgleich BKA-Beamte in mehreren Bundesländern, bei Ex-Vorständen der Landesbank Beweismittel zu sichern.
Doch bei der Durchsuchung der schmucken Dachgeschosswohnung von Herbert Süß finden sie dort rund ein Dutzend Jagdwaffen und jede Menge Munition. Das wäre vielleicht noch nichts Besonderes. Denn Herbert Süß, einst mächtiger Direktor der Dresdner Stadtsparkasse und zuletzt glückloser Chef der gescheiterten Landesbank Sachsen, ist seit Jahrzehnten passionierter Jäger. Er besitzt einen Jagdschein, eine Waffenbesitzkarte – alles ordnungsgemäß. Nur: Bevor der Ex-Banker damals in einen mehrwöchigen Urlaub aufgebrochen ist, ließ er sein heimisches Waffen- und Munitionsarsenal mangelhaft gesichert zurück. So liegt der Schlüssel zum Waffenschrank in einem unverschlossenen Behältnis auf dem Schreibtisch des 69-Jährigen. Und auch die Munition, die laut Waffengesetz getrennt von den Schusswaffen ebenfalls sicher verschlossen aufbewahrt werden muss, lag teilweise offen zugänglich in der Wohnung herum. Beides aber ist laut Waffengesetz ein klarer Verstoß gegen die strengen Aufbewahrungsvorschriften von Waffen. In ähnlichen Fällen hat dies in Deutschland schon zu einem Widerruf des Waffenscheins geführt – häufig sogar auf Lebenszeit. Im Fall Süß aber nicht.
Waffenschein nicht widerrufen
Nach SZ-Informationen wurde ein Widerrufsverfahren gegen Süß Anfang März eingestellt. Nicht einmal ein Bußgeld war zu diesem Zeitpunkt, mehr als ein halbes Jahr nach dem Waffen-Fund, gegen den Ex-Banker verhängt worden. Die Geschichte wäre hier vermutlich schon zu Ende gewesen, hätte nicht am 11. März dieses Jahres ein Azubi im baden-württembergischen Winnenden mit einer Waffe seines Vaters 16 Menschen erschossen. Der Amoklauf von Winnenden alarmierte auch das BKA – und die Beamten erinnerten sich an ihren Fund in der Villa in Dresden-Klein-zschachwitz. Denn in Winnenden war der 17-Jährige nur an die Tatwaffe gekommen, weil sein Vater eine seiner vielen zu Hause aufbewahrten Waffen ungesichert verwahrt hatte. Gegen den Vater wird nun nicht nur wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Das zuständige Landratsamt hat auch zügig entschieden, das Verfahren läuft: Dem Vater wird der Waffenschein entzogen – auf Lebenszeit.
Nur einen Tag nach dem Amoklauf von Winnenden fragen die BKA-Beamten beim zuständigen Dresdner Ordnungsamt nach, was im Fall Süß passiert sei. Und sie lassen keinen Zweifel daran: Der Waffenschein muss weg bei einer solchen Tat. Doch in Dresden passiert nichts. Auf SZ-Anfrage will sich die Wiesbadener BKA-Zentrale nicht zum Fall Süß äußern. Die Staatsanwaltschaft Dresden sei am Zug. Und die bestätigt: „Wir prüfen, ob sich im Zusammenhang mit dem Waffenfund ein Beteiligter strafbar gemacht hat“, so Oberstaatsanwalt Christian Avenarius.
„Von oben anders entschieden“
Da die Stadt Dresden „den waffenrechtlichen Bedenken des BKA an der Zuverlässigkeit von Herrn Süß nicht gefolgt sei“, werde auch ein mögliches Fehlverhalten des Ordnungsamtes untersucht. Oberstaatsanwalt Jürgen Schär bringt es auf den Punkt: „Vorteilsgewährung, Begünstigung oder gar Bestechlichkeit – das prüfen wir derzeit.“ Schärs Ansatz: „Da haben Sachbearbeiter intern offenbar auf Widerruf plädiert, aber dann wurde von oben anders entschieden.“
Von einem Promi-Bonus will die Stadt Dresden indes nichts wissen. Aus Datenschutzgründen dürfe man sich nicht zum Fall Süß äußern. Generell nur soviel: Bei einem Verstoß gegen Aufbewahrungsvorschriften werde eine Art Zukunftsprognose erstellt, ob der Besitzer als unzuverlässig einzustufen sei. Dann könne die Waffenbesitzkarte eingezogen werden. Diese Prognose muss im Fall Süß – einem landesweit bekannten Banker mit besten Kontakten in Politik, Kultur und Wirtschaft –offenbar sehr gut ausgefallen sein. Süß behielt seine Schießlizenz.