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Freischwimmerin im Unruhestand

Britta Steffen motiviert Menschen, nie aufzugeben – auch in Dresden. Ihre Lebensgeschichte eignet sich dafür bestens.

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© Arvid Müller

Von Daniel Klein

Zweimal die Woche geht sie noch zum Schwimmen. Manchmal wird sie von den anderen Badegästen angesprochen, aber meist nur, weil man ihre Technik bewundert. „Das sieht gut aus. Haben Sie das mal gelernt?“, wird die Doppel-Olympiasiegerin und Weltrekordhalterin Britta Steffen dann gefragt.

Die Anekdote zeigt: Das Kapitel Kachelzählen ist längst beendet, 2013 hat ein neues begonnen, das Leben nach dem Sport. In dem spielt ihr Studium Wirtschaftsingenieurwesen für Umwelt und Nachhaltigkeit eine große Rolle, Anfang nächsten Jahres will sie ihre Masterarbeit abgeben, momentan befragt sie dafür gerade Top-Manager. Da ist die Weltklasse-Schwimmerin a. D. viel in Firmen unterwegs, was wiederum bestens zu einem weiteren Job passt.

Als Botschafterin der Krankenkasse Barmer absolviert sie mit Mitarbeitern von Unternehmen Fitnesseinheiten und hält Vorträge, in denen sie ihre Karriere in vier Kapitel zerlegt. Nur eines davon thematisiert die großen Erfolge, die Olympiasiege 2008 in Peking, das Weltmeister-Gold 2009, die Weltrekorde, von denen sie den über 50 Meter Freistil noch immer hält. Die Zuhörer sollen lernen: Eine Sportlerkarriere ist kein steiler Aufstieg, sondern ein ständiges Auf und Ab, man ringt mit sich, hadert, verzweifelt – aber: Man gibt nie auf. Am Donnerstag war die 32-Jährige im Dresdner Haus der Presse zu Gast.

Wer ihr zuhört, versteht, warum diese 18 Jahre im Hochleistungssport sie so geprägt haben, wie sie sich erst im doppelten Sinn freischwimmen musste, um Titel zu gewinnen. Nach zwei erfolglosen Olympia-Teilnahmen hatte sie sich den Ruf einer Trainingsweltmeisterin erarbeitet, hinter ihrem Rücken wurde getuschelt, dass sie es nie schaffen würde, wenn es darauf ankommt. Gehirnprinzessin wird in Sportlerkreisen genannt, wer ständig grübelt.

2004 hatte die Freistil-Schwimmerin ihre Karriere bereits beendet, als sie wieder begann, schloss sie einen Vertrag mit ihrem Trainer ab: Sie will mit ihm zehnmal pro Monat Überprüfungsgespräche führen, ihr Idealgewicht immer halten, nicht vor sieben Uhr in die Halle gehen und das Krafttraining selbst gestalten. Das Ergebnis des letzten Punktes zeigt sie in einem kurzen Video. „Man achte auf die Bauchmuskeln auf meinem Rücken“, schickt sie voraus. 450 Liegestütze in der Stunde schafft sie zu dieser Zeit und 175 Klimmzüge.

Die aus Schwedt stammende Steffen macht jedoch nicht nur ihren Körper stark. Mit einer Psychologin arbeitet sie intensiv zusammen, um das Selbstbewusstsein zu stärken und die Nervosität zu verdrängen. Mit Erfolg: Bei der EM 2006 in Budapest gewinnt sie in Weltrekordzeit, es ist der Beginn des Erfolgskapitels.

Manche Experten sind so erstaunt über die plötzliche Leistungsexplosion, dass sie nur eine mögliche Erklärung finden: Doping. „Dabei habe ich seit meinem Wiederbeginn nicht mal Nahrungsergänzungsmittel genommen, weil ich Schiss hatte, dass mir kein Mensch glaubt, wenn irgendwas verunreinigt ist und sie mich erwischen“, erzählt sie. Nach 2010, das Kapitel überschreibt sie mit „Schwimm-Oma“, blieben die großen Erfolge zwar aus. Doch auch als Vierte, Fünfte oder Sechste wirkte sie zufrieden.

Ihr Rücktritt fällt zeitlich mit dem ersten von Michael Phelps zusammen, dem Überschwimmer und erfolgreichsten Olympioniken überhaupt, der danach mit Alkoholfahrten und Drogengeschichten auffiel. „Ich vergleiche Spitzensportler kurz nach dem Karriereende mit Musikern, die von der Bühne gehen und plötzlich kein Publikum mehr haben. Beide vermissen das, was sie ihr ganzes bisheriges Leben gemacht haben.“ Manche verlieren den Halt, Phelps fand ihn durch seine Verlobte und seinen Sohn wieder, er startete ein erfolgreiches Comeback.

Um Britta Steffen muss man sich da keine Sorgen machen. Wer regelmäßig die Klatsch- und  Tratsch-Meldungen liest, weiß, dass sie sich im vorigen Jahr von Paul Biedermann, dem zweiten deutschen Schwimmer, der noch einen gültigen Weltrekord hält, getrennt hat, inzwischen frisch verliebt ist und über Familienplanung nachdenkt. Und wenn sie zwischen ihren Besuchen in der Schwimmhalle mal zum Joggen geht, findet sie, dass „es im Wald doch schon schöner ist“. Auch dort erkennt man sie selten.