Als es für den Wilisch große Pläne gab

Von Matthias Schildbach
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es in bergigen Gegenden Deutschlands in Mode gekommen, zu Ehren des Reichskanzlers und Reichsgründers Fürst von Bismarck Aussichtstürme zu errichten. Vielerorts sind solche Denkmäler entstanden, die noch heute Ausflüglern einen Blick ins heimatliche Land gewähren. Bekannt in der Region sind die Bismarcktürme in den Dresdner Stadtteilen Plauen, Räcknitz und Cossebaude.
Auch der Verkehrsverein für Kreischa und Umgegend wollte sich nicht lumpen lassen und gründete 1907 das „Projekt Bismarckturm“. Die Idee fußte nicht ausschließlich auf dem nationalen Gedanken. Eher trieb der finanzielle Druck die hoch verschuldeten Kreischaer zu innovativen Ideen. Mit dem Appell ans Nationalbewusstsein wollte man die Geldgeber bei der Ehre fassen.
Gemeindevorstand Rudolf Kubenke schrieb in seinem Aufruf: „Auf dem Wilischberge bei Kreischa, dessen Spitze die Grüße des Erzgebirges dem Elbtale übermittelt und der sich stolz erhebt in einer landschaftlich bevorzugten Gegend, dessen eigenartig geformte Kuppe oft die Bewunderung unseres hochseligen Königs Albert hervorrief, beabsichtigen wir, Deutschlands erstem Kanzler zu ehrendem Gedächtnis einen Bismarckturm zu errichten. … Der Fremdenverkehr muss im Interesse der von sieben vermögenslosen Gemeinden mit 700.000 Mark Kostenaufwand erbauten elektrischen Straßenbahn Niedersedlitz-Kreischa gehoben werden und es soll uns ... der geplante Turm ein neuer Anziehungspunkt sein, der um der herrlichen Landschaft willen gern besucht werden wird. Aber unsere Kräfte reichen zur Aufbringung der mutmaßlich 15.000 Mark betragenden Baukosten bei Weitem nicht aus. …“
Im Oktober 1907 wurde das Projekt vom Königlichen Finanzministerium und der Oberförsterei mit kleineren Auflagen genehmigt. „Mit Rücksicht auf die Triangulationssäule ist der Standort für den Turm so zu wählen, dass er südöstlich von der Triangulationssäule und in einem Abstand von mindestens 10 bis 12 Meter davon zu stehen kommt.“
Hochgestellte Persönlichkeiten lehnten Unterstützung ab
Damit war der Weg frei. Zehntausend Mark hätten genügt, um mit dem Bau zu beginnen. Man bat vermögende Einwohner, Rittergutsbesitzer und Gemeinden des Bezirkes um einen Beitrag zum Turmbau-Fond. Hochgestellte Persönlichkeiten wie Geheimrat Lingner aus Dresden, Oberst Senfft von Pilsach aus Reinhardtsgrimma, die Gemeinden Oberhäslich, Hänichen und die Städte Pirna und Dresden lehnten eine Unterstützung jedoch ab. In Dippoldiswalde fand man mehr Zuspruch: Stadtrat Liebel, Fabrikbesitzer Thorning und Baumeister Fritsch erklärten ihr Interesse für einen Beitritt in den Turmbau-Ausschuss.
Im April 1908 entwarf Prof. Dr. Edmund Bassenge aus Dresden einen patriotischen Aufruf, der jeden Besucher des Wilischs ermahnen sollte, sich seiner Nation und des Vaterlandes zu besinnen. In sämtlichen regionalen Tageszeitungen erschien dieser Aufruf, den bis 1910 über sechzig namhafte Persönlichkeiten der Region unterzeichneten. Immer mehr erklärten sich bereit, in den Turmbau-Ausschuss einzutreten und damit für das Projekt zu werben: Rittergutsbesitzer von Wulffen aus Kleincarsdorf, Baron Pergler von Perglas aus Berreuth, Schokoladenfabrikant Rüger im Lockwitzgrund und der Landesverein Sächsischer Heimatschutz.
Unterstützung durch Sammelaktionen gewährten die Städte Altenberg und Dippoldiswalde, die Expedition des Dresdner Anzeigers, die Sächsische Dorfzeitung, verschiedene Dresdner Bankhäuser und viele andere Einrichtungen.
Es gab aber auch Stimmen, denen das Projekt gar nicht gefiel. So schrieb ein Herr Josef Ostermaier aus Dresden: „… Bei aller Verehrung für unseren großen Reichskanzler ist es doch wirklich nicht nötig, dass auf jedem Berg oder Hügel ein solcher Turm errichtet wird und unsere ganze Landschaft dadurch ein spargelbeetartiges Aussehen erhält, was ohnehin schon zur Genüge durch Fabrikschornsteine ... besorgt wird.“ Die Kreischaer Gasthäuser spielten Benefizveranstaltungen und der Turm-Ausschuss gab 5.000 Bismarck-Postkarten zum Verkauf, deren Erlös dem Projekt zugute kam.
Das Ende des Projektes
Bis 1911 flossen nur noch spärlich Mittel in den Baufond. Im Sommer 1913 warf man in der regionalen Tageszeitung „Bote vom Wilisch“ gar die Frage auf, ob denn überhaupt noch ein Turm gebaut werden sollte. Vielleicht hätte eine Konstruktion aus solidem Holz ausgereicht.Einige Versuche, im Frühjahr 1914 Straßensammlungen in Dresden und Loschwitz durchzuführen, scheiterten an der fehlenden Genehmigung der Polizeidirektion.
Dann kam der Krieg. Und mit ihm das Ende des Projektes. Der mittlerweile 4.300 Mark umfassende Fond wurde auf Eis gelegt. Der Krieg, die existenziellen Sorgen der folgenden Jahre und die Hyperinflation 1923 wischten die Idee des Bismarckturmes auf dem Wilisch endgültig von den Schreibtischen der Geschichte.