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Die schreibende Legende

Heinz Fiedler kommt auch mit 93 Jahren noch in die Redaktion. Er schreibt, so lange er lebt, und er lebt, so lange er schreibt. Ein Beitrag zum Jubiläum 75 Jahre SZ.

Von Tilman Günther
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SZ-Autor Heinz Fiedler mit einem Buch zu seiner Kolumne Zelluloid-Erinnerungen „Gestern in unseren Kinos“. Der Grandseigneur der Sächsischen Zeitung schreibt nach wie vor wöchentlich Beiträge.
SZ-Autor Heinz Fiedler mit einem Buch zu seiner Kolumne Zelluloid-Erinnerungen „Gestern in unseren Kinos“. Der Grandseigneur der Sächsischen Zeitung schreibt nach wie vor wöchentlich Beiträge. © Tilo Harder

Heinz Fiedler ist eine Legende. Eine lebende noch dazu. Als ich ihn kennenlerne, ist er bereits 75, ich erst 28 und ganz neu in der Freitaler Redaktion der Sächsischen Zeitung – es ist das Jahr 2003. Meine Zeit als Sportredakteur beginnt gerade, da hat er schon 55 Jahre als Reporter in nahezu allen möglichen Bereichen hinter sich. Einer davon war auch für ihn der Sport.

Fußball ist eine seiner Leidenschaften. Er berichtet von Spielen nicht nur aus seinem Heimatort Hainsberg, wo er 1927 geboren ist. Auch Stadien in anderen inzwischen zu Freital gehörenden Stadtteilen besucht er als Berichterstatter. Zu Glanzzeiten erlebt Freital mit seiner Stahl-Elf im Stadion am Burgwartsberg Spiele mit bis zu 10.000 Zuschauern. Heinz Fiedler natürlich mittendrin.

Geschichten, die er noch heute mit leuchtenden Augen erzählt, wenngleich seine wirklich große Fußballliebe dem FC Bayern gehört. „Meine Bayern-Buben“, nennt er die Mannschaft und es ist so mancher Anlass für Fachsimpelei in unserer Redaktionsstube, die ich mir anfangs mit Heinz teilen darf.

Mit Herzblut auch mit 93 Jahren dabei. Heinz Fiedler an seinem Schreibtisch bei der SZ in Freital.
Mit Herzblut auch mit 93 Jahren dabei. Heinz Fiedler an seinem Schreibtisch bei der SZ in Freital. © SZ-Archiv

Er hat – obwohl offiziell schon damals längst im Ruhestand – noch heute einen Schreibtisch bei der SZ. Ich begegne ihm zu Beginn mit großem Respekt, fast ehrfürchtig. Dabei ist Heinz Fiedler ein Mann mit Anstand, ausgesuchter Höflichkeit, charmant, stets zuvorkommend – alte Schule im wahrsten Sinne des Wortes – und doch ist er ein so umgänglicher und auf eine sehr angenehme Weise normaler Mensch, dass wir uns von Beginn an duzen. Wir sind Kollegen, für ihn völlig normal, ich bin ein bisschen stolz darauf.

Um so peinlicher war der Moment, als er eines Tages ins Büro kommt und mit dem Blick auf die unzähligen leeren Wasserflaschen unter und neben meinem Schreibtisch mit seiner sonoren Stimme eindringlich mahnt: „Tilman, du musst mal deine Pullen wegräumen.“ Keine Frage, noch am selben Tag hatte ich das erledigt. Heinz hat diese kleine Begebenheit längst vergessen, mich begleitet sie.

Inzwischen kenne ich Heinz Fiedler nun schon seit 18 Jahren. Ich bin ihm immer mal wieder begegnet auch nach meinem Wechsel von Freital ins Haus der Presse nach Dresden. Denn auch dort geht Heinz Fiedler ein und aus und ist ein hoch geachteter Kollege. Die Jüngeren bei der SZ, vielleicht gerade selber Volontäre, so wie einst auch Heinz, der nach 1947 sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat, die Jüngeren also, die ihn nicht kennen, mögen sich wundern, wenn dieser – hier darf ich das mal sagen – alte Mann im Haus der Presse wie selbstverständlich in den Fahrstuhl steigt und durch die Gänge geht, als sei er hier zu Hause. Ja, er ist hier zu Hause.

Die Sächsische Zeitung ist, wenn auch mit einer unfreiwilligen Unterbrechung, so sehr sein Zuhause, wie für keinen anderen von uns. Und das, obwohl er als 16-Jähriger nach dem Krieg am liebsten zum Radio wollte. „Radio war damals ja das ganz große Ding“, sagt er. Extra nach Berlin gefahren sei er, doch man habe ihn dort nicht gebrauchen können. Sein Talent zum Moderieren beweist er später dennoch. Doch zuvor muss er die eben erwähnte Unterbrechung seiner Reporterlaufbahn hinnehmen und erleben, wie die DDR mit aufrechten Menschen umgeht.

Heinz Fiedler bereitete im Freitaler Stadtkulturhaus mit seiner Reihe Zelluloiderinnerungen Hunderten Besuchern schöne Nachmittage mit Filmen aus den Jahren 1935-1955.
Heinz Fiedler bereitete im Freitaler Stadtkulturhaus mit seiner Reihe Zelluloiderinnerungen Hunderten Besuchern schöne Nachmittage mit Filmen aus den Jahren 1935-1955. © Peter Kuner

Nicht, dass er als Junge ein durchaus glühender Anhänger der Hitlerjugend war, nimmt man ihm übel. Auch nicht die eine oder andere Formulierung in seinen Texten, die vielleicht nicht ganz linientreu war. Nein, es ist aus heutiger Sicht fast eine Kleinigkeit – „keine große Sache“, wie er selber sagt – die ihn in der DDR ins Gefängnis bringt. Er hat etwas gewusst und nichts davon gesagt. Das nimmt ihm die Stasi mehr als nur übel.

Benno Schröder, 1952 ein junger Mann wie Heinz, die beiden kennen sich nicht erst seit ihrer gemeinsamen Zeit bei der SZ, ist auf dem Weg in den Westen. Zuvor hatte er zu einigen Nachlässigkeiten der jungen Republik recherchiert und einen Text geschrieben. „So etwas konnte die SZ als Partei-Organ damals überhaupt nicht drucken“, sagt Heinz Fiedler und greift sich noch heute an den Kopf. „Das war eigentlich klar.“ Doch Benno Schröder hatte es wohl zumindest versucht. Dann war er auf der Flucht.

Mit dem Fahrrad von Dresden kommend, machte Benno auf seinem Weg kurz Station in Großenhain, um sich von Heinz zu verabschieden, der seinerzeit in der dortigen SZ-Redaktion arbeitet. Heinz wusste also, dass Benno in den Westen wollte, sagte es aber keinem. Bis zwei Herren vor seiner Tür stehen und ihn „zur Klärung eines Sachverhaltes“ abholen. Da war Benno Schröder schon in Westberlin. „Den Text hat, glaube ich, dann sogar eine Zeitung im Westen gedruckt“, erinnert sich Heinz.

Zwei Jahre sitzt Heinz Fiedler in verschiedenen Gefängnissen, unter anderem in Bautzen. Danach hat er Berufsverbot. An ein Leben als Journalist ist für ihn in der DDR nun eigentlich nicht mehr zu denken. Eigentlich.

Es dauert ein paar Jahre, in denen er sich mit Arbeit durchkämpft, die ihm schlecht bezahlt wird. Doch mit der Zeit schwinden auch die Bedenken gegen ihn, und es gibt Menschen in Positionen, die etwas bewegen können und sich für ihn einsetzen. So kommt es, dass Heinz Fiedler nicht nur jahrzehntelang Faschingsveranstaltungen in seiner Heimat Hainsberg organisiert und moderiert, sondern auch Konzerte, Kabarett und andere kulturelle Abende. Herausragend darunter die Reihe „Gute Laune“, die mehr als 40 Jahre lang im Freitaler Stadtkulturhaus läuft.

Und auch für die Sächsische Zeitung darf er schon in den Sechzigerjahren wieder schreiben. Zunächst im Freitaler Lokalteil, dann auch fürs Feuilleton. Er tut das bis heute. Auf seine Texte zur Heimatgeschichte warten die Leser regelrecht in der Wochenendausgabe und seine Kolumne „Zelluloid-Erinnerungen“ ist legendär. So wie er selbst. Heinz Fiedler ist eine Legende. Er hat noch einen Schreibtisch bei der SZ. Keiner wird ihm diesen je wegnehmen. Es ist schier unmöglich. Denn Heinz Fiedler schreibt und schreibt und schreibt. Er wird nicht jünger, das weiß er selber. So manches Wehwehchen geht nicht mehr weg. Doch die Legende lebt. Jeden Mittwochvormittag kommt er pünktlich mit einem fertigen Manuskript in der Tasche in die Redaktion und diktiert der Sekretärin seinen Text. Ganz genauso wie er es schon immer getan hat.