SZ + Freital
Merken

Dorfhain: Symbolreiche Bilderwelt zwischen Traum und Apokalypse

Die Ausstellung „Gerade Jetzt“ zeigt in der Galerie ArtToGo originelle Arbeiten zum Verhältnis Mensch und Umwelt. Es geht um Freiräume und Gegenentwürfe.

 5 Min.
Teilen
Folgen
Ausstellungskuratorin Kristin Pietzko mit Töchterchen Antonia und Künstler Chris Löhmann in der Galerie in Dorfhain.
Ausstellungskuratorin Kristin Pietzko mit Töchterchen Antonia und Künstler Chris Löhmann in der Galerie in Dorfhain. © Daniel Schäfer

Von Lilly Vostry

Ein Schmetterling, ein Tagpfauenauge, flattert aufgeregt am Fenster
entlang. Viele farbenfrohe Bilder, aber keine Blüten weit und breit. Der Falter hat sich zweifellos verirrt im Ausstellungsraum in Dorfhain. Der Künstler Chris Löhmann setzt ihn vorsichtig in ein Glas und lässt den Schmetterling wieder ins Freie fliegen.

In seinen reichhaltigen Bildlandschaften liegen Schönes, Schwebendes, Visionäres, Düsteres und Albtraumhaftes, Traum und Realität nah beieinander. Eine Fülle von Figuren, Gebäuden, Symbolen aus Geschichte und Gegenwart, Fantasy- und Fabelwesen tummeln sich nebeneinander im „The Torture Garden“, einer Zeichnung auf Papier von 2020. „Hier und Jetzt“ und „Inferno“ steht tätowiert auf den schuppigen Krallenarmen einer verführerischen weiblichen Figur im Sturzflug mit Fledermausflügeln. In einer anderen Zeichnung klammert sich ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen halb liegend an einem dunklen Pferd fest und entflieht in eine Traumlandschaft.

Mit Julia Böhm, Lucas Oertel und Chris Löhmann stellen jetzt gleich drei Künstler in der Galerie ArtToGo der Georado-Stiftung auf der Talstraße 7 in Dorfhain bei Freital aus.

Originell, spannend, unkonventionell

Manchmal erscheint das Leben wie im „Abenteuerroman“, so ein Bildtitel von Lucas Oertel. Da begegnen einem ebenso fantasievoll versponnene, verwegene, kunterbunte und seltsame Figuren in seinen Ölbildern wie eine „Pferdezeichnerin“, „Wolkengucker“, „Sieger in Blau“, „Auraträger“, „Strahlemann“, „Roboter“, „Pfannkuchengesicht“ und „Superheld“.

Die figuren- und zeichenreich überbordende Bilderwelt in Schwarz-Weiß-Schattierungen von Chris Löhmann trifft auf die farbenfreudigen, kindlich naiv anmutenden, dabei oft doppelbödig ironischen Arbeiten vom Lucas Oertel und auf die Figurengruppe „Wächtertier“ von Julia Böhm. Die Arbeiten der drei jungen Künstler versammelt derzeit die Ausstellung „Gerade Jetzt“. Sie ergründen und zeigen ihre Sicht auf die Welt, das menschliche Zusammenleben und das Verhältnis Mensch, Natur und Umwelt originell, spannend, unkonventionell, eigenwillig und ausdrucksreich in Malerei, Zeichnungen und Plastik.

Besucher aus Schweden

„Es sind ganz unterschiedliche Positionen und dennoch gelingt es ihnen, miteinander zu sprechen in einem angeregten Dialog der Werke und einander Raum zu lassen“, sagt Christin Pietzko, die als Kunstwissenschaftlerin und freie Kuratorin projektbezogen arbeitet. Im Tragetuch hält sie Töchterchen Antonia, acht Monate. Sie begleitet Chris Löhmann in der Ausstellung. Das Künstlerpaar ist aus Königstein hergekommen, wo sie in der Alten Post einen erschwinglichen Wohn- und Schaffensort gefunden haben. „Gerade jetzt brauchen wir die Kunst, Freiräume und Gegenentwürfe, Menschenbilder. Möglichkeiten zum Zusammenkommen, zum Nachdenken und Genießen.“

Aus diesem Impuls heraus haben Christin Pietzko und Olaf Stoy, Künstler und Galerist, zusammen die Ausstellung „Gerade Jetzt“ konzipiert. Gefördert wird diese von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Gemeinsam wollen sie diesen Ausstellungsort weiter entwickeln. Sie bringt einen anderen Blick und neue Ideen mit und er seine Erfahrungen für Ausstellungen.

Olaf Stoy und Ausstellungskuratorin Kristin Pietzko in der neuen Ausstellung. Stoy hat dort noch viel vor.
Olaf Stoy und Ausstellungskuratorin Kristin Pietzko in der neuen Ausstellung. Stoy hat dort noch viel vor. © Daniel Schäfer

Dabei geht es auch um Räume zum Arbeiten, Residenzen für Künstler aus der Region und das Ausloten von längerfristigen Fördermöglichkeiten. Die Resonanz bisher sei erfreulich. „Es kommen viele Wanderer, kürzlich sogar eine Gruppe aus Schweden, und Kunstfreunde gezielt in die Ausstellung“, erzählt Stoy. Die Ausstellung strahle eine hohe Energie aus. Das hätte er auf dem Dorf nicht erwartet, hörte er unlängst von einem Ausstellungsbesucher.

Vom Glück und der Flüchtigkeit des Moments

Gleich am Eingang steht eine Plastik, die berührt und nachdenklich macht: Eine große weiße, abgemagerte und gebeugte Hündin, neben ihr hockt eine kleine Menschengestalt mit Kapuze. Entstanden ist sie letztes Jahr als Diplomarbeit von Julia Böhm, Absolventin für Theaterplastik an der Dresdner Kunsthochschule.

„Sie steht als Gleichnis für die Natur, ihre Kraft ist noch da, aber sie schwindet und sie wendet sich ab vom Tun des Menschen, der selbstvergessen die Zeit verspielt, die ihm noch bleibt“, so sieht es Olaf Stoy. Sehr dicht, atmosphärisch und mit ihrem hintergründigen Witz und Tiefe überraschend sind die skurrile Figurenwelt von Lucas Oertel ebenso wie die detailreichen Bildergeschichten von Chris Löhmann. „Das hat auch etwas mit unserer Zeit, der Reizüberflutung zu tun“, sagt Stoy.


Vom Glück und der Flüchtigkeit des Moments erzählt etwa das Bild „Der Held“ von Lucas Oertel. Der auf Händen getragen, im nächsten Moment schon fallen kann. Assoziationsreiche Gedankenbilder zeigt Chris Löhmann, darunter ein großformatiges Bild mit entrückter Landschaftsidylle, auf Sandstein gekritzelten Graffitis und Schriftzügen, Orten und Gesichtern aus seiner Freitaler Zeit mit dem Titel „Die Auferstehung der Toten in Somsdorf“.

„Ich sehe es wie ein Erwachen und Herausschälen aus der Gebundenheit. Der lange, anstrengende Weg hin zum Licht“, sagt Löhmann. Reales und Surreales stehen scheinbar losgelöst, den Betrachter zum Ordnen und Verbinden auffordernd, in seinen vielschichtigen Bildteppichen. Er möchte mit seinen Arbeiten anregen, auch „den Ort hinter den Dingen, die Essenz daraus zu erkennen und Zuversicht zu gewinnen.

Öffnungszeiten und weitere Veranstaltungen

  • Öffnungszeiten Galerie: Do. und Fr. von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.
  • Begleitend zur Ausstellung gibt es Workshops zu StreetArt mit Chris Löhmann für Kinder ab zehn Jahre bis 4. August, 10 bis 13 Uhr (Teilnahmegebühr/Materialkosten: 15 Euro).
  • Außerdem stellt unter dem Motto „Dorfhain jazzt!“ das Jazz Trio Dresden sein neues Album „Space“ am 20. August, 19 Uhr in der Galerie ArtToGo vor (Eintritt: 8 Euro). Die Ausstellung „Gerade Jetzt“ ist noch bis 4. September zu sehen.