Freital
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Freitals erste und einzige Luftpost

Der weltgrößte Zeppelin nähert sich an einem Tag im Oktober 1928 über den Coschützer Hügel Freital – und wirft einen Brief ab.

Von Heinz Fiedler
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Die ersten Zeppeline wurden in einer auf dem Bodensee schwimmenden Halle gebaut.
Die ersten Zeppeline wurden in einer auf dem Bodensee schwimmenden Halle gebaut. © SZ-Archiv

Die äußersten Potschappler Zipfel zur Dresdner Stadtgrenze hin sind jahrzehntelang mit Industrie und Handwerk geradezu vollgestopft. Obwohl die Ortschaft ihre dörfliche Vergangenheit nicht leugnen kann, herrscht emsige Betriebsamkeit. Nicht nur mittlere und kleinere Unternehmen haben sich beiderseits der Weißeritz niedergelassen.

Da finden sich auch größere Produktionsstätten wie etwa die Werkzeugmaschinenfabrik Fischer und Co., 1910 von Paul Hermann Fischer gegründet. Die Firma an der Hauptstraße, unweit der Eisenbahnüberführung, erhält durch den 1920 fertiggestellten Neubau auch äußerlich einen modernen Zuschnitt. Das Werk der Gebrüder Rumberg spielte in unseren heimatkundlichen Beiträgen bereits eine Rolle. Die Waschmittel- und Seifenfabrikation entwickelt den legendären Rumbo-Zwerg zu einem Riesen. Viele Gewerke sind vertreten. Am Weg zur Steiger-Gaststätte breitet sich die Möbelwerkstatt von Hermann und Söhne aus, später Franz und noch später Raumkunst und Couchmechanik.

Von Dresden kommend, taucht das weltgrößte Luftschiff Anfang Oktober 1928 am Himmel über Freital auf.
Von Dresden kommend, taucht das weltgrößte Luftschiff Anfang Oktober 1928 am Himmel über Freital auf. © SZ-Archiv

In der Coschützer Straße existiert im 19. Jahrhundert Eckhardts Zündholzfabrik mit zeitweise 180 Beschäftigten. Ingenieur Klare baut in der Steinstraße selbst entwickelte Motorräder. Eine Töpferwarenhandlung bietet eigene Erzeugnisse an. In der Brahmsstraße wird im Hinterhof eines Gebäudes der Grundstock zu Woldemar Beiers Kamerafabrik gelegt.

Eine Aufzählung, die keineswegs vollständig ist. Hier seien nur drei Unternehmen genannt, die sich durch interessante Besonderheiten auszeichnen.

Hatte Freital ein Hegereiterhaus?

So machte sich Jahrzehnte lang der Betrieb Paul Mittag Nachfolger mit Fahrzeugbau einen Namen. Bereits Mitte der zwanziger Jahre beruft sich Mittag auf einen stattlichen internationalen Kundenkreis. Gebaut werden in dem Gebäudekomplex Untere Dresdner Straße 3-5 Auto-Möbelwagen, Lastwagen-Anhänger, Kipper. Der Potschappler Betrieb wird für den Großzirkus Sarrasani zu einer unentbehrlichen Adresse. Die inzwischen von Schnare und Brehmer geleitete Firma fertigt einen Großteil der benötigten Wohnwagen.

Mittags Nachfolger produzieren auch für andere deutsche Zirkusunternehmen sowie für Schausteller Wagen. Die Geschäfte gehen gut. Nach 1945 wird die Firma dem Fahrzeugbau Wilsdruff zugeordnet.

Das Sicherheitsfachgeschäft Knöspel, Dresdner Straße 14, hat seinen Standort möglicherweise auf historischem Grund und Boden. Horst Knöspel, ab 1958 Obermeister des Mechanikerhandwerks im Kreis Freital, ist davon überzeugt, dass das einstige Gebäude zwischen dem Lebensmittelgeschäft Silbermann und dem 1946 gegründeten Knöspelschen Handwerksbetrieb dem Dresdner Hof einst als Hegereiterhaus diente. 1722 hatte August der Starke im Plauenschen Grund nahe Bienertmühle einen Sitz für den Wildhüter erbauen lassen. Warum, so argumentiert Knöspel, sollte August nicht auch in Potschappel Wert auf einen Hegereiter gelegt haben? Angesichts des erheblichen Wildbestandes im Weißeritztal sei das geradezu logisch.

Ferdinand Graf von Zeppelin.
Ferdinand Graf von Zeppelin. © SZ-Archiv

Der Handwerksmeister, der sich schon als Kind mit heimatkundlichen Dingen beschäftigt, führt weiter an, dass die Ausmaße des Plauener Objektes mit denen des Potschappler Gebäudes identisch seien. Hinzu kommt ein am Bahndamm entlang verlaufender Pferdestall mit Kutscherstube, der nach Verstärkung der Wände noch heute dem Sicherheitsfachgeschäft als Produktionsbereich dient.

Beweise für die Knöspelsche These lassen sich indes nicht erbringen. Offensichtlich wird sich das Geheimnis um das uralte Haus nie lüften lassen.1844 trifft ein Wandergeselle namens Otto Baumann in Potschappel ein, um eine seinem Beruf angepasste Fabrikation einzurichten. Der gelernte Gerber, ein Sohn des Erzgebirges, denkt an die Fertigung von Ledertreibriemen für die Industrie. Von den Gemeindevätern sanktioniert, baut der Handwerker ein Wohnhaus (heute Dresdner Straße 34) mit Produktionszone im Hof. 1855 läuft die erste Schicht an – ein Familienbetrieb von bescheidenen Dimensionen ist geboren. Die Anzahl der Beschäftigten bewegt sich zwischen drei und 24. Nach dem Gründer unternehmen noch drei „Baumänner“ das Ruder, fast alle mit Vornamen Otto.

Silberner Gigant schwebt von Dresden heran

Max Otto erregt am 3. Oktober 1928, 11.35 Uhr beträchtliches Aufsehen, jener Zeitpunkt, als der Welt größtes Luftschiff LZ 127 über Freital kreuzt. Über die Coschützer Hügel nähert sich der silberne Gigant in mäßiger Höhe dem Stadtkern, gleitet vorbei am Potschappler Rathausturm.

Sekunden später senkt sich der Riese noch tiefer, eine Luke öffnet sich. Im Niedrigflug wird Freitals erste und in dieser Form wohl einzige Luftpost abgeworfen, adressiert an Otto Baumann, den Potschappler Fabrikanten. Auch eine Art von Reklame.


Bis 1960 bleibt die Firma in Privatbesitz und wird anschließend verstaatlicht. 1992 läuft die Produktion endgültig aus. Das 150 Jahre alte Haus ist in einem freilich beklagenswerten Zustand erhalten geblieben. Einer der Schandflecke entlang von Freitals Hauptstraße.