Wie eine Kasachin Tharandts russische Küche anheizt

Natalja Potschujew erinnert sich gut daran, wie sie in Deutschland ankam. Da hat sie sich gefühlt wie im Märchen, sagt sie. Adrette Häuser, gestutzte Hecken, saubere Straßen. Und so viele Farben. "Das gab es bei uns nicht." Natalja war damals 23 und hatte in Kasachstan gelebt, im Land der Steppen und Gebirge zwischen Kaspischem Meer und China. Deutschland sollte ihre neue Heimat werden. Es ist kein Märchenland, das begriff sie schnell. Das Ankommen würde ein langer Weg sein. Die Neugier half ihr, ihn zu gehen. "Ich hatte Lust darauf."
Die Eintracht in der Gefriertruhe
Der Weg währt nun schon über zwanzig Jahre und Natalja Potschujew ist auf der Höhe angekommen, auf dem Tharandter Burgberg. Im Mai dieses Jahres übernahm sie das Gasthaus unterhalb der mittelalterlichen Wehrmauern. Der Burgkeller ist das, was sie sich schon länger wünschte: ein gemütliches Lokal mit rustikalem Ambiente und ein paar Gästezimmern. Die Lage über den Dingen findet sie ideal. Hier herrscht einfach Frieden, sagt sie. "Man spürt das."
Während Natalja Kaffee kocht, breitet sich Pfannkuchenduft im Gastraum aus. Köchin Victoria ist gerade dabei, Blinchiki zu backen, die es hier mit Apfelmus, Eis, Quark oder Hähnchenhackfleisch gibt. Der Burgkeller bleibt seinem Vorleben als teilweise russisches Lokal treu. Daran soll auch der Krieg in der Ukraine nichts ändern. Für Natalja gibt es keine guten oder schlechten Nationen. "Die einfachen Menschen sollen zusammenhalten."

Sinnbild dafür sind die Tüten voller Pelmeni und Wareniki, die in der Gefriertruhe einträchtig nebeneinander auf Esser warten. Pelmeni sind die russische Variante der Teigtasche, die verschiedene Sorten Hackfleisch enthält. Wareniki sagt man dazu in der Ukraine und füllt sie mit Kartoffelstückchen, Pilzen, Käse oder Kraut.
Zusammenhalten, das macht die Belegschaft vor. Köchin Victoria stammt aus Moldawien, die Kellnerin aus der Ukraine, der Hausmeister aus Russland. Jeder hat seine Meinung. Diskutiert wird in der Küche aber nicht. An der Politik kann man doch nichts ändern, sagt Natalja Potschujew. Zu helfen versucht sie dennoch. Zwei ukrainische Flüchtlinge wohnen zurzeit im Burgkeller.
An der Kegelbahn in die Gastronomie verliebt
In Kasachstan hat Natalja Potschujew Verkäuferin gelernt. In Deutschland arbeitete sie zunächst hinter der Ladentafel von Bäckereien. Zur Gastronomie kam sie per Zufall, als Aushilfe in der Freitaler Keglergaststätte "Alle Neune". Und sie verliebte sich in diesen Job. "Ich liebe Kunden, ich liebe Menschen", sagt sie. Sie macht auch gern mal Spaß. "Ich bin eben so."
Die Aushilfe wurde zur Chefin. Seit fast sieben Jahren führt sie nun den Gastbetrieb auf der Sportanlage, fiebert mit den Keglern des KSV 1991 mit, die eben in die 2. Bundesliga zurückgekehrt sind. Sie freut sich aber auch über die vielen Stammkunden, die von jeher an diesem Ort ihre Kugeln schieben. Einige, die am Tharandter Wald zu Hause sind, hat sie jetzt im Burgkeller wiedergetroffen.

Der Start im Frühling war schwierig für die neue Wirtin am Burgberg. Als der Biergarten wieder öffnen konnte, wurde es besser mit dem Zuspruch. Der Stammgäste-Anteil, so scheint es Natalja Potschujew, steigt. Mehr und mehr Gesichter erkennt sie wieder. Auch junge Leute kommen mal vorbei und bleiben gerne länger. Als Nächstes will sie die stillgelegten Pensionszimmer reaktivieren. Wann man im Burgkeller wieder übernachten kann, weiß sie allerdings noch nicht.
Während in Tharandt die Pelmeni auf den Teller kommen, wird im Parterre eines Hauses in Dresden-Friedrichstadt der Nachschub produziert. An großen Arbeitsplatten falten Frauen gerade Hirschhackfleisch in Teighüllen hinein, Stück um Stück. Wie das geht, können sie gar nicht so genau erklären. Man macht es einfach, sagt eine, schon seit der Kindheit. Es funktioniert quasi automatisch.
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Dieser Ort ist das Pelmeni-Haus von Maxim Satanowskiy. Am Eingang sieht es nach Bauernhütte aus, mit Holzkunst und gemalter Pferdetroika. Dahinter liegt das Reich des Edelstahls. Enthusiastisch führt der lang aufgeschossene 50-Jährige hindurch, vorbei an Teigmaschine, Fleischwolf und Schockfrostern. Je nach Auftragslage werden hier täglich bis zu 15 Kilo Teigtaschen produziert, ein Dutzend Sorten nach russischer Art und noch ein paar mehr nach ukrainischer, dazu Uralische Manti, eine Art Riesenteigtasche, sowie Blini, Soljanka und Borschtsch.
Seine Produkte verkauft Maxim Satanowskiy an russische Geschäfte oder, über Lebensmittellieferdienste und die Direktvermarkter-Plattform "Marktschwärmer", gleich an die Leute. Manchmal auch an Lokale. Sechs Jahre lang, als er der Wirt des Tharandter Burgkellers war, belieferte sich Satanowskiy selbst, bis er in Natalja Potschujew, ebenfalls Pelmeni-Haus-Kundin, seine Nachfolgerin fand.

Tharandt ist eine gute Stadt, sagt Maxim, der Nachfahre sowjetischer Juden ist und einen russischen Pass besitzt. Er hat dort nie Ressentiments gespürt, auch zuletzt nicht, als der Krieg losgebrochen war. "Alle waren nett und freundlich." Doch der Gasthausbetrieb schlauchte. Er wollte sich mehr ums Pelmeni-Haus kümmern, wo er seit 2018 mitmischt, um das Geschäft professioneller aufzuziehen. "Ich brauchte einfach mehr Zeit."
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Satanowskiy, der seit 2010 in Deutschland lebt, hat ukrainische und russische Vorfahren. Das System Putin lehnt er ab, pflegt stattdessen Kontakte zu russischen Oppositionellen, denen er auch seine Pelmeni schickt. Selbst Alexej Nawalny hat er schon beliefert. Als der russische Angriff auf die Ukraine begann, nannte Satanowskiy Putin einen Verbrecher und schrieb das auch ganz groß auf die Internetseite des Burgkellers.
Mittlerweile gibt es diese Botschaft dort nicht mehr. Und auch die Website des Pelmeni-Hauses ist unpolitisch. Genauso wie der Geschäftsbetrieb. Satanowskiy hat angeordnet, dass Diskussionen über Politik in der Firma unterbleiben. Er weiß, dass nicht jeder seiner Ansicht ist. Er respektiert das.
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Wie lange der Krieg noch dauert? Der Pelmeni-Macher wagt keine Prognose. Er wird auch nächstes Jahr noch nicht zu Ende sein, denkt er. Seine größte Angst ist, dass Putin "auf einen Knopf" drückt. Satanowskiys Vater hat als Ingenieur der Sowjetarmee einst mitgebaut an den Atomraketensilos im Ural. "Ich hoffe, dass sie inzwischen alle verrostet sind."