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Silvester ohne Böller? Neu ist das nicht

Ein stilles Feiern des Jahreswechsels ohne Feuerwerk gab es schon. 1945 überwogen Sorgen und Kummer, aber es gab auch einige Lichtblicke.

Von Heinz Fiedler
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Silvester in der Nachkriegszeit. Nach der entbehrungsreichen Kriegszeit wollten die Menschen ausgelassen sein.
Silvester in der Nachkriegszeit. Nach der entbehrungsreichen Kriegszeit wollten die Menschen ausgelassen sein. © Zeichnung: Siegfried Huth

Die Zeitungen schreiben von einem Notsilvester und nennen die unerfreulichen Dinge sogleich beim Namen. Perlender Sekt bleibt für die meisten Freitaler ein Wunschtraum. Nirgendwo am sternenklaren Nachthimmel bunt schillernde Lichtergarben, das Zünden von Feuerwerkskörpern ist Silvester 1945 streng verboten. Knapp acht Monate nach Kriegsschluss haben die Leute ohnehin keinen Sinn für zischende Raketen und Böllerschüsse.

Sorgen und Likör

Begreiflich, dass die jungen Leute – angesichts der langen Entbehrungen während der Kriegsjahre – von einem Ball in einer der wiedergeöffneten Einkehrstätten träumen. Tanzveranstaltungen, die sich inmitten unsäglicher Not wie unwirkliche Inseln der Fröhlichkeit fast verloren ausnehmen. Doch die meisten Freitaler sitzen in trauter Runde in den eigenen vier Wänden, trinken selbst gemachten, kratzigen, aufdringlich süßen Likör. Am nächsten Tag wird man einen schweren Kopf haben.

Selten, dass solch eine Runde komplett ist. Viele junge Männer aus dem Weißeritztal sind für immer auf einem der europäischen Schlachtfelder geblieben. Andere sehnen in irgendeinem Gefangenenlager die Stunde der Entlassung herbei.

Brennholz und Schwarzmarkt

Kleiner Lichtblick: Auf die sonst obligatorische Stromabschaltung wird Silvester 1945 im Plauenschen Grund verzichtet – ausnahmsweise, wie es in der offiziellen Verlautbarung heißt.

Die örtlichen Verwaltungen melden sich am Jahresende zu Wort, ziehen meist trübe Bilanzen. Tausende Bürger von Potschappel, Birkigt und Zauckerode haben Antrag auf festes Schuhwerk gestellt, ausnahmslos dringende Fälle. Für eine Verteilung stehen gerade einmal 15 Paar zur Verfügung.

In den Dezemberwochen von 1945 gelingt es, 4.100 Freitaler Familien mit je einem Viertelmeter Brennholz zu versorgen. Die Bereitschaft der Öffentlichkeit, sich an freiwilligen Holzeinsätzen zu beteiligen, wird als beschämend eingestuft. Allein sehe sich die Verwaltung nicht im Stande, die äußerst angespannte Lage zu bewältigen, alle müssten mithelfen.

Hunger und Mangel überall

Ein Jahr später ist die Anzahl der in Freital ansässigen Umsiedler auf 6.000 angestiegen. Lediglich die Hälfte besitzt eine eigene Wohnung. Zum Finale des Jahrgangs 1947 ist vom Sozialamt der Stadt zu hören, dass monatlich an 2.000 bedürftige Einwohner eine finanzielle Unterstützung gezahlt werde, Gesamtbetrag 60.000 DM.

240 von Krankheit und Unterernährung gezeichnete Kinder verbringen erholsame Wochen im Klingenberger Heim der Stadt Freital. Erschreckend das Anwachsen der Kriminalität. 1946 werden über 300 Freitalern ausgeprägte Kontakte zum Schwarzmarkt nachgewiesen. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher gelegen haben. Fast jeder musste sich auf krumme Touren einlassen, um sich in den Besitz zusätzlicher Lebensmittel zu bringen. Sprunghafter Handel mit Zigaretten auch rund um den Windberg.

Gastronomie und Lebensmittelmarken

Trotz Sorgenlast ist die Gastronomie im Feitaler Land im Aufwind. Ab 1946 sind die Silvesterveranstaltungen überfüllt. Etliche Gaststätten, die seinerzeit inserierten, sind heute längst von der Bildfläche verschwunden: Weißigs Gasthof „Zur Erholung“, Saalhausens Forsthaus, der Hainsberger Eiskeller, Gasthof Lübau und das Deutsche Haus an der Coschützer Straße, das sich in einer Annonce ausdrücklich dazu bereit erklärt, auch Dresdner Fleisch- und Lebensmittelmarken entgegenzunehmen.

In der Steiger-Gaststätte musiziert die renommierte Kapelle Marin Carlo, auf der BC-Bühne die Bigband von Hell Wange, dem Rabenauer Geiger im eleganten Frack mit der überlangen Uhrkette als Markenzeichen. Volles Programm im Sächsischen Wolf, wo unter anderem das einheimische Einenkel-Orchester spielt.

Dresdner Theater im Plauenschen Grund

Dresdner Theatergemeinschaften unternehmen Silvester 1946 auch Abstecher nach Freital. Die Kammerspiele Johannstadt gastieren in der Deubener Wettinburg mit Erich Kästners „Pünktchen und Anton“, das Sachsenkasperle empfiehlt sich im Eiskeller mit der „Fledermaus“, im Goldenen Löwen erlebt das Weihnachtsspiel „Das Gotteskind“ eine dritte Aufführung, im angrenzenden Gittersee hat die Volksoper mit der Raymond-Operette „Marielu“ Premiere.Wie man sieht, war allerhand los. Und in einem Punkt war Freital seiner Zeit besser dran als wir in unseren Tagen. Die Leute von damals konnten, wem immer sie wollten, ein gutes neues Jahr wünschen. Darauf müssen wir diesmal verzichten. Aber einen Wunsch kann uns das bösartige Übel mit dem klangvollen Namen nicht verwehren: Corona möge möglichst schnell für immer verschwinden. Es ist genug!