Freital
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Gepackt vom alten Kohle-Schlepper

Rudolf Neubert hat 20 Jahre nach Ersatzteilen gesucht. Jetzt ist er am Ziel und zeigt sein neuestes Schmuckstück beim Alttraktorentreffen in Somsdorf.

Von Dorit Oehme
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Rudolf Neubert und sein Hanomag Straßenschlepper, mit dem er zum Festumzug zum 100. Stadtgeburtstag mit einem Kohleanhänger fahren will.
Rudolf Neubert und sein Hanomag Straßenschlepper, mit dem er zum Festumzug zum 100. Stadtgeburtstag mit einem Kohleanhänger fahren will. © Karl-Ludwig Oberthür

Wer zu dem Vierseithof in Freital-Somsdorf kommt und den taubenblauen Anstrich betrachtet, glaubt es kaum, so frisch sieht der Anstrich aus. „Die Farbe stammt aber aus den 1960ern. Meine Großmutter liebte diesen Ton der Holzverschalung. Wenn etwas Geld übrig war, ließ sie meinen Vater eine alte Milchkanne voller Taubenblau aus der Stadt mitbringen“, sagt Rudolf Neubert, der auf dem Hof lebt und aus Passion alte Traktoren restauriert.

Der 69-Jährige öffnet das Scheunentor. Das Tageslicht fällt auf einen Oldtimer, der zum Schutz mit Tüchern bedeckt ist. Als Neubert sie abhebt, kommt ein rekonstruierter Traktor mit schwarzem Fahrgestell und leuchtend-blauer Karosserie zum Vorschein. „Kurz nach der Wende habe ich das abgewirtschaftete Fahrzeug in Grün bei Kreischa entdeckt, ich war dort als Lastwagenfahrer unterwegs“, sagt Neubert und schiebt nach: „Von diesen Hanomags gibt es vielleicht noch eine Handvoll."

Der leichte Straßenschlepper wurde 1937 in der Hannoverschen Maschinenbau AG hergestellt. Er hat einen Vierzylinder-Dieselmotor, 20 PS und war laut Papieren für eine Zuglast von zehn Tonnen auf ebener Straße ausgelegt. "Solche Traktoren sollten die Pferdekraft in der Stadt ersetzen“, erklärt Neubert.

Sein Vater habe Anfang der 1950er-Jahre solch einen Hanomag mit einem Fünf-Tonnen-Anhänger in Dresden gefahren. „Zu seinen Aufgaben gehörte es, Kohlen vom Güter- und Rangierbahnhof Friedrichstadt zum Kraftwerk Mitte zu bringen und Trümmer aus der Stadt wegzuschaffen. Ich habe als Kind meinen Hanomag öfters mit einem Kohlehänger in Freital gesehen.“

Hier ölt Rudolf Neubert die Ventile eines Zettelmeyer Traktors von 1935.
Hier ölt Rudolf Neubert die Ventile eines Zettelmeyer Traktors von 1935. © Egbert Kamprath

Der Somsdorfer erzählt gemütlich, eine Hand in der Tasche seines Arbeitskittels. Zeit aber ist ihm kostbar. Telefonisch ist Neubert nur zu festen Uhrzeiten erreichbar. Auch für die Gruppe der Alttraktorenfreunde Weißeritzkreis, die er 1994 initiiert hat und die er zusammenhält. Vom Morgen bis zum Abend werkelt der gelernte Drechsler auf dem Hof, wenn er nicht gerade auf Erkundungstour ist.

„Ich habe 20 Jahre nach Teilen für den Hanomag gesucht“, offenbart er und erklärt: „Ich habe ihn komplett zerlegt, jede Schraube war ab. Er besteht nun aus mehreren Fahrzeugen und extra gefertigten Teilen.“ Das fange beim Fahrgestell an. Die Achsen sind neu, die hinteren Kotflügel stammen von einem Kleintransporter Barkas B 1000.

Ein Stellmacher und Alttraktorenfreunde helfen

Erschwerend war, dass das Fahrzeug-Handbuch mit der Ersatzteilliste nur bedingt Auskunft gab. Viele Details fehlten. Um mehr über den Diesel-Motor zu erfahren, fragte Neubert bei einer Hanomag- Interessengemeinschaft in Hannover und anderen Kennern nach. Doch die Lösungen – mit denen er zufrieden war – gewann der Somsdorfer von einem Freiberger Kraftfahrzeugmeister. Der Experte hatte Hanomags schon in den Nachkriegsjahren erhalten und so vorm Verfall geschützt.

Das Holzgestell der Karosserie baute ein Stellmacher im Erzgebirge. Die Alttraktorenfreunde Weißeritzkreis halfen, die Blechkarosse instand zu setzen. Dafür nutzten sie einen speziellen Apparat, den ein Mitstreiter schon vor Jahren entwickelt hatte. „Mit ihm kann man die Lüftungsschlitze in der Motorhaube aufbiegen und formen.“

Alte Fotos gesucht

Neubert streicht über sein Schmuckstück. „Ich habe es im Originalton lackieren lassen. Das Hanomag-Blau tauchte wieder auf, als ich an der rostigen Motorhaube kratzte.“ Der Enthusiast drückt die neu gegossene Klinke am Fahrerhaus hinunter. Die durchgehende Sitzbank ist frisch gepolstert und bezogen. Unterm Armaturenbrett hängen die letzten losen Kabel. Die Elektrik wird gerade installiert. „Es ist aufwendig und auch nicht an einem Tag erledigt.“

Neben den elektrischen Blinkern ist der Hanomag weiterhin mit Fahrtrichtungsanzeigern ausgestattet. Auch mit dem legendären umklappbaren gelben Dreieck. Alle Lastkraftwagen und Zugmaschinen mit geschlossenem Fahrerhaus mussten es einst tragen und bei Hängerbetrieb aufstellen.

„Mein Wunsch ist es, mit dem Hanomag im Festumzug zum 100. Stadtgeburtstag dabei zu sein – mit einer kleinen Fuhre Kohle auf dem Anhänger“, sagt Neubert, der auch Fotos der alten Nutzung sucht. Beim Alttraktorentreffen in Somsdorf ist der Hanomag am 17. Juli im Rahmen des Sommerfestes schon zu bestaunen. Für Rudolf Neubert ist der Weg vom Vierseithof mit der taubenblauen Holzfassade zum Festplatz kurz.

Das Alttraktorentreffen findet mit dem Somsdorfer Sommerfest vom 16. bis 18. Juli rings ums Dorfgemeinschaftshaus an der Höckendorfer Straße 30 statt.

Unterm Thema „Wir gehen Holz machen“ führen die Alttraktorenfreunde am 17.Juli, ab 9 Uhr, Technik und alte Holzbearbeitung vor. An diesem Tag sind auch die meisten Traktoren zu sehen. Für Kinder gibt es kostenfreie Spiel- und Bastelangebote, auch ein historisches Karussell und eine Eisenbahn. – Ein Parkleitsystem ist ausgeschildert. Vom Parkplatz zum Festplatz wird ein Shuttle-Verkehr eingerichtet.

Mehr zum Fest und zu den aktuellen Coronaschutzmaßnahmen unter: www.eibe-somsdorf.de

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