Merken

Freiwillig in ein neues Leben

Als Bufdi bei der Feuerwehr ist man Mädchen für alles. Besser könnte es nicht laufen, findet Marc-Tell Kindling aus Neustadt.

Teilen
Folgen
© Daniel Schäfer

Von Nancy Riegel

Neustadt. Es gibt Lebensgeschichten, die könnten aus einem Ratgeber stammen. Aus einer Anleitung zum Glücklichsein. Die Geschichte von Marc-Tell Kindling ist eine solche. Der Wahl-Neustädter gab vor Jahren seine Selbstständigkeit und sein geregeltes Einkommen auf. Für deutlich weniger Geld arbeitet der 52-Jährige nun als Bufdi bei der Freiwilligen Feuerwehr – und war nie zufriedener. Bufdi, das ist die Abkürzung für Menschen, die den Bundesfreiwilligendienst absolvieren. Sie helfen mit, packen an, sammeln Erfahrungen. Jede Kommune in Deutschland kann Arbeitsplätze für Freiwillige anbieten, die mit einem kleinen Taschengeld entlohnt werden. 16 Bufdis gibt es aktuell in Neustadt, informiert das Rathaus. Und einer von ihnen ist der 52-jährige Marc-Tell Kindling. Der Mann mit dem ungewöhnlichen Vornamen – inspiriert vom Sohn der Schweizer Schauspielerin Liselotte Pulver – muss weit ausholen, um zu erzählen, wie er in dieser Stelle, in dieser Stadt gelandet ist.

Denn noch im Jahr 2013 lebte er in Hannover. Der gelernte Einzelhandelskaufmann führte ein Sicherheitsunternehmen. „300 Arbeitsstunden im Monat waren keine Seltenheit“, sagt er. Erzählt er von seinem Leben damals, merkt man dem 52-Jährigen an, dass er abgeschlossen hat. Mit dem ständigen Arbeiten, mit der wenigen Freizeit, mit dem Umstand, seine beiden Söhne viel zu selten zu sehen. „Und dann kam die Warnung des Arztes, dass ich vielleicht noch fünf Jahre zu leben hätte, wenn ich so weiter machte. Mein Leben bestand aus Arbeit, Tag und Nacht und am Wochenende, dazu viel Kaffee, wenig Nahrung und kaum Schlaf.“

Ein Schock, der tief saß. Seine Firma gibt es immer noch im niedersächsischen Langenhagen. Nur Marc-Tell Kindling, der wohnt jetzt in Neustadt, so ganz ohne Geschäftsführerstatus. Die Stadt, die er aus zahlreichen Urlauben in der Sächsischen Schweiz kannte, sollte die Stadt für einen Neubeginn sein. Mit seiner Lebenspartnerin entschied er sich für einen Alltag für die Familie. „Wir haben zwei kleine Töchter, vier und sechs Jahre alt, und denen gilt meine ganze Aufmerksamkeit.“ Viele haben ihn für verrückt erklärt. Wer gibt schon freiwillig seinen Wohlstand auf? Zu wenige, findet der Neustädter.

An Arbeit war für ihn nach dem Umzug erst einmal nicht zu denken. Die Familie war und ist das Wichtigste. Das gesparte Geld reichte für eine gewisse Zeit, dann fing seine Partnerin wieder an zu arbeiten. Im Jahr 2016 schließlich trat Marc-Tell Kindling als Kamerad in die Feuerwehr Neustadt ein. In Hannover hatte er für so etwas nie Zeit. Davon hat er nun reichlich, vor allem seit die kleinen Töchter beide im Kindergarten sind. Er entdeckte dann zufällig den Aufruf für den Bundesfreiwilligendienst, bewarb sich auf die Stelle im Gerätehaus an der Struvestraße, wurde angenommen, und steht seit Sommer 2017 jeden Morgen um 7 Uhr auf der Matte.

„Als Bufdi ist man hier Mädchen für alles“, sagt der Mann mit den durchdringenden blauen Augen. Und das meint er kein bisschen abwertend. Marc-Tell Kindling mäht Rasen, beschneidet Bäume, reinigt nach einem Einsatz die Schläuche. Er mache die Arbeiten, die eben so anfallen. Und er lernt ständig dazu. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich lediglich eine billige Arbeitskraft bin, ganz im Gegenteil“, sagt der 52-Jährige entschlossen. Es sei eher so, dass seine Kollegen sich extra Zeit für ihn nehmen würden, „um meine tausend Fragen zu beantworten.“ Die drehten sich häufig um die Technik der Feuerwehr, die im Mannschaftswagen oder beim Atemschutz zum Einsatz kommt. Vor dem Freiwilligendienst habe er mit all diesen Dingen nicht viel am Hut gehabt.

Glücklich mit wenig

Mit seinen 52 Jahren gehört der Neustädter zur älteren Generation der Bufdis. In Neustadt sind die Teilnehmer an dem Programm zwischen 18 und 65 Jahre alt. „Die Bufdis in den Kindereinrichtungen sind meistens sehr junge Teilnehmer, die diese Tätigkeit als Berufsorientierung nutzen“, schätzt Stadtsprecherin Sarina Mann ein. Die Älteren entschieden sich eher für das freiwillige Jahr, um der Gesellschaft einen Teil zurückzugeben. Verantwortung übernehmen, anderen helfen, fit bleiben, zählt Marc-Tell Kindling auf und trägt wie zum Beweis eine Fitnessuhr am Handgelenk. Für ihn ist es nach der langen Auszeit die erste „richtige“ Arbeitsstelle.

Wie soll es für ihn im Sommer 2018 weitergehen? Maximal für ein halbes Jahr könnte er seinen Dienst verlängern, lautet die gesetzliche Vorgabe. „Schade“, sagt der Neu-Neustädter, der bei der Feuerwehr nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung gefunden hat, sondern auch gelernt hat, was Kameradschaft bedeutet. Vielleicht wird er nach dem Freiwilligendienst wieder ins Berufsleben einsteigen. „Aber nur, wenn sich der Job mit den Kindergartenzeiten vereinbaren lässt.“

Marc-Tell Kindling ist glücklich. Er ist Vollblutpapa und so gesund wie seit Jahren nicht mehr. Geld spielt nur noch eine untergeordnete Rolle für ihn. Die Arbeit als Bufdi passt da ziemlich gut dazu.

www.bundesfreiwilligendienst.de