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Freundschaft mit Russland kann man trainieren

Das Ende der Sanktionen zu fordern reicht nicht. Wichtig ist die Annäherung – auch durch Sport und Kultur. Ein Gastbeitrag von Fritz Pleitgen. 

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Kraftprobe mit Putin.
Kraftprobe mit Putin. © imago/ITAR-TASS

Von Fritz Pleitgen

Dass sich unsere Landsleute in Ostdeutschland Sorgen um das Verhältnis zu Russland machen, ist inzwischen auch im Westen der vereinten Republik angekommen. Für mich nichts Neues! Die gleiche Erfahrung habe ich bei einer Reise im Frühsommer gemacht, als ich in Görlitz, Zittau und Bautzen das Buch „Frieden oder Krieg – Russland und der Westen“ vorstellte, das ich zusammen mit dem russischen Romancier Michail Schischkin geschrieben habe (Ludwig Buchverlag, Anm. d. Red.).

Mir gefällt, dass meine Landsleute in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ihr waches Gespür für ungute Entwicklungen nicht verbergen. Missfallen hat mir, dass im Europa-Wahlkampf der Krieg im Donbass und unser völlig ruiniertes Verhältnis zu Russland in keinem Land der EU eine Rolle spielte. Gehören für die EU Russland und die Ukraine nicht zu Europa? Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland wird das, wie es aussieht, anders sein. Vielleicht kommt dann endlich etwas in Gang, was zu einem besseren Miteinander auf unserem Kontinent führt.

Wir im Westen wissen, warum die Verhältnisse völlig entgleist sind. Für uns sitzen die Guten bei uns und die Schurken im Kreml. Bei einer Podiumsdiskussion in Moskau habe ich festgestellt, dass in Russlands politischen Kreisen genauso gedacht wird. Nur umgekehrt. Da sind die Übeltäter im Westen und die Guten im Kreml, mit dem allwissenden Präsidenten an der Spitze. Schischkin und ich finden das gegenseitige Schuldzuweisen langweilig und nicht zielführend. Wir betrachten selbstkritisch unsere eigene Seite, und zwar konsequent bis zur Schmerzgrenze. Bei einem kritischen Fall holt man sich in der Medizin eine zweite Meinung, was nicht selten zu einer guten Lösung führt. Schischkin und ich haben diese Methode übernommen und bieten gleich zwei zweite Meinungen an. Die Leserinnen und Leser sollen selbst entscheiden, welchen Weg sie für besser halten.

Seit meiner Zeit als ARD-Korrespondent in der DDR fühle ich mich Ostdeutschland eng verbunden. Meine besondere Sympathie gehört der Oberlausitz. Michail Schischkin und ich haben unsere Lesereise in bester Erinnerung. Uns haben das adrette Äußere von Bautzen, Zittau und Görlitz wie auch das sachkundige Interesse des Publikums bei den Lesungen sehr gefallen. Vom Stadtbild her wären Görlitz, Zittau und Bautzen Vorzeigestädte bei uns in Nordrhein-Westfalen. Sicher gibt es auch Schwachstellen. Besser geht immer. In meinem inzwischen langen Leben habe ich keinen einzigen perfekten Staat angetroffen. Seit der Einheit ist die Bundesrepublik für mich der beste Staat, den Deutschland je hatte. Da ich Deutschland und Europa auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs intensiv erlebt habe, kann ich mir, denke ich, dieses raumgreifende Urteil erlauben.

Um dafür die äußeren Bedingungen zu erhalten, sollten wir die EU animieren, eine aktive Ostpolitik zu betreiben. Mit drei Zielen: ein vernünftiges Verhältnis zu Russland herstellen, der Ukraine auf die Beine helfen und als Erstes den Krieg im Donbass beenden. Aber wie? Das Ende der Sanktionen zu fordern reicht nicht. Ein langfristiges Konzept muss her, um Russland in ein gemeinsames Wirtschafts- und Sicherheitssystem mit dem Westen zu holen. Gorbatschows „gemeinsames europäisches Haus“ war keine schlechte Idee. Sie ist immer noch realisierbar. Willy Brandts Partei sollte sich dazu besonders aufgerufen fühlen. Kohls CDU auch.

Zivile Initiativen können als Lockerungsübungen politische Umschwünge einleiten. So 1955, mitten im Kalten Krieg! Damals wollten sich die kommunistische Supermacht Sowjetunion und die kapitalistische Bundesrepublik aufeinander zubewegen. Beide wussten nicht, wie zehn Jahre nach Ende des fürchterlichen Zweiten Weltkriegs ihre Bevölkerungen darauf reagieren.

Fritz Pleitgen, geboren 1938, gehört zu den einflussreichsten Journalisten Deutschlands. Von 1995 bis 2007 war er Intendant des WDR. In den 70er-Jahren war er ARD-Korrespondent in Moskau und Ost-Berlin, später in Washington. Pleitgen ist Mitglied der SPD.
Fritz Pleitgen, geboren 1938, gehört zu den einflussreichsten Journalisten Deutschlands. Von 1995 bis 2007 war er Intendant des WDR. In den 70er-Jahren war er ARD-Korrespondent in Moskau und Ost-Berlin, später in Washington. Pleitgen ist Mitglied der SPD. © dpa

Der Kreml mit Bulganin, Chruschtschow und Malenkow machte den ersten Schritt. Ihr Fußballverband lud kurzerhand die westdeutsche DFB-Auswahl, die ein Jahr vorher Fußball-Weltmeister geworden war, zum Freundschaftsspiel nach Moskau ein. Der DFB sagte zu, obwohl Spieler und Fans mit Bangen die Reise antraten. Die Sowjets verdonnerten die zähneknirschende DDR-Führung, bei der Anreise der westdeutschen Reisegruppe zwischen Ostberlin und Moskau logistische Hilfe zu leisten.

Die Bevölkerung in Moskau erwies sich als großherziger Gastgeber. Das Spiel war ganz nach dem Geschmack des Publikums. Hochklassig, hochdramatisch, am Ende stand ein verdienter 3:2-Sieg der sowjetischen Sbornaja. Jewtuschenko schrieb darüber eine hinreißende Ballade. Das Eis war gebrochen. Kurz darauf kam Kanzler Adenauer. Es wurde hart verhandelt, das Bolschoi gemeinsam besucht, schließlich wurden diplomatische Beziehungen beschlossen und die letzten deutschen Kriegsgefangenen freigelassen, auch in die DDR. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Volksrepublik China und die USA ähnlich verfeindet wie Kreml und Weißes Haus. Alle diplomatischen Bemühungen brachten keine Annäherung, bis 1971 der chinesische Tischtennis-Verband die amerikanischen Tischtennisspieler zum Wettbewerb an der grünen Platte einlud. Die Amerikaner kamen, spielten mit großem Eifer, verloren zwar, lernten aber viel dazu. Danach ging es auch politisch voran. Mit großen Schritten! Erst kam Henry Kissinger, dann Präsident Richard Nixon. Die Welt hatte ein Problem weniger.

Zweimal Sport als Eisbrecher, jetzt kommt die Kultur. Im Oktober 2020 soll in der Tretjakow-Galerie eine spektakuläre Ausstellung stattfinden. Unter dem Titel „Einheit durch Vielfalt“ wollen 60 bis 70 Künstlerinnen und Künstler, vornehmlich aus Staaten der EU, mit ihren Werken in einer Privat-Initiative demonstrieren, dass in der Kunst Europa trotz aller politischen Zerwürfnisse weiter eine Einheit bildet. Und das in Moskau!

Ukrainer sind ebenfalls dabei wie selbstverständlich auch russische Künstler. Als Schirmherren sollen Frankreichs Macron und Deutschlands Steinmeier fungieren. Nicht ausgeschlossen, dass auch Putin mit an Bord kommt. Das Projekt wurde unlängst beim Petersburger Dialog in Bonn vorgestellt. Wenn es zustande kommt, sollte die Politik den Schwung mitnehmen, um endlich für friedlich geordnete Verhältnisse in Europa zu sorgen.

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