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Früher war mehr Lametta!

Schloss Weesenstein widmet sich Festen und Bräuchen in Sachsen und Böhmen. Mit überraschenden Erkenntnissen.

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© Kristin Richter

Von Thomas Morgenroth

Weesenstein. Selbst wenn neben ihm die Kameraden im Kugelhagel sterben – das Weihnachtsfest lässt sich der preußische Soldat deshalb nicht vermiesen. Er steckt sich fröhlich seine Pfeife an, setzt sich rittlings auf eine geladene Kanone und hält rechts eine Granate und links eine Flasche Sekt im Arm. Dahinter brennen die Kerzen am geschmückten Christbaum. Eine Idylle an der Front – mit diesem patriotischen Motiv bemalten die Künstler der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin 1917 einen ihrer typischen Weihnachtsteller. In der Luft umherfliegende Körperteile hätten sich nicht ganz so gut in den heimischen Wohnstuben der Witwen und Waisen gemacht. Aber die bittere Realität wird an Festtagen gern ausgeblendet, das war nicht nur im Ersten Weltkrieg so. Allerdings zogen damals die Freiwilligen mit besonders viel Hurra und Abenteuerlust in die Kämpfe. Für Kaiser und Vaterland gab man alles, gern auch das Leben. Insofern empfanden die Daheimgebliebenen die verklärenden Darstellungen auf dem Porzellan nicht als Hohn. Im Gegenteil: Sie packten ihr bescheidenes Festmahl drauf und freuten sich, wenn sie endlich den fröhlichen Soldaten freigelöffelt hatten.

Ausführlicher wird es an den Wänden, mit Texten, Fotos und seltenen Exponaten, wie diesem Weihnachtsteller aus dem Kriegsjahr 1917.
Ausführlicher wird es an den Wänden, mit Texten, Fotos und seltenen Exponaten, wie diesem Weihnachtsteller aus dem Kriegsjahr 1917. © Thomas Morgenroth

Der Teller ist neben einem ähnlichen aus dem Jahre 1918, der Soldaten mit Weihnachtsbaum auf einem U-Boot zeigt, bis März in einer Vitrine auf dem Taubenboden des Schlosses Weesenstein zu besichtigen. Ergänzt um weitere Kuriositäten jener Zeit, wie einem Feldpost-Christbaum, Eislametta oder dem musikalischen Weihnachtsbaumständer „Gloriosa“. In diesen ist eine Kalliope-Spieluhr eingebaut, die von einer gelochten Blechplatte „Vom Himmel hoch da komm ich her“ ertönen lässt, sofern einer zuvor an der Kurbel gedreht und die Feder aufgezogen hat.

Ach ja, früher war eben alles besser – oder wie es der deutsche Humorist Loriot in einem seiner Sketche Opa Hoppenstedt sagen lässt: „Früher war mehr Lametta!“ Unter diesem Motto widmet sich die von Birgit Finger und Alexander Hänel konzipierte Winterausstellung dem Wandel des Brauchtums und der Feierkultur im evangelischen Sachsen und katholischen Böhmen. Weihnachten spielt dabei eine zentrale Rolle, aber es geht auch um Karneval, 1. Mai oder Tag der Liebe. Die kurzweilige Schau nimmt den Besucher mit auf eine Reise durch die Jahreszeiten und Jahrhunderte. Mit authentischen Objekten, fachkundigen Erläuterungen und modernen Spielereien, die unterhaltend Wissen vermitteln, ohne dass sich die Kuratoren bedingungslos der Technik unterwerfen.

Im ganzen Schloss, selbst in der Kapelle, wo auf Knopfdruck gesungen wird, sind Stationen verteilt, die mit einer spielerischen Gestaltung punkten. Zwei typische vogtländische Moosmännchen begrüßen im Treppenhaus den Gast, der dann, geführt durch ein goldenes Paket als wiederkehrendes Element, im Salettchen einen mit Silber behangenen Weihnachtsbaum vorfindet – mit echtem Tannenduft. In König Johanns Gemächern sind eine biedermeierliche böhmische und eine sächsische Weihnachtsstube eingerichtet. Im Theatersaal ist die Tafel für das weihnachtliche Festessen gedeckt, ein Teller bleibt für Verstorbene oder einen unverhofften Gast frei.

So will es mancherorts die Tradition, erklärt Kunsthistoriker Alexander Hänel, der aus dem Erzgebirge stammt. Bei ihm gibt es Heiligabend, punkt 18 Uhr, das Neunerlei, während in Böhmen panierter Karpfen das Weihnachtsgericht ist.

Höhepunkt der Schau, die im Rahmen des EU-Projektes „Adelsschätze“ stattfindet, ist der Taubenboden mit einem Rondell als Symbol der ewigen Wiederkehr, auf dem sämtliche Feiertage Böhmens und Sachsens erklärt sind. Ringsum, ebenfalls kreisförmig angeordnet, ergänzen Exponate und Tafeln mit seltenen Fotografien und Texten die Stichpunkte. Da wandelt am Reformationstag ein lebensgroßer Luther über die Wand und wundert sich über Halloween, hängen sorbische Ostereier am Strauch, leuchten die böhmischen Heiligen auf und singen Kinder auf einer Zeichnung von Ludwig Richter „Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Pfingstenzeit!“ Ja, früher war eben alles anders. Oder fast: Leider gibt es noch immer Soldaten, die an der Front Weihnachten feiern müssen.

Bis 19. März, Di-So 10-16 Uhr; 24. und 25.12 geschlossen; Führungen am 15.1., 19.2., 19.3., jeweils 11 Uhr; Weesensteiner Schlossadvent am 26. und 27. November von 14 bis 18 Uhr; u. a. mit Kunsthandwerkern, den Posaunenchören Dohna und Pirna, dem Wandertheater Schwalbe und der Führung „Sagenhaftes Weesenstein“ (15 Uhr).