Fuchsflüsterer auf Eisvogelspur
Von Constanze Junghanß
Es gibt keine heimische Vogelart, die so prächtig schillert wie der Eisvogel. Als flöge ein strahlend blauer Diamant durch die Luft. Eisvögel sind selten zu entdecken. An der Neiße auf dem etwa 30 Kilometer langen Abschnitt zwischen Deschka und Podrosche siedelten sich jedoch zwei Brutpaare an. Kaum jemand bekommt sie tatsächlich zu Gesicht. René Schleichardt dagegen weiß sogar, wie sie riechen: „Eine Mischung aus Wellensittich und Fisch mit einem Hauch Anisduft“, erzählt er. So nahe kommt dem Eisvogel fast niemand in der Region. Ausgerüstet mit Kamera, Zelt und Tarnnetz hat sich der Rothenburger Hobbyfotograf am Flussufer in die Spur begeben. Seit Monaten beobachtet er in seiner Freizeit die Tiere, „schoss“ weit über 1 000 Fotos von ihnen und dem Nachwuchs. Obwohl die Tiere extrem scheu sind, sehen sie in René Schleichardt augenscheinlich keine Bedrohung. Selbst auf seinem Zelt, nur 20 Zentimeter entfernt vom Gesicht des 39-Jährigen, machte ein Eisvogel bereits Rast. Seither weiß der Naturfreund, wonach Eisvögel „duften“.
Lange war die Art verschwunden, erinnert sich der Fotograf. Die Neiße war zu DDR-Zeiten durch Abwässer von Fabriken und Feldern stark verschmutzt. Keine guten Bedingungen für den Vogel. Mittlerweile, so weiß René Schleichardt, ist das Wasser bedeutend sauberer geworden. Er erzählt, dass es 2016 bei dem einen Elternpaar zweimal, bei dem anderen Paar dreimal Familiennachwuchs gegeben hat. Wie viele der Jungtiere allerdings tatsächlich überleben, bleibe fraglich. Ein Hochwasser könnte ausreichen, die Bruthöhlen am Uferrand zu überfluten. Dazu kommt: Die „Diamanten der Lüfte“ sind sehr empfindlich, was die Umweltbedingungen angeht. „Eisvögel füttern ihre Jungen stündlich. Wenn sie sich durch Geräusche oder Lebewesen gestört fühlen, trauen sie sich nicht mehr an die Bruthöhle heran. Schlimmstenfalls verhungern Jungtiere dann“, erzählt er. Deshalb stößt es ihm besonders sauer auf, was er in den letzten Wochen erlebte. „Täglich sind viele Paddelboote auf dieser Strecke unterwegs. Einige Insassen nehmen Alkohol mit, krakeelen wenn die Hemmschwelle sinkt, laut herum und werfen ihre Bierbüchsen in hohem Bogen in die Neiße.“ Und als sei das noch nicht genug, wären sogar schon Böller geflogen und mit einer Schreckschusspistole geballert worden. Für die Eisvögel wirkt das wie Gift. Bei solchen extremen Störungen stellen sie das Füttern der Jungen ein, könnten sogar abwandern, weil sie das Terrain als unsicher empfinden. René Schleichardt sagt, er habe nichts gegen den Tourismus und die Paddelboote auf dem Fluss. Doch dann müsse in Zukunft ein striktes Alkoholverbot umgesetzt werden und er bittet eindringlich, sich in der Natur angemessen und ruhig zu verhalten. Einfluss habe er darauf jedoch nicht.
Ein anderes Problem dagegen geht er, momentan noch als „Einzelkämpfer“, einfach selbst an. Jede Menge Müll werde immer wieder neu angespült. Vor allem Flaschen, Büchsen. Aber auch Plastetüten bis hin zu illegal entsorgtem Bauschutt an den Uferbereichen. Immer wieder nimmt René Schleichardt deshalb nun Müllbeutel mit und sammelt die illegalen Hinterlassenschaften anderer Leute ein. Den einen oder anderen Schandfleck hält er dabei mit der Kamera fest. Das scheint nicht jedem zu gefallen. Vor kurzem zerstörten Unbekannte eines seiner Beobachtungszelte, und das Tarnnetz war ebenso verschwunden. Trotz laminiertem Schild mit dem Hinweis „Bitte nicht stehlen oder kaputt machen. Vogelbeobachtungszelt“. Bisher hat er diese Vorfälle noch keiner Behörde gemeldet, machte sich jedoch bei Facebook darüber Luft und bekam von seinen Lesern viel Zuspruch für sein Engagement.
Das pflegte der junge Mann übrigens bereits im Vorjahr. Da standen die Füchse, vor allem die Beobachtung einer ganzen Familie und das Aufwachsen der Jungtiere im Wald, in seinem Kamerafokus. Nachdem die SZ über sein Fuchsprojekt berichtet hatte, wurden auch andere Medien auf den „Fuchsflüsterer“ aufmerksam. Der Wechsel vom Fuchs zum Eisvogel als Fotomotiv und Jahresbegleitung sei allerdings dem Zufall geschuldet. „Ich bin neugierig und abenteuerlustig“, sagt Schleichardt. Bei seinen Streifzügen am Neißeufer fiel ihm der geflügelte Geselle ins Auge. Und da stand dann fest, dass 2016 für René Schleichardt ein fotografisches Eisvogeljahr wird. Das ist noch nicht beendet. Alcedo attis – so der lateinische Name – bleibt nämlich im Winter in der Nähe seines Brutgewässers.