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Funde zu Nazi-Eliteschule jetzt im Stadtarchiv

Wie ein OB im Alleingang eine Straße umbenannte. Und wo die Anstaltsschüler mit Radebeuler Mädels ausgingen.

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© Andreas Weihs

Von Peter Redlich

Radebeul. Die jungen Männer waren beliebt bei den Radebeuler Mädels vom Luisenstift-Gymnasium. Wer von der Langemarck-Eliteschule kam, war etwas Besonderes. In der Villa mitten in den Weinbergen am Paradies bildete das Reichsstudentenwerk seine Kader aus.

In der Villa am Jägerhof, nach seinem ehemaligen Besitzer Goldschmidt benannt, befand sich die Schule. Heute ist das Gebäude Teil einer privaten Wohnanlage.
In der Villa am Jägerhof, nach seinem ehemaligen Besitzer Goldschmidt benannt, befand sich die Schule. Heute ist das Gebäude Teil einer privaten Wohnanlage. © Norbert Millauer

Etwas abseits, versteckt vor dem Trubel der Stadt, wurden nahe dem Jägerhof die Führungskräfte für die annektierten oder eroberten Gebiete herangezogen. Wer die Langemarck-Schule mit Erfolg verlassen hatte, der durfte mitregieren in der deutschen Nazi-Führung – etwa im „Sudetengau“, dem heutigen tschechischen Staatsgebiet.

Dass in Radebeul eine solche Elite-Schule angesiedelt war, belegen die erst vor wenigen Wochen in einem zugemauerten Backofen gefunden Dokumente. Im ehemaligen Wirtschaftshaus neben der Schule grub der Radebeuler Geschichtsforscher Udo Kühn die Papiere aus. Deutlich ist auf den Schriftstücken, die wohl zum Kriegsende eiligst verbrannt werden sollten, zu lesen: „Langemarck-Studium der Reichstudentenführung, Lehrgang Dresden, III. Vor-auslese“. Auf dem Bogen ist der Name eines Studenten Emil P. verzeichnet, geboren 1912 in Halle, der eben für den „Sudetengau“-Einsatz vorbereitet wird.

Udo Kühn hat die Funde aus dem Backofen jetzt dem Radebeuler Stadtarchiv übergeben. Dessen Leiterin Annette Karnatz ist erfreut über die Leihgabe: „Die Informationen, die wir zur ehemaligen Langemarck-Schule haben, sind äußerst dürftig.“ Gefunden wurde beispielsweise ein Eintrag vom Stadtchronisten, dass es 1942 die ersten Prüfungen für die Absolventen der Schule gegeben hat. Manches sei auch nur vom Erzählen und Hörensagen älterer Radebeuler überliefert.

Eben die Geschichte von den Mädchen vom Luisenstift, die sich gerne mit den intelligenten jungen Männern von der Eliteschule trafen. Einer der beliebten Treffs sei die Obstweinschänke „Flora“ im Lößnitzgrund gewesen.

Ein Ehepaar aus Dänemark sei vor mehr als zehn Jahren im Radebeuler Stadtarchiv aufgetaucht und hätte nach Dokumenten zur Langemarck-Schule gefragt, sagt die Stadtarchivleiterin. Der Mann war offenbar ein Absolvent der Schule gewesen. Mitgebracht hätten die Besucher keine Dokumente zur Langemarck-Schule. Großes Interesse fand allerdings, wie die Stadt Radebeul damit umgegangen ist.

Die Villa war in Radebeul als die Goldschmidt-Villa bekannt. Ein sehr vermögender Berliner Bankier, Joseph Goldschmidt, hatte sich das Gebäude 1894 errichten lassen. Sein Sommersitz weit weg von der Berliner Großstadt in den Oberlößnitzer Weinbergen, direkt neben dem Hügel, den noch heute alle Paradies nennen. Im Archiv ist zu lesen, dass der Radebeuler GoldschmidtBesitz 1937 von den Nazis „arisiert“ wurde.

Radebeuls damaliger Oberbürgermeister Heinrich Severit, von 1935 bis 1945 an der Stadtspitze, galt als ein überzeugter Nazi. Ihm ist zu verdanken, dass die heutige Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße zur Zeit der Elite-Schule in Langemarck Straße umbenannt wurde. Alles als alleinige Festlegung des Oberbürgermeisters – ohne jeglichen Stadtratsbeschluss. Eine Eintragung im Radebeuler Tageblatt weist noch darauf hin: „In Kürze wird in Radebeul im Grundstück Langestraße 25 eine der wenigen in Deutschland befindlichen und in ihrer Aufgabe hochbedeutsamen Schulanstalten der Langemarck-Stiftung eröffnet werden. In Würdigung dieser Tatsache und um zugleich das Andenken an die im Weltkrieg auf den Feldern Langemarcks gefallene studentische deutsche Jugend zu ehren und zu erhalten, habe ich beschlossen, die lange Straße mit Wirkung vom 1. Oktober 1941 an in Langemarckstraße umzubenennen. Der Oberbürgermeister.“

Langemarck war zu NS-Zeiten für die deutsche Jugend eine Art Mythos, welcher an Schulen und Ausbildungsstätten gepflegt wurde. Langemarck, heute Langemark, ist ein Ort im belgischen Flandern, in dem im Ersten Weltkrieg junge deutsche Soldaten mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in die Schlacht gezogen sein sollen und im Maschinengewehrfeuer umkamen. Die Nazis machten daraus einen Heldenmythos und nannten eine Stiftung nach Langemarck.

Die Radebeuler Villa wurde als Studentenwohnheim und Ausbildungsstätte für „politisch einwandfreie“ und fachlich besonders begabte Angehörige von Unter- und Mittelschicht für das sogenannte Langemarck-Studium auserkoren. Bis zum Kriegsende ist sie offenbar auch dafür genutzt worden. Zu DDR-Zeiten hat hier der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) Ausbildungen durchgeführt.

Nicht ganz klar ist, warum die jüdische Familie Goldschmidt nicht gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Besitz zurückbekommen hat. Im Radebeuler Stadtarchiv sind dazu keine Aufzeichnungen zu finden. Geschichtsforscher Udo Kühn vermutet, dass dies mit der Nutzung für den FDGB zusammenhängen könnte. Die Familie, deren Nachkommen in den USA leben sollen, habe er gehört, soll nach der Wende für den Verlust mit Geld aus dem Treuhandvermögen abgefunden worden sein.