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Galgenfrist für den Dresdner Güterbahnhof

Der Abbau in Friedrichstadt verzögert sich, weil es für die neue Drehscheibe Halle noch kein Geld gibt – und das wetterbedingte Bahnchaos zu groß war.

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Von Michael Rothe

Dresden. Es gibt nicht viele Eisenbahner, die sich über den strengen Winter freuen. Die Beschäftigten am Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt gehören jedoch dazu. Denn mit den vielen technischen Ausfällen bei der Deutschen Bahn (DB) und dem folgenden Chaos liegen auch die Schließungspläne für einen der größten ostdeutschen Rangierbahnhöfe auf Eis.

„Jede schlechte Nachricht lässt unseren Arbeitgeber nachdenken, dass man angesichts der Notstände nicht von einer Optimierung reden kann“, sagt Mario Reiß, bei der Bahn-Gütersparte DB Schenker Rail Betriebsratschef der Region Südost.

Wie die SZ im vorigen Sommer berichtet hatte, will der Konzern die wichtigsten Aufgaben des Dresdner Knotens nach Leipzig-Engelsdorf verlagern – auch den gesamten Grenzverkehr. Dresden, wo vor allem Züge im Einzelwagenverkehr zusammengestellt werden, sollte ab diesem Jahr nur noch „Satellit mit Rangiermitteln“ sein, wie es im Bahnjargon heißt. Die Werkstatt sollte „wegen rückläufigen Instandhaltungsbedarfs“ zum Stützpunkt mit abgespecktem Service degradiert werden.

Die 1200 sächsischen Stellen in der DB-Gütersparte sollten um 15 bis 20 Prozent schrumpfen. Wegen des Beschäftigungspakts gibt es jedoch keine betriebsbedingten Kündigungen. Ausrangierte Kollegen sollen anderswo im Konzern und nach DB-Tarifvertrag unterkommen: an einem Bahnhof, in einer Werkstatt, als Fahrdienstleiter oder Lokführer. Neben dem Dresdner Rangierbahnhof als größtem Brocken sind im Freistaat auch die Meldestelle Reichenbach im Vogtland und die Verladestationen Radeberg, Radebeul-Ost, Brand-Erbisdorf Opfer des Sparprogramms – und schon weitgehend dicht. Für die Standorte Löbau, Bischofswerda und Heidenau ändert sich nichts.

Leipzig profitiert nur kurzzeitig

Das alles passiert nun später. Schon ehe die ersten Flocken gefallen sind, war durchgesickert, dass die Bahn mit der Umsetzung ihrer Pläne hinterherhinkt. „Die per 1. Januar gültige Organisationsstruktur ist noch nicht beschlossen“, räumt Artur Stempel, Konzernbeauftragter für Sachsen, gegenüber der SZ ein. Noch liefen die Beratungen mit den Betriebsräten. „Ich erwarte eine Einigung im ersten Quartal“, so Stempel. Auch stehe die Finanzierung des neuen großen Knotens Halle-Nord noch gar nicht. Dort soll nach DB-Willen das Aufkommen aus Dresden landen und in der Folge auch das von Leipzig-Engelsdorf, das nur kurzzeitig von einem Dresdner Aderlass profitieren wird.

„Wir brauchen im Südosten eine moderne große Drehscheibe, und die soll Halle werden“, sagt Bahnmanager Stempel. „Es kann aber sein, dass sich das Projekt von 2014 auf 2016 verzögern wird.“

In dieser Galgenfrist könnten sich einige der knapp 260 Beschäftigten in Dresden-Friedrichstadt – davon etwa 100 Lokführer – in Rente, Altersteilzeit und Vorruhestand retten. „Das wäre wichtig, denn die Kollegen dort sind im Schnitt 57Jahre alt und haben auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr“, sagt Betriebsrat Mario Reiß. Die Zeit läuft für die Beschäftigten, und auch Petrus scheint einen Gewerkschaftsausweis zu haben.

Abtauplatz für 40 vereiste Loks

Dank des winterbedingten Reparaturstaus haben die 90 Leute in der Werkstatt Arbeit ohne Ende. Nach SZ-Informationen könnte dort nur noch die Hälfte der Jobs wegfallen. Experten warnen auch die Bahn, sich vorschnell von der Immobilie zu trennen. „In die drei Schuppen und die Neubauhalle passen 40Loks“, sagt Betriebsratschef Reiß. Das sei allein schon wegen der momentanen Eis-Abtauzeiten von anderthalb Tagen ein Pfund.

Sachsens Bahnchef Stempel warnt aber vor zu großen Erwartungen. „Die Schließungsabsicht bleibt“, sagt er. Es sei nur eine Frage der Zeit. Einen Schadwagentourismus durch die Republik, um Werkstätten mit Arbeit zu versorgen, könne sich die Bahn nicht mehr leisten. Zumal der Konzern seit 2008 im Gütergeschäft jede vierte Tonne verloren hat. So fehlen der DB über eine Milliarde Euro in der Kasse. „Es gibt keinen Kahlschlag in der Fläche“, versichert Alexander Hedderich, Chef der DB Schenker Rail Deutschland AG. 72 der 1600 Güterverkehrsstandorte seien betroffen, 0,2 Prozent des Güterverkehrs. Nach den jüngsten Zugausfällen warnt Betriebsratschef Reiß: „Womöglich muss man die Kapazitäten erhalten und auch in Dresden nachsteuern“, sagt er. Die Bahn sei in der Region „viel zu dünnhäutig“. Sachsen habe nach Umsetzung des Programms keinen Instandhaltungspunkt mehr.