Sachsen
Merken

Gartenstadt soll in die Lausitz locken

Vor über 100 Jahren entstand in Lauta die Gartenstadt "Erika". Nun soll die fast vergessene Siedlung Großstadtmüde ins Lausitzer Seenland locken.

 5 Min.
Teilen
Folgen
Blick auf die Kulturkirche und die Wohnbauten der Gartenstadt Lauta.
Blick auf die Kulturkirche und die Wohnbauten der Gartenstadt Lauta. © dpa/Robert Michael

Laubusch. Die Kirche aus rotem Backstein wirkt fast ein wenig zu groß für den kleinen Ort Laubusch (Landkreis Bautzen). Ihr gegenüber schallt Baulärm aus der Schule, die gerade saniert wird. Ein paar Jugendliche schwingen sich aufs Fahrrad, um mit Badesachen zum gut zehn Minuten entfernten Geierswalder See zu fahren. 

Wegen der schwülen, drückenden Hitze haben einige Bewohner der denkmalgeschützten Gartenstadt "Erika" die grünen, hölzernen Fensterläden verschlossen, einige andere Häuser der Kolonie dagegen stehen schon lange leer. Groß wirbt die Wohnungsgenossenschaft mit einem Plakat für die Vermietung von 1- bis 4-Raum-Wohnungen. 

Die Kolonie wirkt an diesem Sommertag in die Jahre gekommen. Nach dem Willen ihrer Einwohner und mit Unterstützung der Stadt Lauta soll die historische Arbeitersiedlung im dazugehörigen Ortsteil zur "Lausitzer Gartenstadt 2030" aufblühen und modellhaft für andere vergleichbare Siedlungen deutschlandweit zeigen, wie sich solche Gartenstädte neu beleben lassen. Verbunden ist damit der Wunsch, "mit einer bürgerbeteiligten Ideensammlung der über hundertjährigen Erika mindestens 100 weitere Jahre zu geben", sagt Projektmanager Matthias Priebe.

Ein überdimensionaler Schwibbogen auf dem Marktplatz mit zwei Bergmännern weist auf die Geschichte des Ortes. Mit der Braunkohlegrube der IlseBergbau-AG beginnt 1914 der großflächige Kohleabbau zwischen Senftenberg und Hoyerswerda. Die dort geförderte Kohle dient hauptsächlich der Versorgung der Brikettfabrik und des Kraftwerkes, des Aluminiumwerkes in Lauta sowie weiterer Brikettfabriken. Die Gruben locken Arbeitskräfte. 

©  dpa/Robert Michael

Für jene Bergleute werden Wohnkolonien nach dem Vorbild der Gartenstädte in Großbritannien errichtet. Das Modell der genossenschaftlich organisierten Siedlungen jenseits der Städte ist vor über 120 Jahren Ebenezer Howards Antwort auf das rasante Wachstum der Städte und zunehmende Wohnungsnot. 1909 gründet sich in Dresden die erste deutsche Gartenstadt: Hellerau. Ihr folgen Siedlungen in Karlsruhe-Rüppurr, Hagen und Wandsbek bei Hamburg. 

In der Idee vom gemeinschaftlichen Wohnen im Grünen sieht Holger Schmidt, Professor im Fachgebiet Stadtumbau und Ortserneuerung an der TU Kaiserslautern, eine Chance für die Gartenstadt Erika im 21. Jahrhundert. "Wir sehen derzeit zwei große Trends: Wachsende Städte mit steigenden Mieten und den Klimawandel - und merken, dass große Städte ein Problem haben. Deshalb verdienen Gartenstädte aus meiner Sicht eine Renaissance", sagt der Stadtplaner. 

Einwohnerzahl halbiert

Als Beispiel führt er die Uckermark an, die "von Berlin aus neu belebt wurde". "Die Herausforderung in Laubusch wird sein, dass Neuankömmlinge auf traditionelle Bewohner aus dem Industriearbeitermilieu stoßen."  Aus diesem Grund sind beim Erika-Projekt die Menschen vor Ort in die Ideenfindung einbezogen. Geld gab es dafür aus dem sächsischen Landeshaushalt. Die Kommune erhielt 415 000 Euro. Unterstützung hat sie sich durch Studierende der TU Kaiserslautern geholt.

Die acht jungen Wissenschaftler haben in den vergangenen drei Monaten eine umfassende Bestandsaufnahme für "Erika" gemacht. Untersucht wurden Stärken und Schwächen, unter anderem im Gespräch mit Menschen aus der Region. Der Leerstand ist nur ein Problem. In den vergangenen 15 Jahren habe sich in der Gartenstadt die Einwohnerzahl halbiert. "Jetzt wohnen dort noch 454 Menschen, 20 Prozent der Häuser stehen leer", analysieren die künftigen Stadtplaner. 

©  dpa/Robert Michael

Dieses Schicksal teilt Laubusch mit vielen anderen Orten im Lausitzer Revier. Nach der Wende bleiben von den zu DDR-Zeiten 75 000 Kumpel in diesem Landstrich nur gut 10 000 direkte Arbeitsplätze in Kohle- und Bergbau.  Doch auch die Chancen macht die Analyse sichtbar. Die Gartenstadt Erika liegt mitten im neu entstehenden Lausitzer Seenland, die Seeland-Fahrradroute führt durch den Ort. "Da bleiben schon mal Radler staunend stehen", sagt Priebe. 

Für die weitere Diskussion haben die Studierenden etliche Ideen vorgelegt. Der Zuschnitt, der heute viel zu kleinen Wohnungen, müsste verändert werden. Mit einer Probewohnung könnte man das Leben in der Gartenstadt testen, in einem nahezu ursprünglich eingerichteten Haus könnten Urlauber übernachten wie einst die Grubenarbeiter. 

"Wir brauchen in der Region mehr Mut"

Der Ideenkatalog reicht von Familien-Einfamilienhäusern in den Randlagen über Quartiermanagement mit einem Gartenstadt-Hausmeister bis hin zur Tourist-Information, Bürgercafé und einem DORV-Laden im Kulturhaus. DORV steht für Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung. Die jungen Wissenschaftler haben sogar geschaut, welche Fördertöpfe möglich sind und wie Flächennutzungspläne zu ändern sind, um "Erika für die Zukunft flott zu machen", wie Priebe sagt.

Lautas Bürgermeister Frank Lehmanns gefallen diese Visionen für das grüne Denkmal-Ensemble an der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze. "Ich erhoffe mir durch das Projekt eine positive Entwicklung für den Städtebau und die Einwohnerzahl. Schon jetzt gibt es in der Gartenstadt eine Kita, die Sanierung der Grundschule ist bis Sommer 2021 abgeschlossen", sagt der 42-Jährige. Das seien Standortfaktoren wie das nahe gelegene Seenland für Zuzügler. 

©  dpa/Robert Michael

Welche Projekte umgesetzt werden, ist offen. Auf Grundlage der Ideensammlung soll mit Bürgern weiterdiskutiert werden. Zudem sollen Investoren angesprochen werden. "Wir brauchen in der Region mehr Mut", sagt Priebe. Schon jetzt verspüre er ein gestiegenes Interesse am Gartenstadt-Projekt vor Ort und von Interessierten außerhalb der Lausitz. Zwei Frauen, eine aus Karlsruhe und die andere aus Berlin, hätten sich bereits in "Erika" der Zukunft verliebt. Umzug, so der Projektmanager, sei nicht ausgeschlossen. (dpa)