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Geboren am 13. Februar

1938 floh die Malerin Irene Brann vor den Nazis aus Dresden. Nun kehren ihre Bilder in die ehemalige Heimat zurück. Anlass ist auch der 100. Geburtstag der Künstlerin.

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Von Bianca Deutsch

Noch immer ist ihr die Fassungslosigkeit anzuhören. Wenn Irene Brann über das spricht, was sie als junge Frau in Dresden erlebt hat, sagt sie oft: „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Grauenhaft sei es damals gewesen, erzählt sie, wie Menschen verunglimpft und ausgegrenzt wurden. „Man wurde überall rausgeschmissen und behandelt wie der letzte Dreck“, sagt die Halbjüdin, die am 13. Februar1912 in Dresden geboren wurde. Sie ahnte früh, was der aufziehende Faschismus für ihre Familie bedeuten würde, doch die wollte die Realität nicht wahrhaben. Eine rechtzeitige Flucht wurde nicht erwägt. „Es lastet noch heute schwer auf meiner Seele, dass ich meine Familie nicht von der Gefährlichkeit der Situation überzeugen konnte“, sagt sie.

Ihre Familie lebte in gutbürgerlichen Verhältnissen. Ihr jüdischer Großvater war Hofjuwelier. In Blasewitz bewohnte er mit seiner Frau und sechs Kindern eine herrschaftliche Villa. Der Vater ihrer früh verstorbenen Mutter war ein anerkannter Kunstmaler. „Von ihm lernte ich gleichzeitig malen, sprechen und laufen“, erinnert sie sich.

Irene Brann war ein neugieriges Kind und gut in der Schule. Nach ihrem Abitur durfte sie trotzdem nicht studieren, der Schuldirektor entschuldigte sich bei der Halbjüdin persönlich dafür. „Ich habe dann eine Lehre als Fotografin absolviert. Aber als ich meinen Meister machen wollte, durfte ich das wieder nicht. Mir wurde jegliche Existenz verweigert. Mir war klar, dass ich fliehen musste.“

1938 enteignete die NSDAP den Juwelierladen. Ihr Vater, der das Geschäft mittlerweile übernommen hatte, wurde ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nur weil er im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen war, wurde er wieder freigelassen. Ihre Großmutter und ihre Tante kamen im Warschauer Getto um. Irene Brann floh nach Südamerika. Kurz zuvor hatte sie den Juden Fritz Brann kennengelernt. Er bekam einen Job als Ingenieur in einem Erzbergwerk in den Anden Boliviens und organisierte für seine künftige Frau das Visum.

Emotionale Rückkehr

Als Irene Brann in ihrem neuen Leben ankam, war der damals 26-Jährigen klar, dass sie nie wieder in Deutschland leben wollte. Schnell passte sie sich an die neue Situation an. Nah war sie ihrer Heimatstadt trotzdem. 1945, an ihrem 33. Geburtstag, erlebte sie aus weiter Ferne die Zerstörung Dresdens. „Wir hörten auf einem britischen Radiosender die Live-Übertragung der Bombardierung“, sagt sie. „Das war ein trauriges Erlebnis.“

Erst 1985 sollte sie als Touristin ihre Geburtsstadt wiedersehen. „Das war hochemotional, alles kam wieder hoch. Ich hatte dazwischen so viel anderes erlebt, dass es mir erschien, als schaute ich auf ein anderes Leben.“ Ihr neues Zuhause befand sich derweil auf 4200Metern Höhe. „Wir haben dort überlebt, weil es uns finanziell gut ging und wir eine Gruppe von vielen Fremden waren, die sehr solidarisch miteinander umging.“ Irene Brann begann zu fotografieren, ihre Landschaftsbilder fanden reißenden Absatz. „Es war so anders, dass man an Europa nicht zurückgedacht hat“, sagt sie.

1952 wurde Fritz Brann nach Lima in Peru versetzt. Dort begann seine nunmehr 40-jährige Frau ein Kunststudium. Ihr Lehrer sah ihre Stärke in der Porträtmalerei. „Aber das war mir zu langwierig, das konnte eine Kamera besser und schneller.“ Lieber widmete sie sich Pflanzen und Landschaften, malte später abstrakt oder baute aus Natursteinen ein Mosaik. Auch wenn sie künstlerisch nach dem Studium auf eigenen Füßen stand, verkauft hat sie nie ein Bild. „Das hatten wir nicht nötig“, meint sie. „Wenn ich etwas hergab, dann habe ich es verschenkt.“ Als Fritz Brann in Rente ging, zog es ihn zurück nach Europa. Da seine Frau auf keinen Fall in Deutschland leben wollte, entschied sich das Paar, das kinderlos geblieben war, für die Schweiz. Dort wohnt die 99-Jährige bis heute in dem Bergdorf Soglio in einem selbst gebauten Haus. Fritz Brann starb 1985. Seitdem meistert die Witwe ihr Leben allein. „Gott sei Dank sind bei mir noch alle Tassen im Schrank“, sagt sie mit fester Stimme. Sie bereue nichts in ihrem Leben. Nur, dass sie so spät mit ihren Bildern an die Öffentlichkeit ging. Erst vor zwei Jahren zeigte sie ihre Werke erstmals in Bergell.

Die kleine Ausstellung sahen auch Ingrid und Wolfgang Hauschild aus Dresden. Vor allem die Lebensgeschichte von Irene Brann beeindruckte sie. Auf ihre Initiative hin werden seit dem 27. Januar die Kunstwerke von Irene Brann im Kulturrathaus gezeigt. „Leider kann ich nichts mehr sehen und deshalb nicht nach Dresden reisen“, sagt die Künstlerin. Bereits 1991 musste sie sich ihrer Vergangenheit erneut stellen. Sie hat die großväterliche Villa in Dresden zurückbekommen und anschließend verkauft. Seitdem hat die Jahrhundertfrau einen versöhnten Schlussstrich unter ihre Geschichte gezogen.