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Gefährliche Fundstücke

Immer wieder werden Granaten aus dem letzten Krieg gefunden. Betroffen sind vor allem Wälder nördlich von Görlitz.

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© privat

Von Constanze Junghanss

Die Entdeckung in einem Waldstück an der Neiße lässt den Mann immer noch schaudern. „Beim Spaziergang fand ich drei Granaten“, sagt er am Telefon und erzählt, mächtig erschrocken gewesen zu sein. Der rostige Fund habe in einer Wildschweinsuhle oder einer Art Tümpel sichtbar und offen da gelegen. Berührt habe er nichts, sei vorsichtig und auf Zehenspitzen rückwärts aus dem Waldstück gegangen. Niemand wüsste, ob dort noch mehr Munition und ähnliches läge. Und ob das Ganze sogar explodieren könnte. Das war vergangene Woche bei Rothenburg. Der Mann will anonym bleiben. Auch, weil er nun verunsichert ist. Denn was mit dem Fund konkret passiert, scheint unklar. „Die Polizei habe ich sofort informiert“, sagt er. Zuvor markierte der Oberlausitzer die Stelle mit einem Taschentuch am Ast eines Baumes. Torsten Jahn von der Polizeidirektion Görlitz bestätigte das gegenüber der SZ. „Es handelt sich um drei Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg“, so der Sprecher. Es muss also nicht eine Bombe wie zuletzt in Dresden sein, die alle Beteiligten ziemlich in Aufruhr bringt.

Fund ist Sache der polnischen Polizei

Das Problem: Der Fundort liegt nicht auf deutschem, sondern auf polnischem Gebiet – etwa 300 Meter von der Grenze entfernt. In einem solchen Fall greift die Polizei auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zurück. „Das gemeinsame Zentrum der deutsch-polnischen Polizei in Swiecko wurde informiert“, berichtet der Polizeisprecher. Der Entdecker schildert die Situation so: „Mir wurde gesagt, erst müssten Zuständigkeiten geklärt werden“, erzählt er. Das habe eine Weile gedauert. Später sei ihm gesagt worden, er soll die Bundespolizei einschalten. „Mich verwundert das schon, dass da der Kommunikationsweg so lang ist“, sagt er. Immerhin würden unweit der Fundstelle Boote entlangfahren. „Was, wenn da so ein Teil hoch geht?“, fragt er sich.

Polizeisprecher Thomas Knaup kann auf wiederholte Nachfrage der SZ nicht sagen, ob die Granaten an der Neiße nun beräumt oder gesprengt worden sind. Das sei nun alles Sache der polnischen Polizei. „Wir sind da raus“, sagt er.

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst Sachsen hat keine Informationen zum Granatenfund hinter der Grenze. Hätten sich die Kampfstoffe auf deutscher Seite befunden, wäre sofort reagiert worden, sagt Jürgen Scherf, Sprecher des Polizeiverwaltungsamtes. In dem Fall besäße der Kampfmittelbeseitigungsdienst keine Handhabe. Reagiert habe der Finder absolut richtig. Die Ortspolizei gilt als richtiger Ansprechpartner, der alle weiteren Schritte einleitet. Anfassen dagegen ist absolutes Tabu. „Solche Kampfmittel sind auch nach über 70 Jahren völlig unberechenbar“, so Jürgen Scherf. Selten seien Funde dieser Art jedenfalls nicht. Zwar gibt es keine Statistik für die einzelnen Landkreise. Die Zahlen der Einsätze vom Kampfmittelbeseitigungsdienst werden für den gesamten Freistaat erfasst. Zu 763 Einsätzen rückten die Experten sachsenweit im Vorjahr aus.

1945 gab es im Görlitzer Umland schwere Bodenkämpfe, so der Sprecher. Ostsachsen war Kampfgebiet. Die 2. polnische und die 52. sowjetische Armee kamen über die Neiße. Bei ihrem Rückzug ließ die Wehrmacht Ausrüstung und Kampfmittel zurück. Königshain war Hauptverbands- und Verpflegungsstelle mit Küche und Bäckerei. „Von hier aus wurden die Deutschen versorgt“, erzählt Einwohner Armin Pietschmann. Und während die Einwohner das Dorf verlassen mussten, stellten die Deutschen vier Panzersperren und zwei Vierlingsflaks auf. „Der Bahnhof Nieder-Königshain war Artillerie-Stützpunkt“, sagt der ehemalige Polizist. Er erinnert sich, dass um die Wendezeit herum ein MG-Nest mit jeder Menge Munition bei Bauarbeiten an der Bäckergasse gefunden wurde. Der Königshainer musste selbst schon den Kampfmittelbeseitigungsdienst einschalten. Eine Granate bei einem Feldweg kam beim Ackern ans Tageslicht. Gerüchten zufolge seien damals auch Waffen in einen der Königshainer Steinbrüche geworfen worden, erzählt er.

„Im ländlichen Raum werden mehr Artillerie- und Panzerabwehrgranaten gefunden als in den Städten, wo es die Luftangriffe gab“, erklärt Scherf. Hochgefährliche Relikte der Vergangenheit, die Bodenerosionen, Wildtiere, eingetrocknete Tümpel oder Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft noch heute plötzlich zum Vorschein kommen lassen. Allein 2017 waren das in Sachsen mehr als 100 000 Kilo Granaten, fast 4 000 Kilo Bomben und über 6 000 Kilo Nahkampfmittel. „Ein Ende ist nicht abzusehen“, sagt Jürgen Scherf.