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Gefangen in der Wüste

Ein Dresdner rennt seinen ersten Marathon in der Sahara. Nun erzählt er vom Konfliktherd, den die Welt vergessen hat.

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© Rebekka Spott

Von Jochen Mayer

In Wüsten verschlägt es niemanden so schnell. In die Sahara muss man wollen. Maximilian Schulze reiste nach Nordafrika und trieb es auf die Spitze. Der Dresdner Doktorand, der am Max-Planck-Institut zur theoretischen Quantenphysik promoviert, rannte seinen überhaupt ersten Marathon in der Westsahara. Der 27-Jährige suchte sich neben der lebensfeindlichen Piste auch noch einen von der Welt längst vergessenen ungelösten Konfliktherd aus.

Auslöser dafür war ein Sprachkurs. Der Physiker forscht in Kooperation mit der altehrwürdigen schottischen Universität St. Andrews. Die setzt auf Extrakurse, um zusätzlich besondere Fertigkeiten herauszukitzeln. Maximilian Schulze beherrscht mehrere europäische Sprachen, so versuchte er sich an einer weniger naheliegenden – Arabisch. Das Alphabet schien ihm „stemmbar zu sein“. Die besten Lerneffekte versprach er sich vor Ort. Als an der TU Dresden ein Arabisch-Kurs in sahrauischen Flüchtlingscamps in Westalgerien angeboten wurde, griff er zu.

Seit 42 Jahren in der Sahara

Er war neugierig und staunte in der Wüste, „weil ich einen Konflikt erlebte, von dem ich bis dahin überhaupt nichts wusste“, gibt er im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung zu. Die Kolonialmacht Spanien hatte sich 1976 verabschiedet, doch die Westsahara wurde nicht unabhängig, sondern unter Marokko und Mauretanien aufgeteilt. Phosphat-Vorkommen und der fischreiche Atlantik bleiben den Sahrauis verwehrt. Eine Mauer zu den von Marokko besetzten Gebieten zementiert zudem die Verhältnisse. Ein von der Uno gefordertes Referendum wurde nie durchgeführt. „Die Sahrauis sitzen seit 42 Jahren in der Wüste fest“, sagt Maximilian Schulze, „vergessen von der Welt“.

Rund 200 000 Menschen campieren in Lagern, am Leben gehalten durch das Engagement des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR. Um internationale Aufmerksamkeit zu bekommen, wird seit 18 Jahren ein Marathon gestartet, ein Lauf zwischen Flüchtlingscamps, welche die Namen besetzter Städte tragen. Maximilian Schulze meldete sich an für das symbolträchtige Event von Elk Ayoun nach Smara – ein Mix aus Benefiz, Selbstfindung, Solidarität.

Mehr als 200 Marathonläufer wagten sich auf den harten Kurs. „Der war mitunter nur zu ahnen“, sagt Maximilian Schulze. „In den Boden gerammte Holzpfeiler markierten die Strecke.“ Eine Dreiergruppe fand sich mit dem Dresdner Physiker, einer Leipziger Studentin und einem Schweizer. Sie schafften in zwei Stunden die Hälfte der Distanz. „Dieser flache Teil ließ sich gut laufen, trotz der Steine. Dann wurde es schwer: bergauf Weichsand, bergab geröllig. Es schlauchte auf Dauer.“

Nach 6:10 Stunden war das Trio im Ziel. Maximilian Schulze hatte seine Marathonpremiere ohne Laufausrüstung und spezielle Vorbereitung geschafft. Er fühlte sich gut zu Fuß. Der Oberliga-Hockeyspieler vom ESV Dresden, der in seiner Jugend in Köln zum Krummstab-Sport gefunden hatte, zehrte von seiner Fitness. Doch er spürte ewig die Blasen an den Füßen vom Wüstenlauf. „Es funktionierte nur, weil wir sportlich fit sind, zudem keine Wunder erwartet haben“, vermutet er.

Aller drei Kilometer gab es Wasser, Orangen, Datteln. Die Selbstverwaltung hatte Militär an die Strecke beordert. Jeeps patrouillierten in Sichtweite. „Wir fühlten uns sicher“, erzählt Schulze, und dass ihn Freunde für verrückt hielten, sich auf so ein Rennen einzulassen. „Mein Gegenargument war“, sagt er schmunzelnd, „wenn die Sahrauis seit 42 Jahren in der Wüste leiden, kann ich das doch mal 42 Kilometer aushalten“. Lohn der Mühe: von Wüstenbewohnern getöpferte Medaillen.

Und es gab besondere Eindrücke in karger Landschaft, aufs Minimum reduzierte Ästhetik, weiter Horizont, besonderes Licht. „Wir liefen auf fast schwarzem Sand. Dann wurde es heller, fast weiß. Es gab aber auch Dünen. Ich hätte nicht gedacht, wie verschieden Wüste sein kann.“ Er staunte zudem über das Klima: „Es war nicht so heiß wie erwartet. Bei Wolken fühlte es sich sogar kühl an. Am meisten fühlte ich mich der Natur im Sandsturm ausgeliefert.“ Mit ganz anderen Widrigkeiten kämpfen die Sahrauis. „Ich war beeindruckt, wie sie den Mangel verwalten mit einer alles verwertenden Binnenwirtschaft“, schildert Schulze seine Eindrücke. „Sie sind arm, führen aber ein Leben in Würde. Doch ihnen fehlt eine Perspektive. Es ist traurig, dass schon die zweite Generation in den Flüchtlingscamps geboren wurde. Was will man ihnen erzählen? Und trotzdem sind sie überaus gastfreundlich, teilen das wenige, was sie haben.“

Ein wenig Hoffnung verbreiten Marathonläufer wie Maximilian Schulze, der nun von der letzten Kolonie Afrikas zu Hause erzählt. Auch davon, dass erstmals eine Sahraui den Marathon gewann: Inmaculada Zanoguera. Sie blieb als einzige Frau knapp unter vier Stunden, hat eine sahrauische Mutter, einen spanischen Vater, wurde aber adoptiert. Sie lebt mit einem Basketball-Stipendium in den USA und wurde auf der Suche nach ihren Wurzeln fündig. Per Crowdfunding sammelte sie das Geld für die Reise, von der die Film-Dokumentation „Running Home“ entsteht.

Maximilian Schulze will sich noch einmal an einen Marathon wagen, vielleicht in Sachsen. Darauf wird er sich aber vorbereiten und richtige Laufschuhe tragen. Was wohl immer mitlaufen wird, sind die Erinnerungen an den Wüstenlauf und Menschen mit besonderen Schicksalen.