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Gefragte Pinsel aus dem Erzgebirge

Bärte sind wieder in - Nassrasur auch. Davon profitiert die Traditionsfirma Mühle aus dem Erzgebirge und will eine neue Nische erschließen.

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© dpa

Christiane Raatz

Stützengrün. Auf das Gramm genau wiegt Anja Schmidt das helle Dachshaar ab, sorgfältig kämmt sie das Bündel. „Kein Haar darf quer liegen“, sagt die Pinselmacherin. Dann kommen die Dachshaare mit dem typischen schwarzen Strich in Formen hinein, die aussehen wie kleine Eierbecher - und werden kräftig geklopft. So erhält der Pinselkopf seine typische Form. Das Bündel bindet Anja Schmidt fest zusammen und setzt einen Metallring darauf - fertig ist der Pinselkopf. „Das ist das Schwierigste, kein Haar darf verrutschen“.

Pro Jahr verlassen rund 100 000 handgefertigte Rasierpinsel die Firma Mühle im erzgebirgischen Stützengrün - und gehen in die ganze Welt. Der wichtigste Markt ist Deutschland, gefolgt von dem Benelux, Frankreich, Skandinavien, England und den USA. Auch die asiatischen Gewinne gewinnen zunehmend an Bedeutung, sagt Andreas Müller. Der 39-Jährige führt gemeinsam mit seinem Bruder Christian die Geschäfte der 1945 gegründeten Manufaktur - in dritter Generation.

Die Firma mit 65 Mitarbeitern produziert ausschließlich im Erzgebirge und unterhält einen Verkaufsladen in Berlin, wo das „hippe“ Publikum sitzt. 70 Prozent erwirtschaftet Mühle mit handgefertigten Pinseln und den dazugehörigen Accessoires. Der Rest entfällt auf die Herstellung von preiswerteren Pinseln für Handelsmarken und Drogeriemärkte, die mit Maschine gefertigt werden.

In den letzten zehn Jahren hat sich nicht nur der Umsatz auf rund 12 Millionen Euro nahezu vervierfacht, auch das Sortiment ist breiter geworden: Es gibt Silberspitz-Dachshaarpinsel oder Pinsel aus eigens entwickelter synthetischer Faser. Griffe aus Carbon, Mooreiche oder aus Chinalack vom Lackbaum, der in 12 Schichten aufgetragen wird. Die Luxusvariante kann auch schon mal mehr als 300 Euro kosten. Liebhaber gibt es rund um den Globus. „Nassrasur und gepflegte Bärte liegen wieder voll im Trend, sagt Müller.

Immer mehr Männer tragen Bart, sagt auch Martin Ruppmann, Geschäftsführer des Kosmetikverbandes VKE. Die meisten greifen für die Pflege zwar auf normales Shampoo zurück. Zumindest jeder Fünfte verwendet aber auch spezielle Produkte zur Bartpflege. Der Markt für Herrenkosmetik wächst - wenn auch in Wellen. „Ich bin sehr optimistisch, dass hier trotz einer schwierigen Gesamtmarktentwicklung - noch Luft ist“, sagt Ruppmann.

In den vergangenen Jahren sind die Umsätze im Bereich Männerkosmetik um drei bis vier Prozent gestiegen, im Vorjahr stiegen die Erlöse um 4,6 Prozent. Insgesamt fiel das Wachstum im Kosmetikmarkt 2015 mit 1,5 Prozent deutlich schwächer aus - Ruppmann spricht von einer Enttäuschung. Die 60 gehobenen Kosmetikunternehmen im Verband, darunter L’Oréal oder Chanel, kamen 2015 auf einen Umsatz gut über zwei Milliarden Euro.

Eine Folge des neuen Bart-Trends: „Barbershops sprießen wie Pilze aus dem Boden“, sagt Mühle-Geschäftsführer Müller. Sein Unternehmen will deshalb noch in diesem Jahr eine eigene Linie von Rasiermessern auf den Markt bringen. Mit großen Umsätzen rechnet der Manufaktur-Chef nicht. „Wir machen uns da nichts vor, das ist ein Nischenmarkt.“ Dennoch gebe es nur wenige Hersteller und die Nachfrage sei da. „Das hat uns dazu ermutigt, den Weg zu gehen.“

Schon länger ist auf diesem Markt die Firma Dovo Stahlwaren aus Solingen (Nordrhein-Westfalen) unterwegs: Seit 1906 werden hier Rasiermesser handgefertigt - mehrere 10 000 Stück sind es heute pro Jahr. Etwa seit zehn Jahren gibt es wieder eine spürbare Nachfrage, sagt Geschäftsführer Ulrich Wiethoff. In letzter Zeit habe die die Mode zu Barbershops den Markt belebt und das Rasiermesser „vor dem Aussterben bewahrt.“ Geliefert werden die Messer aus Solingen vor allem nach Europa und Nordamerika.

Über die Tochterfirma Merkur werden auch Rasierpinsel in Solingen verkauft - die fertigen Pinselköpfe stammen ebenfalls von Mühle. Gerade bei feinen Dachshaar-Pinseln gebe es kaum Hersteller in Deutschland, so Wiethoff.

Im Erzgebirge wird wegen steigender Nachfrage ausgebaut: Rund 600 Quadratmeter an Produktionsfläche und Büros kommen in den nächsten Monaten dazu. Rund 1,2 Millionen Euro investiert Mühle am Standort.

Müller, der seit acht Jahren die Geschäfte von Mühle gemeinsam mit seinem Bruder führt, ist eigentlich studierter Theologe. Schnell hat er allerdings gemerkt, dass der Beruf des Pfarrers nichts für ihn ist - und ist in das Familienunternehmen eingestiegen. „Ich habe es keinen Tag bereut.“ Seine Erfahrungen als Theologe kommen ihm zugute, davon ist er überzeugt: „Wenn man immer nur fordert, kommt meist nichts Gutes. Wenn ich bereit bin zu geben und Vertrauen zu schenken, kommt meist viel zurück.“ (dpa)