Von Sandra Weiss,SZ-Korrespondentin in Caracas
Als Emmanuel seinen ersten Schrei tat, blickte er nicht in das gleißende Licht eines Kreißsaals, sondern in den dichten Blätterwald des kolumbianischen Dschungels. Kein weißbekittelter Arzt assistierte bei seiner Geburt, sondern bärtige, verschwitzte Rebellen. Emmanuel ist das erste in Geiselhaft geborene Baby in Kolumbien, und es hat in seinem kurzen Leben bereits politische Spannungen heraufbeschworen und das Interesse der Weltmedien auf sich gelenkt. Er verkörpert eine Art Superlativ der Grausamkeit in dem an Gewalt nicht gerade sparsamen Bürgerkriegsland.
Die Liebe zum Rebellen
Vieles in seinem Leben liegt noch im Dunkeln, und sowohl die ultrarechte Regierung als auch die linke Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) versuchen, die Realität zu ihren Gunsten auszulegen. Gesichert ist, dass Emmanuel im Juli 2004 irgendwo im kolumbianischen Dschungel auf die Welt kam, Frucht einer Liebesbeziehung zwischen der vor sechs Jahren entführten Politikerin Clara Rojas und einem Farc-Guerillero, den der Geheimdienst inzwischen als Juan David alias „Rigo“ identifizierte.
Der Journalist und Autor Jorge Enrique Botero hatte 2006 durch Gespräche mit einem FarcDeserteur von Emmanuel erfahren. Per Kaiserschnitt habe er das Licht der Welt erblickt, unter hygienisch prekären Bedingungen, schreibt die Zeitung „El Tiempo“. Dass er überhaupt lebt, verdankt er dem Geschick seiner Mutter, die ihre Schwangerschaft so lange verbergen konnte, bis es für eine Abtreibung zu spät war. Denn die Farc dulden keine Techtelmechtel zwischen Kämpfern und Entführten.
Deckname „Rosa“
Deshalb wurde Emmanuels Vater sofort nach Bekanntwerden der Affäre bestraft. Gewöhnlich steht auf derartige Verstöße die Todesstrafe, doch Medienberichten zufolge kam Rigo mit einer Strafversetzung an eine andere Front glimpflich weg. Seinen Sohn dürfte er allerdings niemals gesehen haben.
Zunächst schenkten die Angehörigen – allen voran die Mutter der Entführten, Clara Gonzalez de Rojas – den Berichten über Emmanuel nicht viel Glauben. Doch im April 2007 erhärtete sich das Gerücht, als der Polizist John Frank Pinchao nach neun Jahren aus der Geiselhaft fliehen konnte. Durch ein Loch in seinem Holzverschlag habe er das Baby gesehen und gehört. Andere Gefangene und Guerilleros hätten Kleider für den Neugeborenen genäht. Emmanuel sei hellhäutig gewesen und habe sich bei der Geburt den Arm gebrochen, der von den Rebellen mit einem improvisierten Gips versehen wurde. Einige Monate später habe die Guerilla der Mutter ihr Kind weggenommen. „Sie rief tagelang den Namen des Jungen und bettelte, ihn sehen zu dürfen“, gab Pinchao zu Protokoll. Doch die Guerilla habe sie nicht beachtet.
Allerdings verblieb Emmanuel wohl weiter im Lager und wurde in die Obhut einer Guerillera mit dem Decknamen „Rosa“ gegeben, die ihn als „einen der unseren“ aufziehen sollte. Bei verschiedenen Gewaltmärschen durch den Urwald habe er das Baby in Obhut von Rosa gesehen, berichtete Pinchao. Dann allerdings verlor sich die Spur des Jungen.
Wie jetzt bekannt wurde, erkrankte Emmanuel schwer an Malaria und Leishmaniose-Parasiten. In einem jämmerlichen Zustand übergab die Guerilla Anfang 2005 den Jungen unter dem Namen „Juan Manuel“ dem Kokabauern Jose Crisanto Gomez. Der hatte selber fünf Kinder, kaum Geld und war alles andere als begeistert, wagte jedoch nicht, den schwer bewaffneten Rebellen zu widersprechen, wie „El Tiempo“ berichtete.
Die geplatzte Übergabe
Emmanuel war unterernährt, blass, halb nackt und jammerte den ganzen Tag über Schmerzen, weshalb eine Nachbarin schließlich das Jugendamt einschaltete. Die Behörden brachten den Jungen ins Krankenhaus und entzogen Gomez das Sorgerecht. Der war froh, die Last los zu sein und erzählte den Farc, eine Verwandte in der Hauptstadt Bogota kümmere sich um den Jungen. Vor drei Monaten habe ein Farc-Kommandant die Rückgabe des Jungen bis zum 30.Dezember gefordert und ihn bedroht, berichtete ein verzweifelter Gomez der Staatsanwaltschaft, die allerdings erst nach Einschalten des Ombudsmanns den Kokabauern überhaupt anhörte.
Das wiedererwachte Interesse der Guerilla an Emmanuel hatte einen Grund: Die Farc hatten dem ihnen ideologisch nahestehenden, linkspopulistischen venezolanischen Staatschef Hugo Chavez die Freilassung von Clara Rojas, ihrem Sohn Emmanuel und einer weiteren Geisel bis Ende des Jahres versprochen. Die Übergabe platzte jedoch, nachdem Kolumbiens ultrarechter Staatschef Alvaro Uribe die für die Übergabe vorgesehene Region in Zentralkolumbien militarisierte und pünktlich zu Silvester das Auffinden Emmanuels in einem Kinderheim verkündete.
Ungewissheit für die Mutter
Gomez, der zeitweilige Pflegevater wider Willen, lebt inzwischen mit seiner Familie und unter anderem Namen in Bogota. Emmanuel ist bei einer Pflegefamilie. Ein Gentest hat die enge Verwandtschaft zwischen ihm und seiner Großmutter bestätigt, in den nächsten Tagen soll er seiner leiblichen Familie übergeben werden.
Staatschef Alvaro Uribe bezeichnete die Farc als Lügner und notorische Menschenrechtsverletzer. Die Guerilla rechtfertigte sich damit, dass sie den Jungen durch die Übergabe an Zivilisten verantwortungsvoll aus der Schusslinie genommen habe. Die Gruppe warf Uribe vor, den kleinen Emmanuel entführt zu haben, um den Gefangenenaustausch zu boykottieren.
Venezuelas Präsident Hugo Chavez wertete es als „positive Nachricht, dass Emmanuel in Freiheit ist“. Die zur Gefangenenübergabe angereisten Journalistenscharen zogen unverrichteter Dinge von dannen. Ob und wann Emmanuels Mutter und die anderen Geiseln freikommen, dürfte nun ungewisser sein als je zuvor.