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Geht es pflegenden Angehörigen jetzt besser?

In „Das schwere Los einer pflegenden Mutter“ stellten wir im April Agnes Naumann und ihren schwer kranken Sohn aus Bautzen vor. Wie geht es ihnen heute?

Von Gabriele Fleischer
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Noch immer braucht Peter Naumann aus Bautzen die ganze Aufmerksamkeit seiner Mutter Agnes. Endlich spürt sie kleine Fortschritte beim Greifen und Hochziehen. Doch wie verkraftet sie selbst das alles?:
Noch immer braucht Peter Naumann aus Bautzen die ganze Aufmerksamkeit seiner Mutter Agnes. Endlich spürt sie kleine Fortschritte beim Greifen und Hochziehen. Doch wie verkraftet sie selbst das alles?: © SZ/Uwe Soeder

Agnes Naumann freut sich, dass ihr Peter beim dritten Anlauf den Griff über seinem Pflegebett fest in den Händen hält. „Das ist ein Fortschritt, wenn auch ein klitzekleiner“, sagt die 71-Jährige. Sie spielt ihm einen Luftballon zu. Der 38-Jährige versucht, ihn zu fangen, und stößt dabei fast einen Freudenschrei aus. „Fremde verstehen das nicht, aber ich als Mutter spüre, dass ihm das gefällt und guttut.“

Noch vor Monaten konnte er nicht einmal das. Peter Naumann ist an Morbus Wilson erkrankt, eine Kupferspeicherkrankheit, die nur einer von etwa 30.000 Menschen hat. Bei ihnen ist die Fähigkeit gestört, überschüssiges Kupfer über die Gallenflüssigkeit in den Darm auszuscheiden. Es lagert sich im Gehirn und in der Leber ab, zerstört so Zellen. Je früher die Diagnose gestellt wird, umso besser für den Betroffenen. Peter Naumann, der einstige Fischwirtschaftsmeister, ist zum Pflegefall geworden. Trotzdem spricht die Mutter heute von einem Erfolg: Peter ist jetzt entgiftet. Das heißt, durch Medikamente wurde das überschüssige Kupfer aus dem Körper verbannt. Jetzt hofft sie, dass die Entwicklung weitergeht. Mit einer Zinktherapie soll erreicht werden, dass Kupfer nicht mehr gespeichert werden kann.

Der letzte Befundbericht aus der Neurologie am Uniklinikum Dresden, wo sich Peter regelmäßig vorstellt, macht ihr Mut. Fortschritte gebe es beim Schlucken, bei der Mundmotorik und der Kommunikation. Jetzt will Agnes Naumann eine Cannabistherapie prüfen. Die könnte die Spastik bei ihrem Sohn lindern helfen.

So wie sie pflegen mehr als 150.000 Menschen in Sachsen ihre Angehörigen selbst und wünschen sich mehr Anerkennung und Leistungen für ihre Situation – vor allem eine finanzielle Besserstellung. Immer wieder gebe es Versprechungen. Doch getan hätte sich so gut wie nichts, sagt Annelie Wagner. Die Zwickauerin setzt sich seit Jahren für eine Interessenvertretung pflegender Angehöriger und den Aufbau von Netzwerken in Sachsen ein. Nur eines hat sich in diesem Jahr geändert: Jetzt zahlt die Krankenkasse pflegenden Angehörigen eine stationäre Reha, unabhängig davon, ob auch ambulante Leistungen ausreichen würden. Wird der Pflegebedürftige gleichzeitig in der Einrichtung betreut, zahlt die Kasse auch das. Einen entsprechenden Beschluss hat kurz vor Weihnachten der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin gefasst.

Die Anerkennung fehlt noch immer

Agnes Naumann will nächstes Jahr den Antrag stellen. Doch wo findet sie eine Einrichtung, die auch ihren Sohn mit Pflegegrad 5 betreut? Eine Alternative wäre eine Kurzzeitpflege. Dafür reiche aber das von der Pflegekasse bewilligte Budget nicht, so Naumann. „Aber schon eine Kur nur für Peter würde uns beide entlasten“, sagt sie.

Die Mutter möchte auch, dass Peter unter Menschen kommt. Denn nicht alles könne sie leisten. „Wir hatten das Glück, dass er im Oktober kostenlos eine Woche im Förder- und Betreuungsbereich der Diakonie-Behindertenwerkstatt in Bautzen sein durfte.“ Denn auch bei Pflegegrad 5 gebe es Fördermöglichkeiten in der Tagesbetreuung, sagt Werkstattleiterin Alin Pufe-Heyder. Jetzt steht er dort für die Tagesbetreuung auf der Warteliste. Die Plätze sind wie auch in anderen Einrichtungen in Sachsen gut ausgelastet. Ein Ausbau würde helfen. Noch allerdings weiß Agnes Naumann nicht, wer den täglich mehrstündigen Aufenthalt bezahlt.

Monika Pittasch vom Kommunalen Sozialverband (KSV) Sachsen macht für Pflegefälle wie Peter Naumann Hoffnung: „Als Träger der Sozial- und Eingliederungshilfe prüfen wir die Finanzierung. Dafür muss sie bei uns einen Antrag stellen.“ Auch die Unabhängige Patientenberatung und der Dresdner Fachanwalt Matthias Herberg verweisen auf einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, also eine Förderung von Pflegebedürftigen. Solche Tagesaufenthalte seien ein Segen für Pflegebedürftige und Angehörige, sagt Wagner. Viele wüssten aber nicht, wo sie sich hinwenden können, wo und wie sie dafür nötige Informationen bekommen. Auch dafür sei ein Netzwerk gut, so Wagner. Wünschenswert wäre zudem der Ausbau von Pflege-Wohngemeinschaften. In so einer könnte auch Peter Naumann perspektivisch leben und weiter gefordert werden. „Wer will schon immer bei seiner alten Mutter sein“, sagt Agnes Naumann. Und irgendwann hat sie nicht mehr die Kraft, rund um die Uhr für den Sohn da zu sein, nur stundenweise durch Pflegedienste, Familie und Freunde entlastet.

Im April beim Besuch der SZ muss Agnes Naumann den 38-jährigen Schwerbehinderten mit Flüssignahrung versorgen.
Im April beim Besuch der SZ muss Agnes Naumann den 38-jährigen Schwerbehinderten mit Flüssignahrung versorgen. © Ronald Bonß

Eine Baustelle bleibt die finanzielle Absicherung. Für pflegende Rentner werden von der Pflegekasse keine Rentenbeiträge mehr gezahlt. Einen Zuschuss zur Rente gibt es nicht. Es sei denn, sie verzichten auf einen Teil der Rente. Dann, so sieht es das Gesetz vor, übernimmt die Pflegekasse weiter die Beiträge. „Schon wenn sie auf ein Prozent ihrer Rente verzichten, zahlt die Pflegekasse weiter“, sagt Tanja Mahel von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Das klingt zwar nicht viel, ist aber laut Bundesverband der Rentenberater oft unrentabel. 

Auch Agnes Naumann bekommt kaum mehr. Dabei hat sie Glück, dass sie schon Rente erhält. Wer für die Pflege die Arbeit aufgibt, schlittere oft in die Armut, sagt Wagner. Dabei würden Angehörige das Pflegesystem entlasten. Nach Berechnungen des Sozialverbandes VdK Deutschland leisten Angehörige die Arbeit von 3,2 Millionen Vollzeit-Pflegekräften und sparen somit dem Staat rund 100 Milliarden Lohnkosten im Jahr, wenn sie ihre kranken Partner, Eltern oder Kinder pflegen. Grund genug für Wagner, ihnen mehr Leistungen und Mitspracherecht bei der Gesetzgebung zuzubilligen: „Es darf nicht sein, dass Engagement in der Pflege Armut auslöst. Die Belange pflegender Angehöriger dürfen nicht losgelöst von denen der professionellen Pflege betrachtet werden.“

Auch Agnes Naumann hofft auf die Politik. Bald will sie sich mit ihrem WahlkreisBundestagsabgeordneten Arnold Vaatz (CDU) treffen. Peter hebt den Daumen: Zustimmung. Agnes Naumann lächelt: Peter versucht sich hochzustemmen – so, als wolle er sagen: Siehst du, es geht doch. In solchen Momenten weiß die Mutter, dass sie Peter erst loslassen kann, wenn sie ihn in guten Händen weiß.