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Gelebte Basisdemokratie

Im Café Kugel treffen sich Görlitzer, die politisch nach vorn statt zurück schauen wollen. Nur: Wie könnte das gelingen?

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Görlitz. Am Ende braucht es doch ein Eingreifen von Moderator Mike Altmann. „Wir müssen die dritte Veranstaltung so konstruieren, dass wir uns nicht im Kreis drehen“, sagt der frühere SPD- und Bürger-für-Görlitz-Mann, der sich auch mit Lesebühnen- und Poetry-Slam-Auftritten einen Namen gemacht hat. Gemeinsam mit Enrico Merker, bekannt unter anderem vom Second-Attempt-Verein und dem Bürgerrat Innenstadt West, hatte Altmann nach der Bundestagswahl bereits zweimal ins Café Kugel eingeladen, um zu diskutieren, wie es in Görlitz weitergehen soll. Merkers Ziel: „Ich will, dass wir bei den Wahlen 2019 keinen AfD-Oberbürgermeister und keinen AfD-dominierten Stadtrat bekommen.“

Damit steht er nicht allein da: Um die 100 Leute waren gleich nach der Wahl beim ersten Treffen dabei, immerhin noch gut 60 sind es an diesem Dienstagabend. Es ist wieder eine bunte Mischung: vom Marketingexperten bis zum Bürgermeister, vom Autohauschef bis zum Schüler, vom Studenten bis zum Stadtrat. Viele von ihnen sind bereits irgendwo ehrenamtlich engagiert. Und noch etwas eint sie alle: Der Wunsch, dass es in Görlitz vorangeht und nicht zurück. Ein rückwärtsgewandtes Denken attestierten gleich mehrere Redner der AfD, die bei der Bundestagswahl in Görlitz 31,5 Prozent der Stimmen bekommen hatte – so viel wie keine andere Partei.

Doch beim Umgang mit der AfD gehen die Ideen auseinander: Während Designerin Jördis Heizmann und Fotograf Paul Glaser einen Internet-Blog vorschlagen, in dem sie das Agieren des AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla möglichst ohne Wertung beobachten wollen, schlägt Danilo Kuscher vom Kühlhaus vor, sich nicht an der AfD abzuarbeiten, sondern etwas Eigenes zu bewegen: „Unser Ziel sollte nicht gegen die AfD gerichtet sein, sondern für etwas.“ Christian Thomas vom Second Attempt hat mit seinen Leuten schon Konzepte entwickelt, etwa ein mobiles Jugendbüro: „Wir können damit durch die Stadt ziehen: Dahin, wo die Leute sind, vielleicht eine Woche pro Stadtteil.“ Auf jeden Fall müsse man mit den Leuten reden. Matthias Schöneich vom Stadthallen-Förderverein schlägt eine Art „Speakers Corner“ vor, einen Ort, an dem Themen öffentlich diskutiert werden, vielleicht auf einem Marktplatz: „Das wäre eine Möglichkeit, zu erfahren, was die Leute wollen.“ Damit könne man dann an den Stadtrat herantreten.

Bürgermeister Michael Wieler verweist in dem Zusammenhang darauf, dass im Rahmen der Bürgerbeteiligung schon vor drei Jahren ein Element eingeführt wurde: „Wenn 300 Leute eine Sache wollen, dann muss sich der Stadtrat damit beschäftigen.“ Wieler erntet im Saal viel Erstaunen. Es sei ja schön, dass es das gibt, sagt etwa Mike Altmann: „Nur leider weiß das keiner.“

Immer wieder kommt die Diskussion zurück zur Frage, wie sich die Menschen im Raum organisieren sollten. Eine neue Partei gründen? Sich bestehenden Parteien anschließen? Netzwerkarbeit leisten? Nachdem sich mehrere Leute gegen eine Parteigründung ausgesprochen haben, will Christian Thomas wenigstens diese Idee ad acta legen und regt eine Abstimmung an. Mike Altmann bremst ihn aus. Das müsse jetzt noch nicht entschieden werden.

Gegen 22 Uhr, nach dreieinhalbstündiger Diskussion, wird die Forderung laut, ein Kernteam zu gründen, das die Themen bündelt. Schon zuvor hatte Danilo Kuscher die Bildung von drei Arbeitsgruppen angeregt, die beim nächsten Mal an klaren Themen arbeiten könnten. Marketing/sichtbar machen, Strategie/Organisation und Formate/Dialog könnten die drei heißen. Allerdings will sich am Ende des Abends niemand den Hut für eine der drei Gruppen aufsetzen. So haben Altmann und Merker nun die Hausaufgabe, sich für das dritte Treffen ein Herangehen zu überlegen, bei dem die Themen eben nicht zerredet werden, wie manch einer befürchtet. Alle anderen haben schon mal zwei Abende lang erlebt, wie sich gelebte Basisdemokratie anfühlt – wenn viele kluge Positionen zusammenkommen, aber die Struktur fehlt.