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Genug geschwiegen

Die Reaktion auf die Pegida-Märsche kommt spät, doch sie beeindruckt: freundlich, heiter und auffallend weiblich.

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© dpa

Von Karin Großmann

Plötzlich hängt diese Stille über dem Platz. Wo eben noch Musik aus den Lautsprechern dröhnte und geredet wurde, stehen viele Tausende beisammen und schweigen. Der Augenblick dauert. Kein Wort fällt. Wind knattert in Spruchbändern. Dieser Moment des Innehaltens hat etwas Bedrückendes und zugleich Beeindruckendes. Er geht ans Herz. Das ist eine Chance, wenn Wörter dort nicht hinreichen und Zahlen misstrauisch machen.

Superintendent Christian Behr in seiner Rede auf dem Neumarkt
Superintendent Christian Behr in seiner Rede auf dem Neumarkt © Sven Ellger
Sänger Roland Kaiser in seiner Rede auf dem Neumarkt
Sänger Roland Kaiser in seiner Rede auf dem Neumarkt © action press

Mit dem Schweigen gedenken die Leute rund um die Dresdner Frauenkirche der jüngsten Opfer mörderischer Anschläge in Paris. Der Anlass für die Kundgebung ist ein anderer, selbst wenn beides schwer voneinander zu trennen ist. Auch an diesem Sonnabendnachmittag ist viel von Weltoffenheit und Toleranz die Rede, von Integration und Miteinander und unentwegt vom „Zeichen-setzen“. Dresden soll der Öffentlichkeit ein anderes Bild vermitteln als das von stämmigen Jungmännern, die seltsames Zeug in Kameras sprechen, falls sie mit Kameras sprechen. Stadt und Freistaat sorgen sich zu Recht um das Ansehen von Sachsen.

Deshalb riefen Ministerpräsident und Oberbürgermeisterin zur Sympathiebekundung auf – es sollte ausdrücklich nicht gegen irgendwas gehen, sondern dafür. Auf dem kleinen Dienstweg wurden Anhänger mobilisiert. Die CDU verteilte handliche Sachsenfahnen. Im Wetteifern mit Pegida-Demonstranten um Teilnehmerzahlen wäre alles unter 20 000 peinlich gewesen. Als ob solche Zahlen zuverlässig auf Meinungsmehrheiten schließen lassen. Es gibt genug Leute, die Massenansammlungen meiden und sich trotzdem ihrs denken, auf beiden Seiten. Oft unterscheiden sich diese Seiten gar nicht so sehr. Ein Schild wie „Frieden und Handel mit Russland“ kann man nicht nur hier in der Menge sehen, sondern auch bei jenen, die eine islamistische Bedrohung des Abendlands fürchten; was auch immer das Verhältnis zu Russland damit zu tun haben mag. Auch das Paar, das mit dem Slogan „Meine Stimme fürs Revier – pro Lausitz“ durch die Menge drängelt, passt überall hin. Wer hätte was gegen die Lausitz.

Der organisatorische Eifer war überflüssig. Die meisten Leute sind aus freien Stücken gekommen. Aus berechtigter Sorge. Aus Patriotismus. Aus Zorn. Das Bild dieses Tages ist tatsächlich ein anderes.

Das liegt auch an den Frauen. Sie sind jung, sie sind alt und alles dazwischen, sie tragen trittfeste Wanderschuhe oder elegante Stiefel bis übers Knie, sie wärmen sich mit gestrickten Bommelmützen oder wulstigen Daunenjacken. Freundinnen verabreden sich zum Treff auf dem Platz und fallen einander in die Arme, wenn sie sich endlich finden. Kleine beigefarbene Lederrucksäcke sind offenbar immer noch Mode. Mütter haben ihre Kinder dabei. Die Kinder haben ihre Roller dabei. Das wird jetzt eng. Mitunter stehen Familien beisammen. Und viele Frauen schwingen zum Takt der Musik von Yellow Umbrella mit. Die Stimmung ist so ganz anders als montags bei Pegida: freundlicher und heiterer, jedenfalls weiblicher.

„Wir sollten froh sein, dass es seit siebzig Jahren keinen Krieg gibt in Deutschland“, sagt eine Grauhaarige, „und sollten nicht gegen andere zündeln, bloß wegen der Religion.“ Sie steht mit dem Rücken an der Häuserfront gegenüber der Frauenkirche. Der Schmuckladen hat vorsorglich den Teppich vor der Tür reingeholt und die Laternen mit Kerzen. Das Schokogeschäft daneben macht wahrscheinlich Rekordumsätze mit dampfenden Kaffeebechern.

Kurz vor drei werden die Stehplätze knapp. Gewiss sind viele Frauen auch gekommen „wegm Roli“, wie eine von ihnen mit einem Leuchten in den Augen erklärt. Schlagersänger Roland Kaiser hat in Dresden seine größte Fangemeinde. Die meisten dort können Hits wie „Santa Maria“ fehlerfrei mitsingen. Weniger bekannt ist das soziale Engagement des Sängers: für Kinderdörfer, für Organspende, für eine Arbeitslosenstiftung. Seit 2002 ist Kaiser Mitglied der SPD. Lässt sich einer wie er vor einen Karren spannen und für politische Zwecke benutzen, wie es seine Kritiker jetzt auf Internetportalen behaupten? Sie nehmen übel. Es gibt keinen Grund. Der Sänger plädiert dafür, kulturelle und ethnische Vielfalt als Chance zu begreifen. Die Neugier auf Unbekanntes, sagt er, sollte größer sein als die Angst vor dem Unbekannten. „Die Zeit der Sündenböcke sollte der Vergangenheit angehören. Das hat uns die Geschichte gelehrt.“ Viel mehr müsste die Gesellschaft stolz sein, dass sie Menschen aus Krisengebieten ein Leben in Sicherheit ermöglichen könne.

Gut, es klingt manches wie Wunschprogramm, was an diesem Nachmittag zur Sprache kommt. Und manche Einsicht kommt reichlich spät. Darauf spielt das Transparent direkt vor der Bühne an mit der Aufschrift „Schön, dass ihr auch schon da seid“ . Offenbar, mutmaßt ein junger Mann dort, hatten die Zuständigen in der Stadt gehofft, der Zulauf zu Pegida würde von selbst wieder weggehen wie ein Schnupfen. „Oder haben sie gedacht, es wird bald Winter und haben deshalb so lange nicht reagiert?“ Es waren andere, die sich querstellten. Nora Goldenbogen von der Jüdischen Gemeinde in Dresden dankt ausdrücklich den Vertretern von „Dresden nazifrei“, die den Protest mitorganisierten. Auf dem Podium stehen sie nicht.

Neben den hoffnungsvollen Wünschen für mehr Toleranz und mehr Dialog, wie sie etwa Ministerpräsident Tillich formuliert, gibt es immer wieder kritische Sätze. Roland Kaiser etwa prangert eine „inhumane Flüchtlingspolitik an“, die erst den Nährboden bereite für Aus- und Abgrenzungen.

Khaldun Al Saadi, Sprecher des Islamischen Zentrums Dresden, nennt als Beispiel die Ansiedlung vieler junger männlicher Asylsuchender in einem Heim in einer Kleinstadt: „Das ist keine gute Kombination! Dafür braucht die Zivilgesellschaft andere Lösungen!“ Khaldun Al Saadi erzählt, wie sich Ausgegrenztwerden anfühlt. Wie es ist, wenn die eigene Mutter Opfer von Hass und Abscheu wird, obwohl sie in Sachsen zur Welt kam. Wie es ist, wenn man einen demütigenden Kampf führen muss um Vertrauen. Wie es ist, wenn man sich als ungebetener Gast fühlen muss in der Stadt, in der man sich doch zu Hause fühlt. Der junge Mann mit jemenitischen Wurzeln, in Chemnitz geboren, spricht von einer sozialen Kälte im Freistaat. Von einem Riss in der Gesellschaft spricht Superintendent und Kreuzkirchenpfarrer Christian Behr. Mit rechts und links habe dieser Riss nichts zu tun. Ralf Adam, Betriebsratsvorsitzender beim Mikroelektronikhersteller Globalfoundries, mutmaßt, dass der wachsende Unterschied zwischen Arm und Reich die Angst fördere.

Adam bekommt Beifall, als er sagt: „Zivilcourage darf nicht vor Gerichten enden.“ Auch Christian Behr wird applaudiert, als er von einem Besuch bei Jugendpfarrer Lothar König berichtet, der nach Krawallen im Februar 2011 wegen schweren Landfriedensbruchs einen Prozess am Hals hatte. „Ich wäre froher gewesen, wenn es diesen Prozess nicht gegeben hätte“, sagt Behr.

In der Menschenmenge auf dem Platz stehen Schauspieler, Musiker und Intendanten, Vertreter von Hochschulen und Kunstsammlungen. Sie werben für Weltoffenheit, weil Weltoffenheit spätestens seit August dem Starken zu den Stärken von Dresden gehöre. Die Stimmung ist … Vielleicht kann man es einen emotionalen Optimismus nennen. Eine angenehme Selbstbestätigung.

Doch man kann diesen Nachmittag auch als Signal dafür nehmen, dass es neben dem solidarischen Schweigen ein Schweigen am falschen Platz gibt – eines, das zu lange gedauert hat, das Konflikte nicht sehen will. Es gibt wohl mehr Gemeinsamkeiten mit Pegida-Mitläufern, als mancher auf dem Platz vor der Frauenkirche wahrhaben will.