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Und wenn Donald Trump mal recht hat?

Er hielt eine zünftige Dresdner Rede, am Staatsschauspiel stehen seine Stücke auf dem Plan. Jetzt erhält Lukas Bärfuss den höchsten deutschen Literaturpreis. 

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Lukas Bärfuss, Schweizer Schriftsteller und Dramaturg, ist mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt worden.
Lukas Bärfuss, Schweizer Schriftsteller und Dramaturg, ist mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt worden. © Paula Ribas/telam/dpa

Von Oliver Pietschmann

Er sucht eine Aufgabe und findet die Liebe zum Schreiben. „Ich war Anfang, Mitte 20, hatte keine Perspektive in meinem Leben und habe mir ein Abenteuer gesucht für das Leben“, sagt der Schweizer Lukas Bärfuss über den Beginn seiner Karriere. „Und Schreiben schien mir einfach eines der möglichen Abenteuer, wie man sein Leben verbringen kann.“ Er habe sich dann freier Schriftsteller genannt, und das habe eigentlich ganz ordentlich funktioniert.

Als einer der herausragenden deutschsprachigen Erzähler und Dramatiker bekommt der heute 47-Jährige nun den Georg-Büchner-Preis. Die mit 50 000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als wichtigste literarische Ehrung in Deutschland. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung begründet ihre Entscheidung unter anderem so: „In einer distinkten und dennoch rätselhaften Bildersprache, karg, klar und trennscharf, durchdringen sich nervöses politisches Krisenbewusstsein und die Fähigkeit zur Gesellschaftsanalyse am exemplarischen Einzelfall, psychologische Sensibilität und der Wille zur Wahrhaftigkeit.“ Der Büchner-Preis wird am 2. November verliehen.

So, wie Lukas Bärfuss als junger Mann das Abenteuer suchte, suchen seine Themen heute ihn. Woher nimmt er seine Ideen? „Weiß ich nicht, keine Ahnung. Picasso hat mal gesagt: ,Ich suche nicht, ich finde.‘ “ Diese Dinge und Stoffe, die er verarbeite, seien halt irgendwann da und ließen ihn nicht in Ruhe. „Das ist wie ein ungebetener Gast.“ Ein Gast, der nachts an deiner Tür klingele und den man dann wegschicke. Aber er komme halt wieder und wieder. „Irgendwann lässt man ihn herein, und dann hat man mit ihm das Gespräch zu suchen“, sagt der Vater von drei Kindern, der mit seiner Lebensgefährtin in Zürich lebt. „Ich muss nicht suchen, ich musste meine Stoffe nie suchen.“

Georg Büchner war ein Flüchtling

Das Werk des mehrfach Ausgezeichneten ist umfassend. Romane, Novellen, Essays und Theaterstücke: Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören die Romane „Hundert Tage“ über den Völkermord in Ruanda und „Koala“ über den Suizid seines Bruders sowie das Bühnenstück „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“, das auch an den Landesbühnen Sachsen gezeigt wurde. Im Kleinen Haus in Dresden lief „20 000 Seiten“, eine Abrechnung mit der Rolle der Schweiz in der Nazizeit. Und das Dresdner Schauspielhaus zeigte sein Theaterstück „Der Bus“, in dem es um Glaube und Religion geht.

Als vollendet sieht Bärfuss seine Arbeiten nicht an. „Ich habe nie ein Buch fertig geschrieben, man hat es mir immer entrissen.“ Das seien dann die Momente gewesen, wenn die Arbeiten zum Drucker mussten. Dann gebe es eine Leere, weil man nichts mehr daran arbeiten, nichts mehr ändern könne. Da habe er sich auch schon mal gesagt, dass er kein Buch mehr schreiben werde. „Und dann dauert es eine Woche, und ich setze mich an das Nächste.“

Der Büchner-Preis ist für ihn ein „Engelskuss“. Der Preis stehe einfach für sich. Doch sei der Dramatiker Georg Büchner (1813 – 1837) für ihn auch prägend gewesen und dessen Lebensweg nach wie vor hoch aktuell. „Seine Literatur hat mein Leben verändert. Es gibt nur wenige Autoren, von denen ich das sagen kann.“ Ob Büchners „Woyzeck“ oder „Dantons Tod“: Danach sei nichts mehr wie vorher gewesen.

Bei uns sitzen die Rechtspopulisten in der Regierung

Der Revolutionär Büchner musste aus politischen Gründen im 19. Jahrhundert aus Hessen in die Schweiz flüchten und ist dort gestorben. Es gebe derzeit ganz viele Menschen in der gleichen Situation, sagt Lukas Bärfuss. Sie müssten fliehen, weil sie verfolgt würden. Die Schweiz habe Büchner damals Obdach gegeben. „Das sollte uns doch allen Mahnung sein.“

Im Frühjahr 2017 hielt Bärfuss im Schauspielhaus seine Dresdner Rede zum Thema „Am Ende der Sprache“. Sie war eine Ermutigung, Wahrheiten jenseits von Parolen zu suchen. Er sprach unter anderem von Engstirnigkeit, Geschichtsvergessenheit und Ressentiment beim Blick auf Dresden. Sein Trost: Damit kann man leben. Seit einem Vierteljahrhundert lebt die Schweiz mit Rechtspopulisten. Dort aber, so Bärfuss, ziehen sie nicht durch die Straßen und krakeelen Parolen. „Bei uns sitzen diese Leute in der Regierung.“

Bei einer Podiumsdiskussion im Dresdner Hygiene-Museum sprach Lukas Bärfuss 2016, am Tag nach der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten, zum Thema „Wie viel Streit braucht die Demokratie?“ Dabei stellte er unter anderem eine „Sucht“ fest, nach Parallelen in der Geschichte zu suchen, etwa im düsteren Zeitalter der Dreißigerjahre. Das hält er für alarmistisch und ahistorisch.

Lukas Bärfuss wirbt für die Möglichkeit, den Gedanken gelten zu lassen, dass sogar jemand wie Trump auch einmal etwas Wahres sagen könnte. „Das Gefährliche ist“, sagte der Schweizer in Dresden zum Stand unserer gegenwärtigen Diskussionskultur, „dass wir uns nicht mehr vorstellen können, dass der andere möglicherweise recht hat.“