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Gesucht: Eine Vision für Sachsen. Ein Interview mit Prof. Hans Vorländer.

Seit Michael Kretschmer im Amt ist, wurde manches angepackt. Dennoch vermisst der Politikwissenschaftler Hans Vorländer ein Zukunftsbild "Sachsen 2030"

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Prof. Hans Vorländer gehört zu den renommiertesten Politikwissenschaftlern in Deutschland. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden.
Prof. Hans Vorländer gehört zu den renommiertesten Politikwissenschaftlern in Deutschland. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden. © dpa/Arno Burgi

Sachsen braucht nach Ansicht des Dresdner Politikwissenschaftlers Hans Vorländer ein klares Zukunftsbild. Die Regierung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) habe im ersten Jahr ihrer Amtszeit zwar eine ganze Reihe überfälliger Maßnahmen auf den Weg gebracht. "Man hat aber auch den Eindruck, dass diese vielen Einzelmaßnahmen sich noch nicht zu einem Gesamtbild verdichten. Was fehlt, ist eine Vision, wo Sachsen in gut zehn Jahren stehen will", sagte der Parteienforscher. Im Interview  zollt er Kretschmer für sein Engagement auch Respekt.

Wie bewerten Sie das erste Amtsjahr von Ministerpräsident Michael Kretschmer?

Es gibt keine harten Daten, die zeigen könnten, ob die ersten 365 Tage etwas Grundlegendes verändert haben. Kretschmer hat sich als sehr dialogfreundlicher Ministerpräsident herausgestellt, der keinem Gespräch aus dem Weg geht. Er hat die allgemeine Sprachlosigkeit überwunden und einen neuen Wind in dieses Land gebracht. Das ist ein großes Plus. Allerdings brachte das der CDU noch keine grundlegende Erholung, was allein durch Dialogbereitschaft und den hohen Einsatz des Ministerpräsidenten aber auch nicht zu erwarten war. Da ist die gesamte Partei in Sachsen gefragt.

Wie schätzen Sie die aktuelle Stimmung im Freistaat ein?

Kretschmer trat an, um die Stimmung im Land zu drehen. Der aktuelle Sachsen-Monitor lässt aber nicht erkennen, dass die Bürger nun zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Sie schätzen zwar ihre persönliche Lage als gut ein, trotzdem bleibt die Stimmung schlecht. Ein Stimmungswandel ist noch nicht spürbar, obwohl Kretschmer jede Anstrengung unternimmt, um Menschen von seiner Politik zu überzeugen. Dabei wird die Landespolitik natürlich von der Bundespolitik und der Unzufriedenheit mit der Kanzlerin überlagert. Ein Signal des Aufbruchs ist nicht wirklich erkennbar, auch in Sachsen nicht.

Die Regierung ist einige Probleme angegangen. Reicht das?

Die gesamte Staatsregierung hat mit dem Wechsel des Ministerpräsidenten eine ganze Reihe überfälliger Maßnahmen auf den Weg gebracht, beispielsweise die Einstellung von Lehrern, mehr Ressourcen für die Polizei und eine bessere Förderung der ländlichen Regionen. Dennoch hat man den Eindruck, dass sich diese vielen Einzelmaßnahmen bisher nicht zu einem Gesamtbild verdichten. Was fehlt, ist eine Vision, wo Sachsen in gut zehn Jahren stehen will. Die Vorstellungen müssten in ein Gesamtprojekt "Sachsen 2030" einfließen. Das ist aber noch nicht sichtbar.

Wie nehmen Sie die öffentlichen Auftritte Kretschmers wahr?

Er wird als Gesprächspartner ernst genommen und stellt sich harten und rauen Diskussionen. Dort bekennt er Farbe. Kretschmer hat Mut gezeigt, zum Beispiel was das Auftreten gegen Neonazis in Ostritz angeht. Er hat auch in Chemnitz am 1. Mai zusammen mit den Gewerkschaften und den Linken klare Position bezogen und lässt keinen Zweifel an der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Extremismus. Das ist ein ganz neuer Ton. Das muss man ihm zugutehalten. Kretschmer hat Haltung gegen Rechts gezeigt. Das gab es bei seinen Vorgängern in dieser Deutlichkeit nicht.

Kretschmer schlägt eine Koalition mit der AfD aus. Wird die Landtagswahl am 1. September 2019 für ihn zur Schicksalswahl?

Sollte die AfD stärkste Partei in Sachsen werden, würde Kretschmer die Geschäfte wohl nicht weiterführen wollen, weil er seinen Auftrag dann gescheitert sähe. Sein Ziel besteht darin, einen deutlichen Abstand zwischen der CDU und der AfD hinzubekommen und dann ein Bündnis mit der SPD und den Grünen oder der FDP zu schmieden. Ob er für seine Strategie innerhalb der Fraktion und des CDU-Landesverbandes Unterstützung erhält, ist eine andere Frage. Es gibt dort auch sehr deutliche Stimmen, die sagen, dass man mit der AfD eine Form der Zusammenarbeit finden muss.

Gespräch:  Jörg Schurig (dpa)