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14.000 Herzinfarkte in Deutschland nicht optimal versorgt

Unzureichend ausgestattete Kliniken, zu wenige behandelte Fälle: Ein neuer Qualitätsmonitor kritisiert Strukturprobleme.

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Besonders beim Herzinfarkt kommt es nicht nur auf Schnelligkeit an, sondern auch auf die bestmögliche Versorgung in der Klinik.
Besonders beim Herzinfarkt kommt es nicht nur auf Schnelligkeit an, sondern auch auf die bestmögliche Versorgung in der Klinik. © dpa

Tausende Herzinfarkt-Patienten werden in Deutschland nicht so versorgt, dass der Patient die bestmöglichen Heilungschancen hat. Das zeigt das Online-Portal „Qualitätsmonitor“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), das am Dienstag gestartet ist.

Neben der Herzinfarkt-Versorgung beleuchtet es strukturelle Defizite bei der Behandlung von Brust- und Lungenkrebs.

Was ist das Problem bei der Behandlung der Herzinfarkte?

Von den rund 203.000 Herzinfarkt-Fällen im Jahr 2020 in Deutschland wurden sieben Prozent in Kliniken behandelt, die kein Katheterlabor haben. Das heißt: Mehr als 14.000 Herzinfarkte sind nicht optimal versorgt worden.

Besonders ausgeprägt war das Problem in den 362 Kliniken, die 2020 weniger als 25 Fälle behandelten. Nur jede fünfte Klinik in dieser Gruppe verfügte laut Qualitätsmonitor über ein Herzkatheterlabor.

Warum ist ein solches Herzkatheterlabor nötig?

Weil bei schweren Herzinfarkten möglichst innerhalb von einer Stunde eine Herzkatheter-Behandlung erfolgen sollte. Gefäßverschlüsse, die bei einem Infarkt auftreten, können dort optimal versorgt werden.

Deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie den Rettungsdiensten auch in einer Leitlinie, Krankenhäuser ohne rund um die Uhr verfügbares Katheterlabor zu umgehen. „In Kliniken, die häufig Herzinfarkte behandeln, können Patienten die optimale Ausstattung und Erfahrung erwarten. In Häusern, die nur selten Herzinfarkte behandeln, ist das bis auf wenige Ausnahmen nicht gewährleistet“, sagt WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber.

Infarktpatienten sollten über den Rettungsdienst so schnell wie möglich ein Katheterlabor erreichen.

Warum ist die Brustkrebsversorgung unzureichend?

„Bei der Brustkrebs-Versorgung ist in den letzten Jahren erfreulicherweise eine gewisse Konzentration erkennbar“, so Jürgen Klauber. Die vielfach kritisierte „Gelegenheitschirurgie“ werde weniger, habe aber immer noch ein relevantes Ausmaß.

So wurden im Jahr 2020 in insgesamt 117 an der Brustkrebs-Versorgung beteiligten Krankenhäusern (20,3 Prozent) in Deutschland weniger als 25 Brustkrebs-Fälle operiert. Im Jahr 2016 betraf dies noch 157 Krankenhäuser (24,4 Prozent).

„Man muss sich vor Augen halten, dass 25 OPs pro Jahr etwa einem Eingriff alle zwei Wochen entsprechen“, sagt Klauber. Unter diesen Umständen könne man nicht davon ausgehen, dass es ein eingespieltes Team mit ausreichend Routine und einer eingespielten Prozesskette gebe.

Woran erkennt man eine gute Brustkrebs-Klinik?

Ein wichtiges Qualitätskriterium für eine optimale Brustkrebsbehandlung ist die Zertifizierung als Brustkrebszentrum durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Patientinnen, die sich dort behandeln lassen, steigern ihre Überlebenschancen um 20 Prozent.

Doch laut Qualitätsmonitor hatten 2020 insgesamt 43,8 Prozent der an der Versorgung von Brustkrebs-Fällen beteiligten deutschen Kliniken weder das DKG-Zertifikat noch eine vergleichbare Zertifizierung. Diese Krankenhäuser versorgten knapp 15 Prozent der Brustkrebs-Fälle.

„Es handelt sich meist um Kliniken mit wenigen Fällen“, so der WIdO-Geschäftsführer. Die Mindest-Fallzahl von 100 pro Jahr, die von der Krebsgesellschaft gefordert wird, sei nur ein Kriterium für die Zertifizierung. Die Krankenhäuser müssten etliche Struktur- und Prozesskriterien erfüllen.

Auch bei diesem Thema gibt es regionale Unterschiede. Während in Brandenburg 64,7 Prozent der an der Versorgung beteiligten Kliniken im Jahr 2020 keine Zertifizierung als Brustkrebs-Zentrum hatten, konnten in Berlin alle operierenden Kliniken ein solches Zertifikat vorweisen. Die Verantwortlichen auf Landes- und Bundesebene sollten schnell handeln und die Versorgung der Patientinnen auf Häuser konzentrieren, die als Brustkrebs-Zentrum zertifiziert sind, so Klauber.

Was sagt die Krankenhausgesellschaft zu den Vorwürfen?

Sie fordert mehr Sachlichkeit. So müssten ab 2024 Krankenhäuser 50, ab 2025 mindestens 100 Brustkrebsbehandlungen nachweisen, um die Krankheit weiter behandeln zu können. Diese Mindestmengen seien im gemeinsamen Bundesausschuss vereinbart worden.

„Die AOK spricht hier also ein Problem an, das wir längst gelöst haben“, sagt Gerald Gaß, Vorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Zudem sei es gut, dass 93 Prozent der Notfallpatienten mit Herzinfarkt in einer Klinik mit Herzkatheterlabor behandelt würden – noch bevor die Notfalldiagnostik überhaupt abgeschlossen sei.

Gerade beim Herzinfarkt sei das schwierig, da nicht jeder in der Akutsituation erkannt werden könne. (sp/rnw)