Es war Mitte Juni, an einem Vormittag, als Roswitha N.* aus der Lausitz (Name der Redaktion bekannt) einen Anruf bekam. Seit einigen Monaten kümmerte sich die 76-Jährige da bereits um ihren Mann, der einen Pflegegrad hat, aber noch einigermaßen mobil ist. Am anderen Ende meldete sich ein Vertreter einer Firma aus Berlin. Ob es wahr sei, dass Manfred N. pflegebedürftig sei, wollte dieser wissen. Und ob das Ehepaar nicht einige Hilfsmittel wie Bettunterlagen oder Handschuhe für die Pflege zu Hause benötigen könnte. Er würde ihnen die Sachen einfach per Paket frei Haus zukommen lassen. Bezahlen müssten sie dafür nichts.
„In dem Moment wurde ich stutzig. Wer hat denn heutzutage schon etwas zu verschenken“, erzählt Roswitha N. Als der Vertreter sie dann wiederholt nach der Krankenkasse ihres Ehemanns fragte, beendete sie das Gespräch. „Das konnte einfach nicht seriös sein“, sagt die Rentnerin.
So besonnen wie sie handeln leider nicht alle. Seit Jahren schon beobachten Verbraucherzentralen und Krankenkassen diese Masche. Wobei besonders fragwürdig ist, woher die Firmen die Kontaktdaten haben und wissen, dass jemand einen Pflegegrad hat. Tatsache ist, dass die Pflegekasse bei Vorliegen eines Pflegegrades einen monatlichen Zuschuss von 40 Euro zu Hilfsmitteln zahlt. Ein Rezept vom Arzt oder eine Genehmigung der Kasse ist nicht nötig. Genau das lädt aber zu Missbrauch ein.
- Was genau sind Pflegehilfsmittel?
- Habe ich Anspruch auf Pflegehilfsmittel?
- Wie kann ich den Zuschuss zu den Hilfsmitteln erhalten?
- Was genau steckt hinter der Betrugsmasche?
- Wie sollte ich mich bei einem ungebetenen Anruf verhalten?
- Was, wenn trotzdem die Pflegemittel zugesandt werden?
- Was tun Verbraucherschützer und die Kassen gegen die Betrugsmasche?
- Was genau hat sich seit 1. Juli geändert?
Was genau sind Pflegehilfsmittel?
Zum einen gibt es die technischen Pflegehilfsmittel. Dazu gehören beispielsweise ein Pflegebett, Lagerungshilfen oder ein Notrufsystem. Zum anderen gibt es Produkte für den einmaligen Gebrauch. Konkret zählen dazu: aufsaugende Bettschutzeinlagen für den Einmalgebrauch, Fingerlinge, Einmalhandschuhe, Mundschutz, Schutzschürzen, Desinfektionsmittel für die Hände, Desinfektionsmittel für Flächen, Einmallätzchen. Für diese ist der Zuschuss der Pflegekasse gedacht. Sie sollen den Angehörigen die Pflege erleichtern.
Habe ich Anspruch auf Pflegehilfsmittel?
Anspruch auf die Kostenerstattung von 40 Euro im Monat haben Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad zwischen eins und fünf. Voraussetzung ist, dass sie zu Hause gepflegt werden oder im Betreuten Wohnen oder in einer Wohngemeinschaft leben.
Wie kann ich den Zuschuss zu den Hilfsmitteln erhalten?
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder kaufen Angehörige die Hilfsmittel selbst, zum Beispiel in einem Drogeriemarkt. Danach beantragen sie bei der Pflegekasse eine Erstattung der Kosten. Bei den meisten Kassen gibt es dafür direkt ein Online-Formular. „Das füllen die Pflegepersonen aus und reichen es zusammen mit der Quittung ein“, sagt Micaela Schwanenberg von der Verbraucherzentrale Sachsen.
Oder aber die Angehörigen wenden sich an einen Anbieter, der mit der Krankenkasse des Pflegebedürftigen einen Vertrag hat. Wer das ist, lässt sich bei der Kasse erfragen. Das Unternehmen stellt dann die passenden Pflegehilfsmittel je nach Bedarf zusammen und reicht den Antrag für den Zuschuss bei der Kasse ein.
Was genau steckt hinter der Betrugsmasche?
Unseriöse Firmen rufen bei Pflegebedürftigen an und schwatzen ihnen Einwegprodukte als Abo auf. „Die Familien werden dazu gedrängt, mündlich einen Vertrag über die regelmäßige Lieferung abzuschließen“, sagt Micaela Schwanenberg. „Die Artikel werden später auch geliefert, sind aber von minderer Qualität und werden oft überhaupt nicht benötigt.“ Parallel stellen die Anbieter bei der Pflegekasse einen Antrag auf Kostenübernahme. Deswegen beteuern sie gegenüber den Pflegebedürftigen, dass diese nichts bezahlen müssen. „Problematisch ist, dass die Anträge bei den Kassen oft durchgewunken werden. Denn jeden einzelnen zu kontrollieren, wäre ein enormer Aufwand“, sagt Schwanenberg.
Wie sollte ich mich bei einem ungebetenen Anruf verhalten?
Meldet sich ein Anbieter von Pflegehilfsmitteln unaufgefordert telefonisch, sollte man das Telefonat sofort beenden. „Schnell auflegen, bevor einem jemand einen Vertrag unterjubelt“, so Schwanenberg. Es gelte immer: Keine Daten herausgeben. „Fragt jemand am Telefon nach Name, Anschrift, Geburtsdatum oder Versicherungsnummer, sollte man nie antworten.“ Auch Fragen zur Gesundheit und zum Pflegegrad sollte man ignorieren. Die Verbraucherschützerin rät zudem davon ab, etwas zu unterschreiben, ohne vorher mit der Pflegekasse Rücksprache gehalten zu haben.
Ab und an kommt es auch vor, dass der Betrug über Internetseiten abläuft, die sich an Pflegebedürftige und ihre Angehörigen richten. Dort werden die persönlichen Informationen über Online-Formulare abgefragt. Sobald man diese ausfüllt, kommt ein Vertrag mit dem Anbieter zustande – ohne überhaupt den konkreten Bedarf an Pflegehilfsmitteln ermittelt zu haben.
Was, wenn trotzdem die Pflegemittel zugesandt werden?
Konsequent sein. Die Bestellung widerrufen und diese vorsorglich anfechten. Die Verbraucherzentrale NRW bietet auf ihrer Website dafür einen Musterbrief an. Außerdem ist es sinnvoll, die Pflegekasse zu kontaktieren und die Bestellung zu stornieren. Zusätzlich sollte die Annahme verweigert und etwaigen Zahlungsansprüchen widersprochen werden. Wer unsicher ist und Unterstützung benötigt, kann sich an die Verbraucherzentrale Sachsen wenden. „Am besten alle Unterlagen zum Beratungsgespräch mitbringen“, so Schwanenberg.
Was tun Verbraucherschützer und die Kassen gegen die Betrugsmasche?
Die Verbraucherzentralen haben das Thema bundesweit auf dem Schirm. Sie haben eigens eine Arbeitsgruppe gebildet, und der Bundesverband prüft rechtliche Mittel. Oft falle der Betrug nämlich gar nicht auf. „Ich fürchte, bei vielen Leuten stapeln sich die Pakete, aber die denken sich: Das ist ja nett, dass die Kasse mir das schickt“, sagt Pflegeexpertin Daniela Hubloher von der Verbraucherzentrale Hessen. Sie sieht darin „eine riesige Verschwendung“ auf Kosten der Beitragszahler.
Um überraschende Anrufe und ungewollte Besuche von Anbietern zu unterbinden, hat der Spitzenverband der Krankenkassen zudem neue Regelungen erlassen. Sie gelten für Anbieter von Hilfsmitteln – Sanitätshäuser, Apotheken und andere –, die Verträge mit Pflegekassen haben.
Was genau hat sich seit 1. Juli geändert?
Den Vertragspartnern der Pflegekassen ist es künftig untersagt, unaufgefordert Kontakt zu Kunden aufzunehmen. Außerdem dürfen sie keine fertig gepackten Pflegeboxen versenden. „Damit soll verhindert werden, dass Pflegebedürftige Hilfsmittel erhalten, die sie nicht benötigen“, erklärt Micaela Schwanenberg. Vielmehr muss die pflegebedürftige Person die Möglichkeit erhalten, diese je nach Bedarf zusammenzustellen. Zudem müssen Pflegebedürftige seit 1. Juli durch geschulte Fachkräfte beraten werden, bevor sie überhaupt Pflegehilfsmittel zum Verbrauch beantragen können.
- Info- & Termintelefon der Verbraucherzentrale Sachsen: 0341/696 2929.