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Wie Darmkrebs gezielt bekämpft werden kann

Durch das Ausschalten bestimmter Proteine sterben die Krebszellen. Dabei hilft sächsischen Forschern auch Klebstoff.

Von Jana Mundus
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Insgesamt 80.000 Substanzen testeten die Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen Darmkrebs. Am Ende gab es einen Treffer, der nun Hoffnung macht.
Insgesamt 80.000 Substanzen testeten die Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen Darmkrebs. Am Ende gab es einen Treffer, der nun Hoffnung macht. © NCT/UCC/André Wirsig

Gut 58.000 Menschen erhalten in Deutschland jedes Jahr die Diagnose Darmkrebs. Deutschlandweit ist es die zweithäufigste Tumorerkrankung bei Frauen und die dritthäufigste bei Männern. Nicht selten bilden Tumoren des Darms gefährliche Metastasen in anderen Organen aus. Ein Team unter Leitung von Wissenschaftlern am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Dresden und Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKF) hat nun einen neuen molekularen Angriffspunkt gegen besonders aggressive Formen von Darmkrebs entdeckt: Durch das Ausschalten eines bestimmten Proteinkomplexes ließen sich Krebszellen in Tumormodellen gezielt bekämpfen.

Besonders für weit fortgeschrittene Darmkrebserkrankungen mit nicht operablen Metastasen werden dringend neue Therapien benötigt. Das Forscherteam hat mit dem Proteinkomplex Cyclin K/CDK12 eine Struktur identifiziert, an der sich die Tumorzellen besonders aggressiver Darmkrebsformen sehr gezielt angreifen lassen. „Dies ist eine wichtige Grundlage, um künftig neue Medikamente für Patienten mit Darmkrebs zu entwickeln“, sagt Hanno Glimm, einer der geschäftsführenden Direktoren am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC).

Bei ihrer Suche nach neuen Ansätzen für die Darmkrebstherapie züchteten die Wissenschaftler aus patienteneigenen Tumorzellen dreidimensionale Modelle, die den Aufbau und das Zusammenspiel unterschiedlicher Zellen in menschlichen Darmtumoren besonders gut repräsentieren. An diesen Modellen testeten die Wissenschaftler die Wirksamkeit von 80.000 Substanzen. Bei diesem Screening erwies sich ein Stoff als besonders wirkungsvoll, der den Abbau von Cyclin K und CDK12 auslöste.

Neuer Ansatz für aggressiven Krebs

Das Protein CDK12 ist seit Kurzem als möglicher Angriffspunkt für verschiedene Tumorarten ins Blickfeld der Forschung gerückt. Für Darmkrebs wurde dieser Zusammenhang bislang nicht erforscht. Im Verbund mit Cyclin K reguliert CDK12 wichtige DNA-Reparaturmechanismen in Krebszellen. Wird dieser Komplex vermehrt abgebaut, kann dies dazu führen, dass Zellen DNA-Schäden anhäufen und absterben.
Bei einem Teil der Darmkrebs-3-D-Zellmodelle war die Inaktivierung von Cyclin K/CDK12 besonders wirksam. Diese wiesen genetische Veränderungen auf, die mit einer besonders schlechten Prognose und hohen Wahrscheinlichkeit für Metastasen verbunden sind.

Weitere Zellexperimente zeigten, dass sich Cyclin K/CDK12 sehr spezifisch angreifen lässt, ohne dass andere Eiweißstoffe beeinflusst werden, deren Hemmung zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen kann. „Das erhöht die Chance, dass klinisch anwendbare Substanzen, die den Abbau von Cyclin K und CDK12 auslösen, künftig bei einer klar definierten Gruppe von Patienten mit besonders schlechter Prognose hoch wirksam und gut verträglich sein könnten“, erklärt Glimm. Weitere Experimente deuteten zudem darauf hin, dass die Hemmung von CDK12 auch in Kombination mit Chemotherapeutika effektiv gegen Tumorwachstum wirkt.

Molekularer Klebstoff bewirkt Entsorgung

Die Substanz, die den Proteinkomplex inaktiviert, ist ein Wirkstoff aus der neuartigen Substanzklasse der molekularen Klebstoffe. Sie greifen Krebszellen über einen innovativen Mechanismus an. Anders als vorhandene Medikamente hemmen sie krebstreibende Strukturen oder deren Aktivität nicht direkt, sondern führen sie der zelleigenen Eiweißabbaumaschinerie zur Entsorgung zu.

Aus der Gruppe der molekularen Klebstoffe sind bislang nur wenige Vertreter bekannt. „Unsere neu entdeckte Substanz belegt erneut die hohe Effektivität dieser neuen Wirkstoffklasse“, sagt Erstautor Sebastian Dieter. „Wir gehen davon aus, dass sich in Zukunft mit molekularen Klebstoffen Zielstrukturen hemmen lassen, die mit bisherigen Medikamenten nicht angreifbar sind.“ Künftig wollen die Wissenschaftler den neu entdeckten molekularen Klebstoff so verändern, dass er als klinisch anwendbarer Wirkstoff genutzt werden kann. Auch ähnliche Substanzen mit gleichem Wirkmechanismus werden erforscht.