Was wir im Urlaub fern der Heimat suchen, finden wir auch vor der Haustür, sagt Christo Foerster. Im Interview rät er, im Alltag nach "Mikroabenteuern" zu suchen.
Von der Pauschalreise bis zum Wohnmobil, von der Ferienwohnung bis zum Mietwagen: Die Inflation macht den Sommerurlaub für viele Sachsen teurer. Und ob sich der finanzielle Aufwand für die vermeintlich schönsten Wochen des Jahres lohnt, ist nicht gesichert. Der Abenteurer und Buchautor Christo Foerster wirbt für eine Alternative, die wenig bis nichts kostet und letztlich auch den Alltag lebenswerter macht.
Herr Foerster, Sie wollen Menschen dazu bringen, sogenannte Mikroabenteuer zu erleben. Was verstehen Sie darunter?
Dafür muss ich ein wenig ausholen. Große Reisen, große Abenteuer – so etwas ist ja immer eine Flucht. Wir hauen ab, kommen irgendwann wieder und stellen fest: Nach einer gewissen Zeit ist alles wie vorher. Mikroabenteuer, die wir in unseren Alltag einbauen, können unseren Alltag tatsächlich verändern. Das ist oft wertvoller, als daraus abzuhauen. Der Alltag muss mit mehr Leben gefüllt werden.
Jetzt erklären Sie bitte noch, was der Begriff beinhaltet.
Ein Abenteuer ist etwas anderes als ein Urlaub. Es beinhaltet das Beschreiten neuer Wege, das Verlassen der eigenen Komfortzone. Es sorgt für Ungewissheit. Aber: Für all das müssen wir nicht weit weg. Das Abenteuer definiert sich durch unsere Haltung und nicht darüber, wie weit weg wir von Zuhause sind. Ein Mikroabenteuer ist etwas, das sich ohne großen Aufwand in der direkten Umgebung umsetzen lässt.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Eine Nacht im Wald, für die ich aber nicht zelte, weil ich das nicht darf, aber wo ich vielleicht ein paar Stunden auf einer Lichtung liege und mir die Sterne ansehe. Eine andere Idee ist, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs zu sein, ohne irgendwo einzukehren, und danach mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu fahren. Es gibt unzählige Möglichkeiten. Man darf kreativ werden und verrückte Ideen zuzulassen.
Welche Mikroabenteuer haben Sie selbst schon unternommen?
Ich bin mal von Deutschland nach Dänemark geschwommen. Das hört sich ganz groß an, doch an der Flensburger Förde sind beide Länder nur zwei Kilometer voneinander entfernt. Grundsätzlich habe ich für mich drei Spielregeln für ein Mikroabenteuer definiert. Erstens: Ich benutze weder Auto noch Flugzeug, die Regionalbahn ist dagegen erlaubt. Punkt zwei: Es dauert maximal 72 Stunden. Drittens: Geht es über Nacht, verbringe ich sie draußen.
Wie sind Sie auf das Thema Mikroabenteuer gekommen?
Ich bin immer viel gereist, aber irgendwann in eine Phase geraten, in der das aus verschiedenen Gründen – ich hatte eine Familie gegründet und bin in die Selbstständigkeit gestartet – nicht mehr so ging. Beziehungsweise wollte ich es nicht mehr. Ich habe mich aber trotzdem noch nach Abenteuern gesehnt. Dieses Dilemma war schwierig aufzulösen. Irgendwann im Jahr 2017 habe ich mit einem Freund telefoniert, den ich lange nicht mehr gesehen hatte. Dem habe ich spontan gesagt: „Lass uns doch morgen frühstücken gehen am Brandenburger Tor. Ich komme mit dem Fahrrad.“ Also habe ich mich nachmittags in Hamburg auf mein Fahrrad gesetzt und bin losgefahren. Ich musste die ganze Nacht fahren, sonst hätte ich keine Chance gehabt, pünktlich in Berlin anzukommen.
Und, hat es geklappt?
Ich hab‘s geschafft, war aber nach den rund 300 Kilometern völlig fertig. Wir haben gefrühstückt, und ich habe mich in den nächsten Zug nach Hamburg gesetzt. Doch diese 24 Stunden zwischen Aufbruch und Ankunft an meiner Haustür haben mir die Augen geöffnet: Ich muss gar nicht aufs nächste Abenteuer warten, sondern nur mein Rad nehmen und losfahren.
Gab es noch andere Abenteuer, die Sie besonders geprägt haben?
Ja, ein Ausflug in den Hamburger Containerhafen. Ich bin mit der Fähre hingefahren, habe an der Wasserkante meine Hängematte aufgespannt und dort die Nacht verbracht. Am nächsten Morgen war ich zum Frühstück wieder zu Hause und konnte meinen Kinder noch zu ihrem Weg in die Schule verabschieden.
Was ist Ihre Basisausrüstung, wenn Sie mehr als eine Nacht unterwegs sein wollen? Hänge- oder Isomatte und Schlafsack?
Genau. Der Schlafsack sollte warm genug sein – oder den Umständen angepasst. Nachts möchte ich nicht frieren. Ein Blick auf die untere Temperaturgrenze des Komfortbereichs ist wichtig. Ansonsten kommt es darauf an, ob ich wandern gehe oder Rad fahre. Entweder habe ich etwas Essbares dabei, oder ich hole mir unterwegs was. Oft habe ich einen Gaskocher dabei und bereite mir selbst etwas zu. Das ist günstiger als einzukehren und eine andere, intensivere Art des Erlebens.
Wie wichtig ist Ihnen, dass ein Mikroabenteuer wenig kostet?
Das ist für mich ein nachrangiger Aspekt, aber einer, der sehr willkommen ist.
Es gibt mittlerweile diverse Plattformen, die kostenlose Zeltstellplätze für eine Nacht anbieten. Haben Sie so etwas ausprobiert?
Ja. Bei einer Radtour die Elbe hoch habe ich hinterland.camp getestet. Ich kenne aber auch 1nitetent.com, mycabin.eu oder wildes-sh.de. Letztere listet Gratis-Biwakplätze in Schleswig-Holstein auf. Das einzige Bundesland mit einer Art Jedermannsrecht ist übrigens Brandenburg. Hier ist das freie Zelten für eine Nacht nicht verboten.
Welche Rolle spielen Begegnungen mit Menschen? Oder vermeiden Sie die?
Hier muss man differenzieren. Einerseits suche ich oft die Ruhe, wenn ich in die Natur gehe. Andererseits freue ich mich über Begegnungen. Meist sind die ja nur punktuell. Ich treffe Menschen, die ich in meinem Alltag nicht treffen würde. Oft suche ich die Begegnungen sogar.
Warum?
Zum Beispiel Trinkwasser: Ich schleppe kein Wasser für die gesamte Zeit mit, sondern habe eine relativ große Flasche, die ich auffülle, wenn sie leer ist. Letztlich ist die Flasche ein Vehikel, um mit Menschen in Kontakt zu kommen – um irgendwo zu klingeln oder jemanden zu fragen, der in seinem Garten steht. Das sind schöne kleine Begegnungen, bei denen ich viel Hilfsbereitschaft erfahre.
Ist Deutschland ein gutes Land für Mikroabenteuer?
Auf jeden Fall. Auch wenn das eine Nummer größer war: 2021 habe ich mich von den Alpen bis nach Sylt mit einem Stand-up-Paddleboard über Wasserwege durchgeschlagen. Streckenweise bin ich auch zu Fuß gegangen. In dieser Zeit habe ich nicht einen Cent für Übernachtungen ausgegeben. Ich habe alle 53 Nächte draußen in meiner Hängematte verbracht. Meine Erfahrung ist: Wer als Reisender erkennbar ist, dem wird viel Interesse und Hilfsbereitschaft zuteil.
Was wäre eine gute Idee für ein Mikroabenteuer in Sachsen?
Ich liebe es, auf der Elbe unterwegs zu sein. Auf einem Fluss ist man noch viel einsamer als auf einem Wanderweg. Das meiste läuft am Ufer ab, das bekommt man gar nicht richtig mit, wenn man zwei, drei Tage flussabwärts paddelt. Ich finde es immer schwierig, bestimmte Spots zu nennen.
Fünf Ideen für ein Mikroabenteuer
1. Sonnenaufgangs-Trip: Ermitteln Sie in einem Sonnenkalender die exakte Zeit für den Sonnenaufgang. Rechnen Sie dann die Zeit aus, die Sie mit dem Rad oder zu Fuß bis zu dem Ort brauchen, wo Sie den Sonnenaufgang erleben wollen.
2. Auf den nächsten Gipfel: Besteigen Sie die 16 höchsten Erhebungen aller Bundesländer. In Sachsen ist das bekanntermaßen der Fichtelberg (1.215 Meter), in Mecklenburg-Vorpommern der Helpter Berg (179 Meter) und in Thüringen der Große Beerberg (983 Meter).
3. Am Fluss wandern oder darauf fahren: Starten Sie an der Mündung eines Baches oder Flusses und wandern Sie möglichst immer direkt am Ufer der Quelle entgegen. Falls Ihr Wohnort an einem Fluss liegt, starten Sie per Kanu, Kajak oder SUP-Board ein paar Kilometer entfernt und paddeln Sie nach Hause.
4. Immer der Nase nach: Streifen Sie ohne konkretes Ziel durch die Gegend. Entscheiden Sie an Weggabelungen nach Bauchgefühl oder werfen Sie eine Münze: Kopf für rechts, Zahl für links.
5. Die Stadt entdecken: Wandern Sie eine Straßen- oder S-Bahn-Linie komplett ab – oder einmal komplett um Ihre Heimatstadt herum. (Quelle: Christo Foerster)
1 / 5
Sollte man diese kleinen Abenteuer mit Apps planen?
Das kann man tun. Aber das Abenteuer wird größer, wenn man es nicht tut. Natürlich sollte sich niemand blauäugig in etwas hineinstürzen. Wenn es in die Berge geht, muss man sich mit dem Wetter auseinandersetzen und kann nicht mit Flip-Flops laufen. Aber grundsätzlich lauern hierzulande nicht so viele Gefahren. Da ist es gut möglich, ein Stück weit die Kontrolle abzugeben. Leider haben wir die Tendenz, alles durchzuplanen.
Und wie macht man sich locker?
Wer beschließt, draußen zu schlafen, muss nirgendwo ankommen und kann sich wunderbar treiben lassen. Natürlich gibt es in Deutschland bestimmte Regeln, die man einhalten muss. Etwa das Verbot des wilden Kampierens in Naturschutzgebieten. Doch außerhalb dieser Gebiete ist es nicht verboten, sich irgendwo hinzulegen oder die Hängematte aufzuspannen. Solange man nicht zeltet, ist das okay.
Verstehen Sie die Leute, die nach zwei Jahren Pandemie unbedingt mal wieder weit weg wollen?
Ich will das nicht verurteilen, kann es vielmehr gut verstehen. In den Sommerferien werde ich auch mit meiner Familie nach Südfrankreich reisen. Es ist nicht so, dass ich ein kategorischer Verfechter von Mikroabenteuern bin. Ich werbe nur dafür, nicht immer dem Impuls „Es ist Urlaub, ich muss weg“ zu folgen. Dieses Denken gilt es zu durchbrechen. Wir haben fantastische Natur vor unserer Haustür.
Buchtipps: Siiri Klose: 52 kleine & große Eskapaden im Erzgebirge, Dumont, 232 S., 16,95 Euro. Christo Foerster: Mikroabenteuer, Das Praxisbuch, Harper Collins, 272 S., 10 Euro