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Erste Erfolge mit frischem Gemüse aus dem Container

Indoor Farming ermöglicht es, Wasabi oder Erdbeeren lokal das ganze Jahr über zu produzieren. Pioniere aus Österreich und Sachsen zeigen, wie das geht.

Von Katrin Saft
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Phytoniq-Gründer Eszter Simon und Martin Parapatits bei ihren Wasabi-Pflanzen.
Phytoniq-Gründer Eszter Simon und Martin Parapatits bei ihren Wasabi-Pflanzen. © Phytoniq

Am Sonntag, wenn andere Menschen beim Frühstück sitzen, schauen Eszter Simon und Martin Parapatits in „ihren“ Containern vorbei. Mehrere Dutzend davon stehen an einer Kreuzung in Oberwart, einem Städtchen 130 Kilometer südlich von Wien. Doch was völlig unspektakulär nach Baucontainern aussieht, ist die Zukunft der Landwirtschaft.

Einen Blick hinein werfen darf nur, wer sich vorher desinfiziert und in Schutzkleidung gehüllt hat. Bloß keine Keime mitbringen! „Und auch Fotografieren ist verboten“, sagt Parapatits. Denn der Umweltwissenschaftler und die Lebensmitteltechnologin Simon erforschen hier, wie man Obst und Gemüse ohne Erde und Sonne erzeugt – auf kleinstem Raum in mehreren Etagen, computergesteuert, 365 Tage im Jahr.

Optimales Wachstum

Nach Hochrechnungen der Vereinten Nationen werden 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben – rund sechs Milliarden davon in Ballungszentren. All diese Menschen müssen mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Doch die nutzbare Landwirtschaftsfläche wird immer kleiner und nicht mehr ausreichen. Vertical Farming kann eine Lösung sein: eine Farm in einem Gebäude, sogar mitten in der Stadt. Werden die Pflanzen übereinander ohne Sonnenlicht angebaut, spricht man von Indoor Farming. Möglich ist das durch eine 24-stündige Beleuchtung mit LED-Lampen und eine ausgeklügelte Steuerung von Temperatur, Luftfeuchte, Wasser und Nährstoffen, die für optimale Wachstumsbedingungen sorgen.

Frischer Wasabi wächst in Österreich in Nährlösungen in beleuchteten Containern.
Frischer Wasabi wächst in Österreich in Nährlösungen in beleuchteten Containern. © Katrin Saft

Eszter Simon und Martin Parapatits gehören zu den europaweiten Pionieren auf dem Gebiet. 2017 haben sie mithilfe von Crowd Funding ihr Start-up Phytoniq gegründet – ein Zusammenspiel aus Phyto für „aus der Pflanze kommend“ und IQ für Intelligenz. Inzwischen beschäftigen sie in ihren maßgefertigten Containern 50 Mitarbeiter vom Wissenschaftler bis zum Schlosser. „Wir haben den Anbau von über 70 Obst- und Gemüsesorten in Nährlösungen getestet“, sagt Parapatits. „Darunter zum Beispiel Erdbeeren, deren Blüten von Miet-Bienen bestäubt wurden.“ Die Früchte seien deutlich süßer als die importierten im Laden gewesen.

Indoor Farming hat mehrere Vorteile: Es werden weniger Boden, Wasser und Dünger verbraucht. Pflanzenschutzmittel sind überflüssig, weil in dem geschlossenen System keine Schädlinge existieren. Dass es die Farmen nicht schon massenhaft gibt, liegt allerdings an den hohen Kosten für Gebäude, Anlagen und Technik sowie am hohen Energieverbrauch. Bis heute hat Phytoniq bereits 4,5 Millionen Euro investiert. Der Strom kommt zu 30 Prozent aus erneuerbaren Energien, künftig sollen es bis zu 100 Prozent sein. Rentabel ist Indoor Farming derzeit erst, wenn hochpreisige Pflanzen angebaut werden.

Zutat für Bier und Gin

Parapatits bittet in die Container mit der Babyproduktion, wie er sie nennt. Dort stehen 30.000 Tassen mit einer geleeartigen Flüssigkeit. „Bald schauen da kleine Wasabipflänzchen raus“, sagt er. In der Natur ist Wasabi anspruchsvoll: Er wächst vor allem an flachen, kühlen und mineralhaltigen Bergbächen in Japan, braucht 24 Monate, um zu reifen und mag kein direktes Sonnenlicht. All das limitiert die Anbaugebiete und macht ihn neben Kaviar zu einem der teuersten Lebensmittel der Welt. Bis zu 540 Euro kann ein Kilogramm kosten. Für „Wasabi-Chips“ oder Sushai im Restaurant wird deshalb meist eine Ersatzpaste aus grün gefärbtem Meerrettich, Senf und Chlorophyll verwendet. „Mit unserem Wasabi sparen wir viel CO2 für den langen Transport und ermöglichen, dass er erstmals regional frisch zu kaufen ist“, sagt Parapatits.

In einem Nachbarcontainer hängen Beete mit Zehntausenden ausgewachsenen Wasabi-Pflanzen. Geerntet wird nicht nur einmalig die Knolle. „Alle vier bis sechs Wochen schneiden wir zunächst Blätter und Stängel“, sagt Lebensmitteltechnologin Simon. „Sie eignen sich perfekt für Salate, Wraps, Dips oder Soßen.“ Ein Teil werde gefriergetrocknet und weiterverarbeitet zu Pulvern und Pasten zum Verfeinern von Gerichten, aber auch als Zutat für Craft Bier oder Gin.

In Europa ganz selten zu sehen: frische Wasabi-Blätter.
In Europa ganz selten zu sehen: frische Wasabi-Blätter. © Phytoniq

Simon verweist auf einen anderen Containerbereich. „Dort drüben züchten wir hochwertigen Safran. Für ein Kilogramm sind 150.000 Pflanzen nötig.“ Foodforscherin Hanni Rützler sieht darin einen Trend, den sie „Local Exotics“ nennt. „Die Pandemie und der Ukrainekrieg haben einerseits die Bedeutung lokaler Lebensmittelproduktion verstärkt“, sagt sie. Andererseits sei durch Beschränkungen und steigende Preise fürs Reisen der Appetit auf Gerichte aus fernen Küchen gewachsen. Rützler: „Angesichts des Klimawandels wagen zunehmend mehr Betriebe den Anbau und die Zucht von Pflanzen und Tieren, die bislang nur über weite Wege zu uns gelangt sind: neben Wasabi auch Quinoa, Kurkuma, Reis, Garnelen oder Wolfsbarsch.“

Europas größte vertikale Farm befindet sich in Dänemark. Die Firma Nordic Harvest kultiviert dort in 14 Etagen Gemüse auf Kunststoffnetzen. In Pennsylvania in den USA entsteht mit 23.000 Quadratmetern gerade eine noch größere Anlage. Doch das Prinzip kann auch im Kleinen funktionieren, wie das Unternehmen Infarm mit Sitz in Berlin beweisen will. Seine mit viel Risikokapital entwickelten Indoor Farmen passen in die Gemüseabteilung von Supermärkten. In Glasvitrinen, die mit LED-Licht und eigener Wasser- und Nährstoffversorgung ausgestattet sind, wachsen Kräuter und Salate vor den Augen der Kunden und werden konkurrenzlos frisch verkauft. Kontrolliert und gesteuert wird das System von der Zentrale aus über eine cloudbasierte Plattform.

Pioniere aus Leipzig

In Sachsen wiederum macht sich das Leipziger Start-up Mana Farms auf den Weg in die Zukunft. Es entwickelt für Gaststätten Micro Farmen, in denen sogenannte Microgreens gedeihen. Das sind junge Keimpflanzen verschiedener Gemüsesorten wie Radieschen, Brokkoli oder Rucola. Sie enthalten deutlich mehr Vitamine und Mineralstoffe als die ausgewachsenen Exemplare und gelten deshalb als neues Superfood. Der Prototyp einer Micro Farm wurde in einem Restaurant der Burger-Kette Peter Pane in Lübeck getestet – ein kühlschrankgroßer Anbauschrank mit 72 Schälchen auf vier Ebenen. Der Aufwand für Aussaat, Ernte, Wartung und Reinigung soll bei nur einer Stunde pro Woche liegen.

Raphael Schardt und Richard Daser (re.) versuchen in Leipzig Indoor Farming im Kleinen.
Raphael Schardt und Richard Daser (re.) versuchen in Leipzig Indoor Farming im Kleinen. © Mana Farms

„Wir haben jetzt gemeinsam mit mittelständischen Firmen die erste Serie mit 18 Schränken produziert“, sagt Gründer Raphael Schardt auf SZ-Anfrage. Sie seien alle schon verkauft – zum Beispiel an eine BMW-Kantine in München. Ziel sei es, sich bald selbst zu tragen und Marktführer für Indoor Farming in der Gastronomie zu werden, später auch mit internationalem Fokus. Mitinvestor und Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky zeigt sich optimistisch: „Wir sehen hierfür einen wahnsinnig großen Markt“, sagt er.

Gut für vegane Gerichte

Auch Phytoniq will expandieren. Derzeit sei man dabei, den deutschen Markt zu erobern, beginnend in Berlin und München. „Zudem forschen wir weiter, zum Beispiel an Eiweißlieferanten wie Wasserlinsen“, sagt Geschäftsführer Martin Parapatits. „Sie werden als eine der Zukunftspflanzen für die Welternährung gehandelt und sind eine gute Basis für vegane Gerichte.“ Parapatits Vision: Er will die Grundlagen schaffen, dass sich künftig ganze Ortschaften durch Containeranlagen selbst mit Proteinen, Kohlenhydraten und Mineralstoffen versorgen können – CO2-neutral.

Die Wasabiprodukte sind schon heute ein Renner. „Ich war früher in der Teebranche“, sagt Vertriebsmitarbeiter Friedrich Niederl. „Da war es manchmal schwierig, bei potenziellen Kunden einen Termin zu bekommen. Heute rufe ich in Hotels und bei Spitzenköchen an. Die reagieren erst ungläubig und sagen dann schnell: Komm vorbei, das musst du mir zeigen!“ Denn frische Wasabi-Blätter dürften die meisten Europäer noch nie gekostet haben. Der Geschmack überrascht mit einem Minzton und einer angenehm prickelnden Schärfe der Senföle in der Nase.