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Warum Tomatenfisch die Zukunft sein könnte

Afrikanische Welse liefern nicht nur leckeres Filet, sondern können sogar Tomaten düngen – dank Aquaponik. Erste Versuche damit gibt es auch in Sachsen.

Von Katrin Saft
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Begehrt als Filet: Afrikanischer Wels.
Begehrt als Filet: Afrikanischer Wels. © Blün

Schmecken Ihre Tomaten nach Fisch?“ Leonard Sonten bekommt diese Frage häufig gestellt. Denn er ist Vorreiter einer Technologie, die die Produktion von Gemüse mit der Fischzucht verbindet. Und das hat gleich mehrere Vorteile.

Sonten streift sich schützende Füßlinge über und bittet in eine Halle, in der mehrere große Fischbecken stehen. Darin schwimmen Hunderte afrikanische Welse. „Wir praktizieren hier Aquaponik“, sagt er. Aqua-was? Sonten lacht: „Vereinfacht ausgedrückt bereiten wir das Abwasser der Fische auf und nutzen es als natürlichen Dünger zum Gießen unserer Tomaten im Gewächshaus nebenan.“ Aquaponik steht dabei wörtlich für die Verbindung von Aquakultur und Hydroponik. Wobei Letzteres nichts anderes heißt, als Pflanzen in einer Nährlösung statt in der Erde aufzuziehen. Weil das alles viel zu kompliziert klingt, hat sich Sontens kleine Firma am Stadtrand von Wien einfach Blün genannt – die Kombination aus Blau für Fisch und Grün fürs Gemüse.

Blün-Projektleiter Leonard Sonten (l.) mit seinem Team im Gewächshaus. Das Gemüse wurde mit gefiltertem Abwasser aus der Fischzucht bewässert.
Blün-Projektleiter Leonard Sonten (l.) mit seinem Team im Gewächshaus. Das Gemüse wurde mit gefiltertem Abwasser aus der Fischzucht bewässert. © Blün

Gegründet wurde Blün von Landwirten und Gärtnern. „Ich habe mich gefragt, was ich unseren Kindern erzählen soll, was ich unternommen habe, als ich wusste, wie sehr sich die Erde erwärmen wird“, sagt Gregor Hoffmann, einer der Gründer. Einerseits ist Fisch als wertvoller Lieferant von Eiweiß, Fettsäuren und Mineralstoffen begehrt. Andererseits sind die Meere überfischt. Und konventionelle Aquakulturen verursachen oft große Umweltschäden, weil der Fischkot zusammen mit Chemikalien und Antibiotika in Flüsse und Meere gelangt.

Antibiotika sind tabu

Aquaponik dagegen funktioniert ressourcenschonend auf kleinem Raum. Sonten kauft dazu monatlich 2.000 winzige Setzlinge ein. Innerhalb eines halben Jahres legen die Fischchen von 10 Gramm bis auf schlachtreife 1,3 Kilo zu. Ihr Futter besteht unter anderem aus Soja, Weizen und Fischmehl. Antibiotika sind tabu. „Normalerweise müssten wir täglich die Hälfte des Wassers austauschen“, sagt Sonten, der neben Meeres- auch Süßwasserbiologie studiert hat. „Dank eines Biofilters sind es aber nur etwa zehn Prozent.“ Denn das von den Fischen ausgeschiedene Ammonium wird im Filter durch Bakterien in Nitrat umgewandelt. Damit kann das Abwasser aus den Becken zum Düngen und Gießen von Pflanzen verwendet werden.

Gut für die Welt, denn Wasser wird immer knapper. Mit 112 Litern erzeugt Blün ein Kilogramm Fisch und gleichzeitig fünf Kilo Tomaten. Für ein Kilo Rindfleisch dagegen sind knapp 15.500 Liter Wasser nötig. Und in der spanischen Gemüsehochburg Almeria werden für ein Kilogramm Tomaten rund 180 Liter verbraucht – mit weitreichenden ökologischen Folgen wie einem sinkenden Grundwasserspiegel und versalzten Böden.

33 Euro pro Kilo Filet

Der Hofladen von Blün ist gut besucht. Trotz Preisen von etwa 33 Euro pro Kilo ist das Welsfilet vor allem bei Gastronomen begehrt. Die Karkassen und Innereien werden fermentiert und zu Fischgarum verarbeitet – eine heimische Alternative zu asiatischen Soßen. Selbst die Haut der Welse wird weiter genutzt – für Hundefutter. Die Schläuche mit dem aufbereiteten Fischwasser führen in ein gläsernes Gewächshaus. Hier ranken sich Tausende Tomatenpflanzen an Fäden in die Höhe. Statt in der Erde stehen sie auf Kokosmatten. „Jede Pflanze bekommt über eine Tröpfchenbewässerung 20- bis 60-mal Fischwasser am Tag“, sagt Sonten. Die Menge sei erheblich weniger als in der konventionellen Landwirtschaft.

Durch eine optimale Steuerung von Umweltfaktoren wie Nährstoffbedarf, Temperatur oder pH-Wert sind die Erträge höher als in der Natur. Sonten: „Wir züchten hier etwa zehn Tomatensorten und ernten pro Quadratmeter zwischen 15 und 60 Kilogramm.“ Problem: Weil Gewächshäuser im Winter viel Energie benötigen und die Preise dafür erheblich gestiegen sind, wurden die Pflanzen im November abgeschnitten. Die ersten sollen im Januar wieder gesetzt werden. Hummeln, die Sonten in Holland kauft, übernehmen die Bestäubung der Blüten. Wenn dann im März/April die Fenster geöffnet werden, hängt er kleine Säckchen mit Nützlingen aus, die Blattläuse oder die weiße Fliege verhindern sollen. Damit kann auf Chemikalien und Pestizide verzichtet werden.

Vorreiter Chemnitz

Blün ist ein Beispiel dafür, dass eine nachhaltige und regionale Lebensmittelproduktion mit Aquaponik auch in der Stadt möglich ist. Durch die kurzen Transportwege schlägt ein Kilo Fisch hier nur mit etwas mehr als drei Kilo CO2 zu Buche.

Auch in Deutschland gibt es erste Versuche mit der Methode. So kombinieren die „Müritzfischer“, der größte Binnenfischereibetrieb Deutschlands in Waren, die Produktion von Fisch und Gemüse. In Berlin-Schöneberg betreibt die ECF Farm eine Tilapia-Zucht und verbindet sie mit dem Anbau von frischem Basilikum. Ein Ableger befindet sich auf dem Dach eines Rewe-Marktes in Wiesbaden.

Vorreiter in Sachsen ist das gemeinnützige Projekt Karree 49 in Chemnitz. In einem leer stehenden Gebäude in der Peterstraße ist im vergangenen Jahr eine Aquaponikanlage mit fünf Fischtanks im Keller und einem vierstöckigen Gemüseturm in Betrieb gegangen. „Die Tanks sind für bis zu einer Tonne Lebendfisch gedacht, darunter Karpfen, Störe und Bodenseefelchen“, sagt Sprecher Stefan Willi. „Im Gewächshausturm haben wir begonnen, Tomaten, Basilikum und Gurken zu pflanzen.“ Ziel sei neben der Direktvermarktung von Fisch und Gemüse, jungen Menschen mit Problemen eine sinnvolle Tätigkeit zu bieten. Willis großer Plan: „Vielleicht gelingt es uns, zur Kulturhauptstadt 2025 einen der Standorte mit unseren Lebensmitteln zu versorgen.“

Fischbecken der Aquaponikanlage in Chemnitz. Noch sind nicht alle Becken gefüllt.
Fischbecken der Aquaponikanlage in Chemnitz. Noch sind nicht alle Becken gefüllt. © Susanne Domaratius-Enders/Karree 49

Für die Nahrungsmittelproduktion der Zukunft interessant wird Aquaponik allerdings erst mit Großanlagen von 10.000 Quadratmetern aufwärts, sagt Professor Werner Kloas. Alles Bisherige seien „Anlagen im Hobbybereich“. Kloas leitet eine Forschungsgruppe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, das ein patentiertes Aquaponiksystem entwickelt hat. Es beruht auf getrennten Kreislaufanlagen für Fische und Pflanzen, die je nach Bedarf zusammengeschaltet werden können. Das ermögliche, den doch recht unterschiedlichen Wachstumsansprüchen von Fischen und Pflanzen besser gerecht zu werden.

Angst vor Risikoinvestition

Haupthindernis für Aquaponik in großem Maßstab sind laut Kloas hohe Investitionskosten und in Deutschland hohe Betriebskosten für Energie, Personal und Futter. Zudem bestehe hierzulande, anders als in den USA, Angst vor Risikoinvestitionen. Kloas: „Wenn wir einmalig 10 bis 20 Millionen Euro in die Hand nehmen würden, könnten wir zeigen, dass Aquaponik auch wirtschaftlich funktionieren kann.“

Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther hat sich im Sommer bei Blün in Wien umgeschaut. „Ein auch für den Freistaat interessanter Weg regionaler Wertschöpfung“, sagt er. Ihn habe das gemeinsame Verfolgen einer Vision beeindruckt, die es in Sachsen leider noch zu wenig gebe. Von einem wichtigen Punkt konnte sich Günther bei seinem Blün-Besuch schon persönlich überzeugen: Tomaten aus Aquaponik schmecken überhaupt nicht nach Fisch. Sie sind aromatisch frisch, wie aus dem heimischen Garten.