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Käse aus dem Bioreaktor

Weltweit arbeiten Firmen am Essen von morgen. Tierische Produkte könnten bald ohne Tiere hergestellt werden.

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Das Unternehmen Formo aus Berlin stellt Käse aus dem Bioreaktor her. Man soll den Unterschied zum Original nicht schmecken, heißt es.
Das Unternehmen Formo aus Berlin stellt Käse aus dem Bioreaktor her. Man soll den Unterschied zum Original nicht schmecken, heißt es. © www.imago-images.de

Von Björn Hartmann

Berlin. Fischstäbchen aus der Petri-Schale, Burger aus dem Brutkasten, Käse aus dem Bioreaktor: Zahlreiche junge Firmen arbeiten an Lebensmitteln von morgen. Das T-Bone-Steak wird es aber so schnell nicht aus der Retorte geben – dafür sind die technischen Herausforderungen zu groß. Und auch sonst sind weltweit erst zwei Produkte auf dem Markt. Aber die Branche hat Großes vor.

Um Fleisch anzubieten, müssen heute Tiere gehalten und geschlachtet werden. Die Tierhaltung gehört zu den größten Quellen für Treibhausgase, der Anteil ist mit 14,5 Prozent etwa so hoch wie der des Verkehrs. Er ließe sich je nach Studie zum Thema um bis zu 90 Prozent senken – ein sehr optimistischer Wert. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung, in aufstrebenden Staaten steigt der Hunger auf Fleisch. Die Menschen müssten verzichten, doch das ist schwer durchzusetzen.

Die smarte Lösung vieler neu gegründeter Firmen: Käse aus Fermentationsprodukten, Fleisch und Fisch aus dem Labor. Sprunginnovation nennt es Nick Lin-Hi, Professor für Wirtschaft und Ethik der Universität Vechta und Spezialist für „kultivierte tierische Proteine“. Die Kunden bekommen, was sie wollen, die Quelle ist nur anders. Letztlich, sagt Lin-Hi, entscheide sich der Kunde trotz aller guten Absichten vor allem nach dem Preis. Langfristig erfolgreich können die neuen Produkte deshalb nur sein, wenn sie höchstens genauso viel kosten wie die klassischen Angebote.

Die Firmen geben sich selbstsicher und optimistisch. Formo aus Berlin etwa. Das Unternehmen arbeitet mit Präzisionsfermentation und stellt Käse aus dem Bioreaktor her. Dabei werden zum Beispiel Hefen so verändert, dass sie während der Fermentation Kasein bilden, den tierischen Grundstoff für Käse. Das Ergebnis ist ein weißes Pulver, wie Christian Poppe von Formo sagt. Zusammen mit Fett und Wasser reift daraus ein Käse heran, der sich nicht von Käse aus Milch unterscheidet. Sein Ziel: „Wir wollen bis 2030 zehn Prozent Anteil am EU-Markt für Milchprodukte.“

Weltweit sind erst zwei Produkte mit kultiviertem Fleisch für den Verkauf zugelassen

Bluu aus Berlin züchten Fisch im Labor, oder Innocent Meat aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich mit kultiviertem Fleisch beschäftigen. Dabei werden Zellen des lebenden Tiers genommen und vermehrt. Es wächst echtes Fleisch, nur muss kein Tier fürs Filet getötet werden.

Der Markt ist riesig. Für 2022 schätzt die Welternährungsorganisation FAO den Verbrauch von Fleisch auf 360,5 Millionen Tonnen. Die Beratungsfirma BCG schätzt den Markt für alternative Proteine 2035 auf 290 Milliarden Dollar. Ihr Anteil könnte dann mindestens elf Prozent des Weltmarktes für Fleisch betragen. Davon wird das meiste durch pflanzliche Produkte bestritten, nur ein Bruchteil wird gezüchtetes Fleisch sein. Denn was im Labor funktioniert, muss nicht zwingend im industriellen Maßstab funktionieren.

Die Anforderungen dafür sind groß. Bisher sind weltweit erst zwei Produkte mit kultiviertem Fleisch für den Verkauf zugelassen: eine Art Chicken Nuggets, ein Mix aus pflanzlichen und tierischen Proteinen, sowie Hühnerbrust. Beide stammen von der US-Firma Eat Just und sind ausschließlich in Singapur zu kaufen. Der Stadtstaat ist gegenüber neuartigen Lebensmitteln besonders aufgeschlossen, da es fast keine Landwirtschaft im dicht besiedelten Gebiet gibt. Ebenfalls vorn dabei ist Israel. Andere Länder haben das Thema auch für sich entdeckt.

Die USA wollen den Zugang vereinfachen. Die ersten Produkte sollen 2023 auf den Markt kommen. China hat kultiviertes Fleisch in den Fünf-Jahres-Plan aufgenommen. In der EU wird es schwierig. Neue Lebensmittel müssen ein besonderes Zulassungsverfahren durchlaufen. „Im besten Fall dauert das 18 Monate, die Realität sind eher drei Jahre“, sagt Ivo Rzegotta vom Thinktank Good Food Institute in Berlin. Deshalb setzen die Firmen auf andere Märkte. In Deutschland könnten Produkte aus kultiviertem Fleisch laut Experten Ende der 20er-Jahre in den Regalen liegen.