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Die Sachsen-Gurke fehlt

Supermarkt-Chefs würden gerne mehr sächsische Lebensmittel in die Regale legen. Doch sie finden nicht genügend. Wie Agrarminister Wolfram Günther helfen will.

Von Georg Moeritz
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Woher kommen die Lebensmittel? Die Chefs von Edeka, Rewe und Konsum würden nach eigenen Angaben gerne mehr sächsische Produkte ins Sortiment aufnehmen. Wer liefert sie?
Woher kommen die Lebensmittel? Die Chefs von Edeka, Rewe und Konsum würden nach eigenen Angaben gerne mehr sächsische Produkte ins Sortiment aufnehmen. Wer liefert sie? © Christian Juppe

Dresden. Braucht Sachsen mehr Gewächshäuser? Der Radebeuler Rewe-Händler Björn Keyser würde jedenfalls gerne mehr Gurken von hier verkaufen. Doch er bekommt nicht genügend, jedenfalls nicht regelmäßig. Mit frischen Gurken aus Sachsen könne man "sehr guten Umsatz erzielen", sagte Keyser am Donnerstag bei einer Diskussion mit Händlerkollegen und Sachsens Agrarminister Wolfram Günther (Grüne). "Wir wollen regionale Produkte verkaufen, weil Kunden sie wollen", sagte der Händler, der drei Rewe-Märkte betreibt.

Keyser hat allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass seine Kunden sehr unterschiedlich sind. Manche greifen zu billigen Erdbeeren aus Spanien, andere sind bereit, das dreifache Geld für sächsische auszugeben. Zum Bedauern des Händlers ist es manchmal günstiger, das Obst aus großer Entfernung heranfahren zu lassen.

Wie Keyser hat auch Konsum-Chef Roger Ulke festgestellt, dass die Sachsen zunehmend regionale und auch Bio-Produkte kaufen. Seit einigen Jahren steige das Interesse, in kleinen Schritten. "Man weiß ja gerne, woher etwas kommt", sagte Ulke. Grünen-Minister Günther freut sich über die gestiegene Nachfrage und will systematisch dazu beitragen, dass "regionale Produkte und Regio-Bio" ständig zu bekommen sind. Er sagte, er wolle solche Lebensmittel aus der Nische holen und "systemrelevant" machen.

Sachsen: 30 Prozent Selbstversorgung mit Obst

Nach Erkenntnissen des Ministeriums fehlen nicht nur Gemüse und Obst aus Sachsen. "Viel Potenzial" gebe es auch für regionale Molkereiprodukte, Trockensortiment, Tiefkühlwaren und Getreideweiterverarbeitung. Sachsens "Selbstversorgungsgrad" bei manchen Produkten sei gering: Nur zehn Prozent des verzehrten Gemüses in Sachsen stamme von hier. Für Obst nennt Günther rund 30 Prozent Selbstversorgungsgrad, für Schweine- und Geflügelfleisch rund 40 Prozent.

Produzenten für vegetarische und vegane Produkte vermisst Günther auch. "Der Markt wächst bereits, da lohnt es sich einzusteigen", sagte der Minister. Bei Transparenz zur Herkunft seien die Verbraucher bereit, mehr zu bezahlen. Das bestätigt auch Konsum-Vorstand Ulke. Aber es gebe Schwellenpreise, die ein Händler lieber nicht überschreiten sollte, um die Kunden zu halten. "Wir sind Wettbewerber. Die Konkurrenz sorgt dafür, dass die Preise im Rahmen bleiben", sagte Ulke.

Die VG Verbrauchergemeinschaft für umweltgerecht erzeugte Produkte in Dresden lässt ihren Kunden laut Vorständin Barbara Rische die Wahl: Es gibt zwei Preise. Wer Mitglied wird, bezahlt weniger. Auch bei der VG seien nicht alle Kunden gleich - und sie zahlen auch je nach Produktgruppe unterschiedlich viel. Als es um Vorratskäufe für Corona ging, hätten viele "zu einfacheren Produkten" gegriffen. Das ist auch dem Edeka-Händler John Scheller aufgefallen. Verarbeitete Lebensmittel für den Vorratsschrank sollen demnach billig sein.

Händler und Landwirte zeigen aufeinander

Ob Edeka-Scheller oder Rewe-Keyser: Beiden fehlen Lieferanten aus der Nähe. Scheller hätte am liebsten eine Internet-Plattform, um den Einkauf zu koordinieren. Keyser hat den Eindruck, vielen Landwirten fehle entweder die Bereitschaft oder das Geld, um beispielsweise mehr mit Gewächshäusern zu planen. Unter Landwirten dagegen wird häufig geklagt, die Handelsketten zahlten nicht genug. Manche machen sich auch Sorgen, ob sie als Lieferanten gleich große Mengen dauerhaft sicherstellen müssen.

Doch die Händler versichern, dass ihre Lieferanten keine Sorge vor Formalitäten oder Mengenvorgaben haben müssten. Edeka-Scheller berichtet, die "Listung" sei ganz umkompliziert, die Kontaktaufnahme auch: "Wir fahren gerne hin."

Konsum-Chef Ulke sagt, wer etwas verkaufen wolle, könne es in der Dresdner Zentrale gerne vorstellen. "Wir überlegen dann, wie wir es promoten". Ein Produkt müsse nicht in allen Filialen angeboten werden, vielleicht biete sich erst einmal ein Test an. Im Markt in der Dresdner-Neustadt hätten sich zu seinem Erstaunen nur drei, vier Interessenten gemeldet, um auf einer angebotenen freien Fläche ihre Produkte vorzustellen.

Die Rewe-Beauftragte Sandra Schulz sagte, ihr Unternehmen gehe "auf Recherche", spreche mögliche Lieferanten an und wolle ihnen die Angst vor dem Verwaltungsaufwand nehmen. Wann ein Produkt allerdings als regional gekennzeichnet wird, das ist bei den Händlern unterschiedlich. Rewe unterscheidet lokale Produkte, die aus einem Ort oder Kreis kommen - und regionale, mit denen ein Lieferant ein Bundesland abdecken kann.

Die VG hat laut Barbara Rische schon vor 20 Jahren ein Regionalprodukte-Logo entwickelt. Es gilt für Produkte, die im Umkreis von 150 Kilometern um Dresden hergestellt oder verarbeitet werden. Ein anders Logo ist das "Regionalfenster", mit dem deutschlandweit mehr als 5.000 Artikel gekennzeichnet sind. Aus Sachsen nutzen bisher lediglich 14 Unternehmen für 65 Produkte dieses Logo. In der Sächsischen Schweiz haben sich Produzenten zusammengetan und versehen ihre Erzeugnisse mit dem Regionalsiegel „Gutes von hier“. Sie lassen einen Radius von 50 Kilometern um Pirna gelten. Weiter östlich gibt es das Logo "Die Lausitz schmeckt".

Minister-Günther möchte Produkte aus Sachsen fördern. Er freute sich über das "einladende Signal" der Händler an die Produzenten und Verarbeiter. In anderen Bundesländern gelinge es Landwirten, pro Hektar mehr Wertschöpfung zu erzielen. Sachsen dagegen exportiere viel Getreide, Milch und Schweinefleisch in andere Regionen zur Weiterverarbeitung.

Das Land Sachsen fördert bisher schon Produktpräsentationen, Messen und Hoffeste von landwirtschaftlichen Direktvermarktern. Nach Günthers Wunsch sollen nun Bio-Regio-Modellregionen etabliert werden, drei Jahre lang bekommen sie vom Staat eine anteilige Förderung eines Regionalmanagements. Eine Agentur soll mit Geld vom Land bei der Vermarktung helfen. Günther wiederholte sein Ziel, in Kantinen und Schulen mehr Bio- und Bio-Regio-Produkte anbieten zu lassen. Das helfe den Landwirten.

Kühlhaus nicht immer die beste Lösung

Einig mit Bauern und Händlern ist Günther darin, dass Sachsen "zusätzliche Schlachtkapazitäten" benötigt. Schweine und Rinder werden meistens in große Schlachthöfe in Nachbarländer gefahren, seit die sächsischen Betriebe schlossen. Der Landesbauernverband hat angekündigt, sich an einer Lösung zu beteiligen.

Nicht in jedem Fall ist regional allerdings die beste Lösung. Laut Konsum-Chef Ulke wäre es "noch schöner, wenn der Kunde auf die Saison achten würde". Nicht zu jeder Jahreszeit müsse es jede Frucht geben. Laut Ulke haben sächsische Äpfel nach Monaten in der Kühlhalle nicht unbedingt eine bessere Klimabilanz als neue Äpfel, die per Schiff aus Übersee kommen.