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Barmer-Report zeigt, wie lange Frühchen noch Probleme haben

Die Krankenkasse belegt, dass das Risiko für Frühgeburten auch von Alter und Bildung der Mütter abhängt - und sich senken lässt.

Von Sylvia Miskowiec
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Ganz zart: ein in der 33. Woche geborenes Frühchen.
Ganz zart: ein in der 33. Woche geborenes Frühchen. © 123rf

Leichtgewichte haben es meist schwerer: Kinder, die bei der Geburt weniger als 2.500 Gramm wiegen, sprechen oft später und schlechter als ihre Altersgenossen und leiden bis zum zehnten Lebensjahr fast doppelt so oft an Asthma. Zu diesem Ergebnis kommt die Barmer Ersatzkasse, die für ihren neuen Arztreport die Entwicklung von 273.700 Neugeborenen über zehn Jahre hinweg analysiert hat.

Frühgeborene leiden später eher unter Bluthochdruck

„In der Regel handelt es sich bei sehr leichten Kindern um Frühgeborene, also um Babys, die vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen sind“, sagt Dr. Cahit Birdir, leitender Oberarzt für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik an der Uniklinik Dresden. In ganz Deutschland werden rund acht Prozent der Babys zu zeitig geboren und sind damit meist zu leicht. „Frühchen werden besonders im ersten Lebensjahr öfter als andere stationär behandelt, vor allem wegen Lungenproblemen,“ so Birdir. Auch im späteren Leben kann sich das zu niedrige Geburtsgewicht auswirken. So zeigt der Barmer Arztreport ein neunmal größeres Risiko, an einer Schilddrüsenunterfunktion zu erkranken, die zeitlebens behandelt werden muss. „Zudem haben diese Kinder häufiger mit Bluthochdruck, Nierenschäden, Diabetes sowie Herzerkrankungen zu kämpfen,“ sagt Birdir.

In einem allerdings geht es den Frühchen besser als zum Termin geborenen Babys: „Höchstwahrscheinlich aufgrund von regelmäßigen Impfungen konnten ihnen Windpocken weniger etwas anhaben als anderen Kindern“, sagt Monika Welfens, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Sachsen. „Daher appellieren wir an alle Eltern, Impf- und U-Untersuchungstermine wahrzunehmen.“

Risiko Mehrlingsschwangerschaft

Doch warum kommt es überhaupt zu Frühgeburten? Einer der Auslöser sind laut Arztreport Mehrlingsschwangerschaften. So bleibt gut die Hälfte aller Zwillinge nicht länger als 36 Wochen im Mutterleib. „Mehr als zehn Prozent der Mehrlinge wiegen nach unseren Versichertenzahlen nicht einmal anderthalb Kilogramm,“ so Welfens. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: „Der Nachwuchs muss sich im Mutterleib Versorgung und Platz teilen, beides wird dadurch schneller knapp“, sagt Birdir.

Während sich dieser Umstand nicht vermeiden lässt, haben Frauen auf andere Ursachen Einfluss. So sollten diejenigen, die schon einmal ein Kind zu früh bekommen haben, mit der weiteren Familienplanung etwas warten, rät der Gynäkologe. „Werden diese Frauen innerhalb eines Jahres wieder schwanger, haben sie ein drei- bis vierfach höheres Risiko für eine erneute Frühgeburt.“ Nicht zuletzt sollten werdende Mütter unbedingt auf Alkohol und Zigaretten verzichten und Medikamente nur nach ärztlicher Absprache nehmen.

Laut Arztreport hat auch das Alter der werdenden Mütter Einfluss auf das Geburtsgewicht. Frauen zwischen 30 und 34 Jahren sind demnach am wenigsten gefährdet, sehr leichte Kinder unter 1.500 Gramm zu gebären, während Mütter mit 45 Jahren die höchsten Risiken eingingen. „Zudem scheint der Bildungsstand der Mütter einen Einfluss zu haben, wie viel ihr Kind wiegt“, sagt Barmer-Chefin Welfens. „So haben Mütter mit Abitur ein rund 18 Prozent geringeres Risiko für ein Kind mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm als Mütter ohne Abitur.“

Vorsorgeuntersuchungen reduzieren Gefahren

Nicht zuletzt gefährdeten Infektionen im Vaginalbereich sowie unter Umständen auch Entzündungen des Zahnfleisches das Gedeihen des Fötus, ebenso wie frühere Operationen an der Gebärmutter, so Birdir. Gleichzeitig beruhigt der Oberarzt: „Viele dieser Risiken können in den Vorsorgeuntersuchungen, die jeder Schwangeren zustehen, erkannt und die Auslöser behandelt werden.“

Sprechstunde für Risikoschwangere

Das Ziel der Ärzte ist es, das Baby so lange wie möglich im Mutterleib zu belassen. Denn ob ein Frühchen eine Geburt überlebt und gesund aufwachsen kann, hängt nicht nur von seinem Gewicht, sondern auch davon ab, wie gut überlebenswichtige Organe wie etwa die Lungen ausgebildet sind. Und genau das entscheidet sich im Mutterleib. Schwangere, die gefährdet sind, zu früh zu entbinden, werden daher engmaschig überwacht und behandelt. „Wir haben dafür auch eine Risikosprechstunde in der Ambulanz, die ‚Intensive Schwangerenbetreuung‘. Nach Rücksprache mit den niedergelassenen Kollegen kümmern wir uns in regelmäßigen Abständen um die werdenden Mütter“, sagt Birdir.

Liegen bereits deutliche Anzeichen vor, dass die Schwangerschaft kürzer ausfallen könnte, wird behandelt. „Bei manchen Frauen kann die Gabe von Progesteron helfen, eine Frühgeburt zu verhindern“, so Birdir. Das Hormon unterbindet unter anderem eine frühzeitige Öffnung des Muttermundes. Einen ähnlichen Effekt hat die Cerclage, ein temporaler Verschluss des Muttermundes mithilfe einer Schlinge, oder der Einsatz eines stützenden Pessars. Ist eine Präeklampsie zu befürchten, also Bluthochdruck mit Eiweißausscheidung im Urin und Ödemen, setzen Mediziner auf ASS, auch bekannt als Aspirin. „Spezielle Ultraschallverfahren wie der Doppler-Ultraschall geben derweil mit hochauflösenden Bildern Auskunft, wie es dem Kind geht“, sagt Professor Mario Rüdiger, Direktor des Zentrums für Feto-Neonatale Gesundheit am Uniklinikum. „Der sehr genaue Ultraschall zeigt, ob der Blutfluss zwischen Mutter und Fötus ausreicht, um das Baby gut zu ernähren.“

Ein Netzwerk für die Region

Auch Schwangere, die nicht in der Uniklinik entbinden, können vom Wissen der Hochschulmediziner profitieren. Zusammen mit der AOK Plus hat die Uniklinik das Versorgungsnetzwerk „Sichere Geburt“ für Frühchen in Ostsachsen entwickelt. Per Telemedizin unterstützen die Experten fünf niedergelassene, auf Frühchen spezialisierte Kinderärzte in Dresden, Görlitz, Freiberg und Bautzen sowie acht Partnerkliniken in Freital, Freiberg, Zwickau, Meißen, Riesa, Hoyerswerda, Görlitz und Bautzen. Diese können sich beispielsweise per Videoschaltung Rat holen, wenn sie Risikoschwangere betreuen, zu leichte Neugeborene erstversorgen oder nach komplizierten Geburten weiterbehandeln.