Eine Chemnitzerin schildert, wie sie mit ihrer Hasenscharte klar kam

Nur eine kleine Narbe zwischen Lippe und Nase zeugt noch davon, dass Charlotta aus Chemnitz mit einer Fehlbildung im Gesicht geboren wurde – einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Hatten früher viele Kinder wegen ihrer „Hasenscharte“ und der damit oft verbundenen nasalen Sprache mit Ablehnung zu kämpfen, können sie heute, dank moderner Behandlungsmöglichkeiten, fast ohne äußerliche Beeinträchtigungen aufwachsen. In sogenannten Spaltzentren – drei gibt es in Sachsen – werden die Kinder von der Geburt bis zum Erwachsenwerden behandelt und begleitet. Die Therapie verlangt den Kindern einiges ab, doch es ist eine Erfolgsgeschichte, wie auch das Beispiel von Charlotta zeigt.
Erste OP mit sechs Monaten
Ihre Mutter Romy erfuhr etwa zwei Monate vor dem Geburtstermin, dass ihr Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt kommt. „Ich habe den Fehler gemacht zu googeln und viele schreckliche Bilder gesehen“, sagt sie. Als sie ihre Tochter dann aber in den Armen hielt, sei sie erleichtert gewesen, „dass es nur das war“.
Spaltfehlbildungen treten bei etwa jedem 500. Kind in Deutschland auf. Die Ausprägungen unterscheiden sich stark. „Es kann nur die Lippe, Lippe und Kiefer oder Lippe, Kiefer und Gaumen betroffen sein“, sagt Dr. Annegret Dörre, Chefärztin der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Ästhetische und wiederherstellende Chirurgie am Klinikum Chemnitz. Der Spalt könne außerdem ein- oder beidseitig auftreten. Charlotta hatte die schwierigste Form, eine durchgehende, beidseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Durch eine frühzeitige operative Korrektur – innerhalb des ersten Lebensjahres – ist es möglich, funktionelle Beeinträchtigungen beim Hören und Sprechen zu vermeiden. Bei Charlotta begann das bereits wenige Tage nach der Geburt, noch in der Klinik. Eine kieferorthopädisch angefertigte Gaumenplatte wurde eingesetzt, um die Öffnung zwischen Mund- und Nasenraum zu verschließen. Damit wird eine Fehlposition der Zunge verhindert, um die Trinkfähigkeit zu verbessern. Im Alter von knapp sechs Monaten hatte sie ihre erste Operation, die Spalte in der Lippe wurde verschlossen.
B-Vitamine können vorbeugen
Moderne Narkoseverfahren erlauben es uns, bereits wenige Monate nach der Geburt Operationen ohne großes Risiko für die Kinder durchzuführen“, sagt Annegret Dörre. Die Operationstechniken, Instrumente und Nahtmaterial hätten sich in den letzten Jahren immer weiter verfeinert.
Solche Innovationen waren auch Thema beim Kongress für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie Anfang Juli in Dresden. So könnten Knochenimplantate aus dem 3-D-Drucker künftig die Entnahme von körpereigenem Material vermeiden, sagt Professor Nils Claudius Gellrich von der Medizinischen Hochschule Hannover. Das sei weniger belastend für die Patienten.
Warum es aber zu solchen Fehlbildungen kommt, ist auch in der Wissenschaft noch nicht vollständig geklärt. „Spaltbildungen können auf einer genetischen Veränderung basieren und treten zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft – zwischen der fünften und zwölften Schwangerschaftswoche – auf“, sagt die Chemnitzer Mund-Kiefer-Gesichtschirurgin. Im zweiten bis dritten Schwangerschaftsmonat wachsen die einzelnen Bereiche des Gesichts zusammen. „Verschiedenste Faktoren können eine Störung dieses Prozesses herbeiführen“, sagt sie. Bekannt sei, dass eine frühe Vitamin B- und Folsäuregabe vorbeugend wirke und Spaltfehlbildungen in bestimmten Familien gehäuft vorkämen.
Immer ein fröhliches Mädchen
In ihrer Familie war Charlotta die Einzige. Sie hat zwei jüngere Geschwister ohne diese Fehlbildung. „Wir haben das aber zu Hause nie groß zum Thema gemacht“, sagt die Mutter. Sie habe Charlotta als fröhliches und aufgeschlossenes Mädchen erlebt. Ihre Fehlbildung habe sie nie beeinträchtigt.
Charlotta erinnert sich noch, dass sie als Kind viel im Krankenhaus war. „Dadurch habe ich auch wahrgenommen, dass ich anders aussehe“, so die heute 21-Jährige. Doch sie habe immer Freunde gehabt und sich in ihrem Körper wohlgefühlt. „Ob im Kindergarten oder in der Schule, ich wurde nie ausgegrenzt“, sagt sie.
Selbstbild kurzzeitig gestört
Charlotta erinnert sich noch, dass sie als Kind viel im Krankenhaus war. „Dadurch habe ich auch wahrgenommen, dass ich anders aussehe“, so die heute 21-Jährige. Doch sie habe immer Freunde gehabt und sich in ihrem Körper wohlgefühlt. „Ob im Kindergarten oder in der Schule, ich wurde nie ausgegrenzt“, sagt sie.
Die Bemerkung einer Mitschülerin auf dem Schulhof sei ihr aber dennoch im Gedächtnis geblieben. „Sie sagte, dass meine Nase komisch aussieht. Meine Freundin hat mich sofort verteidigt.“ Trotzdem war seitdem die Nase ihr Problem. „Mit 13/14 war ich immer unzufrieden mit meinem Äußeren“, sagt sie. Professor Nils Claudius Gellrich plädiert deshalb dafür, die Korrekturen von Nase und Lippe nicht zu lange hinauszuschieben. „Gerade in der Pubertät ist ein positives Selbstbild wichtig“, sagt er. Im Kongress war aber auch die Behandlung nach der Volljährigkeit der Patienten ein Thema. „Durch altersbedingte Veränderungen im Kiefer werden meist zusätzliche kieferorthopädische oder zahnmedizinische Korrekturen notwendig“, sagt er. Wenngleich bei der Kostenübernahme der Behandlungen durch die Kassen im Kindes- und Jugendalter keine Probleme bestünden, so hätten viele später Sorgen damit, wenn Zahnersatz notwendig würde. Die Fehlbildung im Kiefer könnte dann trotz der Korrektur im Kindesalter Komplikationen und auch zusätzliche Kosten bedeuten.
Schmerzhafte Knochenentnahme
Als Charlotta 18 war, wurde ihre Nase chirurgisch korrigiert. „Ich bin jetzt sehr glücklich damit.“ Zu einem früheren Zeitpunkt mussten noch Knochenimplantate in den Kiefer eingebracht werden, das habe Vorrang gehabt. Im Vergleich zu den anderen Operationen habe sie die Knochenverpflanzung als schmerzhaft empfunden. „Nach der Entnahme aus dem Hüftknochen konnte ich nicht richtig laufen, auch die implantierte Stelle hat eine Weile wehgetan“, sagt sie. Künftigen Patienten könnte die Knochenentnahme möglicherweise erspart bleiben, wenn sich die neuen Verfahren durchsetzen.
Durchhalten zahlt sich aus
So wichtig wie die chirurgischen Behandlungen sind für Spaltkinder auch HNO-Heilkunde, Kieferorthopädie, Logopädie und Zahnmedizin. „Gerade im Ohr kommt es oft zu Sekretansammlungen oder einer schlechten Belüftung. Entzündungen und Hörminderungen könnten die Folgen sein“, sagt die Chemnitzer Chefärztin. Verformungen oder Wachstumsbeeinträchtigungen im Kiefer müssten chirurgisch und kieferorthopädisch behandelt werden. Hinzu komme das Sprechtraining – die Logopädie. Die empfand Charlotta als „nervig“, dennoch ist sie heute froh, alles so durchgezogen zu haben. Wenn sie spricht, ist von der früheren Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte nichts mehr zu hören.
Charlotta studiert Erziehungswissenschaften in Halle. Sie hat große Pläne für die Zukunft. Wenn sie etwa in eineinhalb Jahren ihr Studium abgeschlossen hat, möchte sie im sozialen Bereich tätig sein. „Es ist Freude und Motivation für mich, die Patienten über die vielen Jahre zu begleiten und ihre erfolgreiche Entwicklung ein Stück mitzuerleben“, so Annegret Dörre.
Familien mit Spaltkindern können sich in sozialen und rechtlichen Fragen bei der Initiativvereinigung zur Förderung und Unterstützung für Spaltträger (Ifus) Rat holen. Die Elterninitiative unterstützt auch bei der Bewältigung des von zahlreichen Therapien geprägten Familienalltags. Kontakt: www.spaltkind.de