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Kreis Görlitz: keine Termine frei für Psychotherapie?

Eine Frau aus dem Süden des Landkreises kämpft seit Monaten um einen Termin. Die KVS sieht keinen generellen Mangel. Der Berufsverband schlägt eine Alternative vor.

Von Anja Beutler
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Eine Patientin im Kreis Görlitz sucht verzweifelt einen Termin für Psychotherapie.
Eine Patientin im Kreis Görlitz sucht verzweifelt einen Termin für Psychotherapie. © ZB

Marietta Fritsche* braucht dringend Hilfe für ihre Seele. Doch was sie auf der Suche nach einer Psychotherapie bislang erlebt hat, macht ihr Nervenkostüm eher dünner als gesünder. Die Frau, die im Süden des Kreises Görlitz wohnt, war bisher nie lange krank. Sie hat sich jahrelang als Selbstständige durchgeboxt. Doch inzwischen sind viele Gewissheiten in ihrem Leben in sich zusammengefallen. In den vergangenen Monaten hat es sie buchstäblich umgeworfen: Notarzt, Klinik, lange Suche nach Ursachen und dann in der Charité endlich eine Diagnose. Jetzt aber kämpft sie erneut - mit der offenbar aussichtslosen Suche nach einem Termin für eine psychotherapeutische Behandlung, die sie dringend benötigt.

"Keiner nimmt hier im Kreis neue Patienten auf, deshalb habe ich mich an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen gewandt", schildert Fritsche ihre Anstrengungen und fügt sofort hinzu: "Ich habe dort auch gesagt, dass ich bis zu 100 Kilometer und weiter fahren würde, oder die Behandlung privat bezahle." Allein - der Erfolg lässt selbst bei diesen Zugeständnissen noch immer auf sich warten: Das Rezept, das Fritsche Ende August ausgestellt bekam, versucht sie noch immer einzulösen.

Terminservicestelle für solche Fälle da

Generell ist die Terminservicestelle - erreichbar unter der Telefonnummer 116117 - genau für solche Problemfälle da. Die Mitarbeiter vermitteln Termine in Praxen, die freie Termine haben. Dafür müssen die Patienten gegebenenfalls weiter fahren, bekommen aber zeitnah einen Termin, lautet das Versprechen. Doch das funktioniert nicht immer optimal. Das haben auch Ärzte wie Dr. Wolfgang Müller, der 23 Jahre lang Chef der Notfallaufnahme im Zittauer Krankenhaus war, beobachtet. Die ambulante Versorgung sei für viele Patienten schlechter geworden, bilanzierte er jüngst im Gespräch mit der SZ. "Immer mehr Menschen finden keinen Hausarzt, die angebotene Lösung der Krankenkassen mit 116117 funktioniert meist nicht", schildert er.

Die KVS weist solch pauschale Kritik zurück. Woran es liege, müsse im Einzelfall geprüft werden, betont Sprecherin Katharina Bachmann-Bux. Dass es im Bereich der Psychotherapie generell Engpässe in der Vermittlung gebe, sei nicht der Fall. "Es bestehen regionale Unterschiede, differenziert nach Fachgruppen", sagt sie. Die Facharztdichte sei ein wesentlicher Einflussfaktor, wie zum Beispiel bei Lungenärzten in ganz Sachsen oder der Psychotherapie in der Stadt Leipzig, Hautärzte im Bereich Bautzen und Umland sowie Augenärzte in Südwestsachsen, zählt Bachmann-Bux auf. Im Kreis Görlitz sei aktuell die Vermittlung von Hausarzt- und Hautarztterminen "nur eingeschränkt möglich". Der Grund liege in einer "geringen Dichte an niedergelassenen Praxen", führt die Sprecherin weiter aus.

Generell vermittle die Terminservicestelle nur dann einen Facharzttermin, wenn eine Überweisung vorliege, "die zum Nachweis einer gebotenen Dringlichkeit mit einem Vermittlungscode versehen ist", erklärt Bachmann-Bux. "Hierbei ist eine Anfahrtszeit, ausgehend von der nächsten erreichbaren geeigneten Praxis von plus 30 Minuten für Hausärzte und allgemeine Fachärzte sowie plus 60 Minuten für spezialisierte Fachärzte einzuplanen", beschreibt sie den vorgegebenen Umkreis für die Vermittlungen. "Wenn es einem Patienten möglich ist, einen weiteren Anfahrtsweg zu ermöglichen, dann werden auch Termine in einem entfernteren Einzugsbereich in Sachsen vergeben", fügt sie hinzu.

Privatbehandlung als Alternative

Warum das im Fall von Marietta Fritsche nicht möglich war, kann die Kassenärztliche Vereinigung pauschal nicht aufklären. Verweist jedoch auf "patientenabhängige Faktoren" wie beispielsweise die "Flexibilität bei Terminvergabe, der Termintreue, der Mobilität oder auch der Bereitschaft der Patienten, die angemessene Wegstrecke zum nächsten Facharzt in Kauf zu nehmen". All das sei bei ihr nicht das Problem, beteuert die Patientin. Sie würde auch nach Tschechien oder Polen zu einem Arzt gehen - wenn sie sich entsprechend verständigen könnte. "Die Terminservicestelle hat mir versichert, sie werden sich melden, wenn etwas greifbar ist", sagt Marietta Fritsche, die schon mehrfach Rücksprache genommen hat.

Gibt es denn aber keinen anderen Weg als über die Terminservicestelle - gerade in dringenden Fällen? "Gibt es", meint Jörn Hennig, Diplom Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er ist stellvertretender Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes des BVVP - des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten. So könne sich gerade in einem dringenden Fall wie dem von Frau Fritsche auch ein Kassenpatient einen Termin in einer Privatpraxis suchen und sich gegebenenfalls die Kosten von der Kasse erstatten lassen. "Man sollte sich vorab bei der Kasse erkundigen, bisherige Absagen für eine Behandlung sammeln und vom Therapeuten bescheinigen lassen, dass ein behandlungswürdiges Leiden vorliegt", skizziert er. Dieser Weg ist im Sozialgesetzbuch V beschrieben und schon vor der Einrichtung der Terminservicestellen gängig. Inzwischen wird er wieder häufiger beschritten, weil auch die Vermittlung durch die Kassenärztliche Vereinigung nicht alles lösen kann. Weitere Informationen und Ansprechpartner sind auf der Webseite www.therapie.de beschrieben, erklärt Hennig.

Hennig kennt enorme Terminprobleme aktuell nur in Leipzig, in den Regionen Dresden und Chemnitz war die Lage bislang in seinem Fachbereich nicht so stark angespannt. Dennoch bescheinigt er, dass unter anderem Nachwirkungen von Corona zu einer erhöhten Terminnachfrage führten. So gebe es in der Gruppe der 20- bis 30-Jährigen soziale Verunsicherungen durch die Isolation in der Pandemiehochphase. Hennig betont jedoch, dass es generell in Sachsen keinen Therapeutenmangel gebe.

*Namen von der Redaktion geändert